Dysarthrie als serotonerge Nebenwirkung durch Interaktion zwischen Duloxetin und Tramadol


Ursula Köberle und Tom Bschor, Berlin

Unter Serotonin-agonistischen Substanzen (insbesondere in Kombination) wurde verschiedentlich über Dysarthrie, entweder im Rahmen eines Serotonin-Syndroms oder für sich allein, berichtet. Wir berichten nun über eine 83-jährige Patientin, die unter einer Kombinationsbehandlung von Duloxetin und Tramadol eine dysarthrische Sprechstörung entwickelt hat. Weitere Symptome eines Serotonin-Syndroms lagen nicht vor. Die jeweiligen Monotherapien waren gut vertragen worden. Es scheint sich um eine unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) durch pharmakodynamische Interaktion zwischen dem Serotonin-agonistischen Duloxetin und Tramadol, das neben seinen opioidergen Eigenschaften ebenfalls Serotonin-agonistisch ist, zu handeln.
Schlüsselwörter: Duloxetin, Tramadol, serotonerge Interaktion, Serotonin-Syndrom, Dysarthrie
Psychopharmakotherapie 2007;14:82–4.

Serotonin-agonistische Substanzen können teilweise schwere Nebenwirkungen bis hin zum Serotonin-Syndrom (Trias aus psychopathologischen Veränderungen, autonomer Dysregulation und neuromuskulären Auffälligkeiten) verursachen. Auch über Dysarthrie als alleinige UAW oder im Rahmen eines Serotonin-Syndroms wurde berichtet [11, 14]. Zumeist sind pharmakokinetische oder pharmakodynamische Interaktionen zwischen verschiedenen, gleichzeitig verabreichten Serotonin-agonistischen Substanzen hierfür verantwortlich [5, 11]. Aber auch die alleinige Gabe beispielsweise von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) kann zu derartigen Symptomen führen [10, 14].

Auch über serotonerge Interaktionen zwischen Antidepressiva und Opioid-Analgetika wurde berichtet. So traten unter der Kombination von SSRI und Opioiden optische Halluzinationen, Muskelsteifigkeit, Myoklonus und Hypertension auf. Eine Kombination von Tramadol mit Mirtazapin führte zu Lethargie, Hypotension und Hypoxie [6].

Fallbeschreibung

Wir berichten über eine 83-jährige Patientin, die nach umfangreichen bauchchirurgischen Eingriffen aufgrund eines Blasenkarzinoms vor wenigen Jahren eine Tramadol-Abhängigkeit (bis 300 mg/d) entwickelt hatte.

Das Medikament wurde langsam ausgeschlichen. Die Patientin zeigte im Verlauf eine eher gedrückte Stimmungslage. Um diese günstig zu beeinflussen und um neu auftretenden Bauchschmerzen vorzubeugen, begannen wir eine begleitende Medikation mit einem Antidepressivum, das zusätzlich eine schmerzlindernde Wirkung entfalten sollte. Bei vorbestehendem Rechtsschenkelblock entschieden wir uns gegen einen nichtselektiven Monoamin-Wiederaufnahmehemmer (trizyklisches Antidepressivum) wie beispielsweise Amitriptylin. Wir begannen stattdessen bei einer Dosis von noch 25 mg/d Tramadol (abendliche Einmaldosis) eine Behandlung mit 60 mg/d Duloxetin. Zwei Tage nach Beginn dieser Medikation entwickelte die Patientin ausschließlich nachts auftretende dysarthrische Beschwerden mit stockender Sprache und Sprachaussetzern. Diese Symptomatik war etwa eine Woche lang vorhanden. Das Tramadol war parallel weiter reduziert und schließlich drei Tage vor Sistieren der Beschwerden gänzlich abgesetzt worden (Tab. 1). Im weiteren Verlauf der Duloxetin-Monotherapie trat die Symptomatik genauso wenig auf wie in den Jahren der Tramadol-Monotherapie.

Tab. 1. Verlauf der Tramadol- und Duloxetin-Medikation

Jahrelang

Tag
1

Tag
2

Tag
3

Tag
4

Tag
5

Tag
6

Tag
7

Tag
8

Tag
9

Tag 10

Tag 11

Tag 12

Tag 13

Tag 14

Tag 15

Tag 16

Tag 17

Weiter

Tramadol [mg/d]

300

100

100

75

75

50

25

25

25

25

25

15

10

5

0

Duloxetin [mg/d]

60

60

60

60

60

60

60

60

60

60

60

Symptomatik

X

X

X

X

X

X

X

Die Patientin hatte jahrelang 300 mg/d Tramadol eingenommen; während des stationären Aufenthalts wurde es über 13 Tage ausgeschlichen. Ab Tag 8 des Aufenthalts kam eine Medikation mit Duloxetin hinzu. Ab Tag 10 waren die oben beschriebenen Beschwerden zu beobachten, welche bis Tag 16 des Aufenthalts anhielten.

Vegetative oder neuromuskuläre Auffälligkeiten waren ebenso wenig zu beobachten wie Orientierungsstörungen, Halluzinationen oder Vigilanzstörungen. Das Vollbild eines Serotonin-Syndroms lag somit nicht vor, auch ein Delir als Komplikation des Tramadol-Entzugs oder aufgrund der Medikation ist als Erklärung unwahrscheinlich. Für andere neurologische und psychiatrische Erkrankungen wie beispielsweise Demenz oder transitorische ischämische Attacken gab es keinen Hinweis. In den laborchemischen Untersuchungen ist lediglich ein bereits bei Aufnahme pathologischer Urinstatus (nitritpositiv, leukozytennegativ) und später der mikrobiologische Nachweis von verschiedenen Bakterien im Urin erwähnenswert. Die Patientin war diesbezüglich aber beschwerdefrei und hatte kein Fieber. Antibiotika erhielt sie zum Zeitpunkt der Symptomatik nicht.

Diskussion

Wir diskutierten den Fall im Rahmen der Fallkonferenz von AMSP (Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie). Im Gespräch mit den UAW- und Interaktionsexperten kamen wir zu dem Schluss, dass als Erklärung für die beschriebenen Symptome am ehesten von einer Interaktion zwischen Tramadol und Duloxetin auszugehen ist.

Tramadol (z.B. Tramal®) ist ein zentral wirksames, so genanntes „atypisches“ Opioid-Analgetikum zum Einsatz bei mäßig starken bis starken Schmerzen. Es wirkt agonistisch an verschiedenen Opioidrezeptoren mit höchster Affinität zum µ-Rezeptor. Darüber hinaus hemmt es die neuronale Wiederaufnahme von Noradrenalin und Serotonin und verstärkt die Freisetzung von Serotonin [9]. Im Tierexperiment ist Tramadol sowohl antinozizeptiv als auch „antidepressiv“ wirksam, vermutlich über die Modulation der 5-HT1A-Rezeptor-Aktivität [2]. Die maximale Plasmakonzentration wird 1,2 Stunden nach oraler Einnahme erreicht. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 6 Stunden, kann aber bei Patienten über 75 Jahren auf etwa 8 Stunden verlängert sein. Neben anderen Metaboliten ist vor allem das O-Desmethyltramadol pharmakologisch aktiv. Seine Halbwertszeit beträgt 7,9 Stunden. Tramadol und sein aktiver Metabolit werden über die Cytochrom-P450-Isoenzyme CYP3A4 und CYP2D6 metabolisiert und fast vollständig renal ausgeschieden [4, 13].

Duloxetin (Cymbalta®) ist ein Antidepressivum aus der Gruppe der selektiven Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Es ist zugelassen zur Behandlung depressiver Episoden sowie zur Behandlung von Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie. Es wirkt über eine Verstärkung der serotonergen und noradrenergen Neurotransmission. Es hemmt in geringem Ausmaß die Dopamin-Wiederaufnahme, hat aber keine signifikante Affinität zu histaminergen, dopaminergen, cholinergen, Opiat- oder adrenergen Rezeptoren. Die maximale Plasmakonzentration wird – in Abhängigkeit von der Nahrungsaufnahme – 6 bis 10 Stunden nach oraler Einnahme erreicht. Duloxetin wird unter anderem über die Isoenzyme CYP2D6 und CYP1A2 metabolisiert. Die Eliminationshalbwertszeit liegt bei durchschnittlich 12 Stunden [3].

Als Ursache der beschriebenen Symptome wäre beispielsweise an eine pharmakokinetische Interaktion durch kompetitive Hemmung am CYP2D6-Isoenzym zu denken. Allerdings sind laut der Fachinformation zu Tramadol-Sandoz® bislang keine relevanten Interaktionen durch diesen Mechanismus bekannt.

Wahrscheinlicher ist eine pharmakodynamische Wechselwirkung durch Addition der Serotonin-agonistischen Wirkungen beider Wirkstoffe. In der Literatur wird über mögliche serotonerge Wechselwirkungen bis hin zum Serotonin-Syndrom unter derartigen Kombinationen berichtet (s.o.). Dazu würde gut das ausschließlich nächtliche Auftreten der Symptomatik bei abendlicher Tramadol-Gabe passen (maximale Plasmakonzentration 1,2 Stunden nach Einnahme). Das Verschwinden der Symptomatik drei Tage nach Absetzen des Tramadols ist durch die Halbwertszeit von Tramadol und seinem aktiven Metaboliten zu erklären.

Chronische Schmerzsyndrome, insbesondere vom neuropathischen Typ, werden oft mit Opioid-Analgetika behandelt. Tramadol ist beim neuropathischen Schmerz wirksam [8]. Während eine adjuvante analgetische Wirkung für SSRI im Allgemeinen schlechter belegt ist als für nichtselektive Monoamin-Wiederaufnahmehemmer [1], wird eine zusätzliche analgetische Wirksamkeit für Duloxetin diskutiert [7]. Tramadol war 2005 das am meisten verordnete Opioid-Analgetikum innerhalb der GKV, das neu eingeführte Duloxetin zeigte im gleichen Jahr bereits ein Verordnungsvolumen von 6,3 Mio. DDD [12]. Gerade weil chronische Schmerzzustände häufig von depressiver Symptomatik begleitet werden, dürfte die gleichzeitige Anwendung beider Substanzen öfter zu erwarten sein. Unerwünschten Arzneimittelwirkungen, die sich hierbei aus einer verstärkten serotonergen Stimulation ergeben können, sollte daher besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Literatur

1. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (Hrsg). Arzneiverordnungen. 21. Aufl. Köln: Deutscher Ärzteverlag, 2006.

2. Berrocoso E, Rojas-Corrales MO, Mico JA. Differential role of 5-HT1A and 5-HT1B receptors on the antinociceptive and antidepressant effect of tramadol in mice. Psychopharmacology 2006;188:111–8.

3. Fachinformation – Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Cymbalta. Firma Lilly. Stand Juni 2006.

4. Fachinformation – Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Tramadol-Sandoz 100 mg/ml, Tropfen zum Einnehmen, Lösung. Firma Sandoz. Stand November 2005.

5. Fisher AA, Davis MW. Serotonin syndrome caused by selective serotonin reuptake-inhibitors-metoclopramide interaction. Ann Pharmacother 2002;36:67–71.

6. Gnanadesigan N, Espinoza RT, Smith R, Israel M, et al. Interaction of serotonergic antidepressants and opioid analgetics: Is serotonin syndrome going undetected? J Am Med Dir Assoc 2005;6:265–9.

7. Hajak G. Dual acting reuptake inhibitors in the treatment of depression and pain. Dtsch Med Wochenschr 2006;131(Suppl 8):280–3.

8. Hollingshead J, Duhmke RM, Cornblath DR. Tramadol for neuropathic pain. Cochrane Database Syst Rev 2006;3:CD003726.

9. Keskinbora K, Aydini I. An atypical opioid analgesic: tramadol. Agri 2006;18:5–19.

10. Paruchuri P, Godkar D, Anandacoomarswamy D, Sheth K, et al. Rare case of serotonin syndrome with therapeutic doses of paroxetine. Am J Ther 2006;13:550–2.

11. Patterson DE, Bravermen SE, Belandres PV. Speech dysfunction due to trazodone-fluoxetine combination in traumatic brain injury. Brain Inj 1997;11:287–91.

12. Schwabe U, Paffrath D (Hrsg). Arzneiverordnungsreport 2006. Berlin, Heidelberg, New York: Springer Verlag, 2006.

13. Sweetman SC (Hrsg). Martindale: the complete drug reference. 33rd edition. London: Pharmaceutical Press, 2002.

14. Terao T, Hikichi T. Serotonin syndrome in a case of depression with various somatic symptoms: The difficulty in differential diagnosis. Prog Neuropsychopharmacol Biol Psychiatry 2007;31:235–6.

Ursula Köberle, Priv.-Doz. Dr. med. Tom Bschor, Jüdisches Krankenhaus Berlin, Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, Heinz-Galinski-Straße1, 13347 Berlin-Wedding, E-Mail: ursula@koeberles.de

Psychopharmakotherapie 2007; 14(02)