Atypische Antipsychotika

Paliperidon bei Schizophrenie


Dr. Heike Oberpichler-Schwenk, Stuttgart

Für das atypische Antipsychotikum Paliperidon in einer verzögert freisetzenden Formulierung wurde die Zulassung in den USA und in der EU beantragt. Basis sind die Ergebnisse von drei klinischen Studien mit über 1600 Patienten.

Zur Rezidivprophylaxe bei Schizophrenie ist eine langfristige neuroleptische Pharmakotherapie erforderlich. Gerade wegen der langfristigen Behandlungsbedürftigkeit und im Interesse der Patientencompliance sollte das gewählte Antipsychotikum möglichst gut verträglich sein. Es gibt Hinweise, dass das Risiko für extrapyramidal-motorische Störungen (EPS) mit den Plasmaspitzenspiegeln von Antipsychotika korreliert; ein wenig schwankender Plasmaspiegel sollte deshalb mit einem geringeren EPS-Risiko einhergehen. Das war ein Grund dafür, das atypische Antipsychotikum Paliperidon als verzögert freisetzende Formulierung zu entwickeln (Paliperidon ER [extended release]). Die langsame, gleichmäßige Wirkstofffreisetzung wird mit dem OROS® (Osmotic-controlled release oral-delivery system) erreicht. Dabei ist der Wirkstoff zusammen mit einem Quell-Kompartiment von einer semipermeablen Membran umgeben, die zwei Laser-gedrillte Poren enthält. Durch eindringendes Wasser wird der Wirkstoff gelöst und infolge der Ausdehnung des Quell-Kompartiments kontinuierlich durch die Poren freigesetzt.

Paliperidon

Paliperidon (Abb. 1) ist der aktive Metabolit von Risperidon (9-Hydroxyrisperidon). Wie dieses hat es hohe Affinität zu Dopamin-D2-Rezeptoren und Serotonin-5-HT2-Rezeptoren sowie Affinität zu alpha1- und alpha2-adrenergen Rezeptoren, bindet schwach an histaminerge und praktisch nicht an muscarinerge Rezeptoren.

Abb. 1. Paliperidon

Bei Verabreichung als OROS® wird der Plasmaspitzenspiegel nach 22 bis 24 Stunden erreicht. Die Plasmahalbwertszeit beträgt ungefähr 24 Stunden. Bei einmal täglicher Gabe besteht dementsprechend nach 4 bis 5 Tagen ein Steady State. Wegen der langsamen Anflutung ist keine einschleichende Dosierung erforderlich.

Paliperidon ist aufgrund der 9-Hydroxygruppe hydrophiler als Risperidon und wird daher zu etwa 60% unverändert renal ausgeschieden. Der Rest wird zunächst metabolisiert, zum Beispiel durch Dehydrogenierung der 9-OH-Gruppe oder durch oxidative N-Desalkylierung. Nur knapp 4% der Substanz werden mithilfe von Cytochrom-P450-2D6 (CYP2D6) hydroxyliert, und dies auch nur bei Personen mit hoher Aktivität der CYP2D6-Monooxygenasen („extensive metabolizer“). Pharmakokinetische Interaktionen mit CYP2D6-Hemmern sind daher nicht zu erwarten, anders als bei Risperidon, das hauptsächlich über CYP2D6 metabolisiert wird.

Paliperidon ER bei akuter Schizophrenie

Die Wirksamkeit von Paliperidon ER bei einer akuten Schizophrenie-Episode wurde in drei 6-wöchigen multizentrischen randomisierten Doppelblindstudien mit aktiver (10 mg/d Olanzapin) und Plazebo-Kontrolle untersucht. Paliperidon ER wurde in folgenden Dosierungen eingesetzt (zusammen mit Plazebo und Olanzapin jeweils in etwa gleich große Gruppen randomisiert):

 Studie 1: 6, 9 und 12 mg/d (n=630; Europa und Indien)

 Studie 2: 6 und 12 mg/d (n=444; USA)

 Studie 3: 3, 9 und 15 mg/d (Patienten der 15-mg-Gruppe erhielten in der ersten Woche 12 mg/d; n=618; 14 Länder weltweit)

Während der ersten 2 Wochen erfolgte die Behandlung verpflichtend stationär, mit drei Untersuchungsterminen. Danach fanden wöchentliche Evaluationen statt. Primärer Endpunkt war die Veränderung des PANSS-Scores (Positive and negative syndrome scale). Im Anschluss an die 6-wöchige Doppelblindphase konnten die Patienten an einer einjährigen offenen Verlängerung teilnehmen.

Die Patienten waren im Schnitt etwa 37 Jahre alt (in der US-Studie 41,6 Jahre) und demzufolge wohl schon seit längerer Zeit erkrankt. Zu Beginn der Indexepisode hatten sie einen durchschnittlichen PANSS-Wert von 93 bis 94 Punkten. Mit allen Paliperidon-Dosierungen kam es zu einem Rückgang des PANSS-Werts, der vom Plazebo-Effekt bereits ab dem vierten Tag (= erster Messzeitpunkt) statistisch signifikant verschieden war. Am Endpunkt war der PANSS-Wert in allen aktiv behandelten Gruppen deutlich gegenüber der Plazebo-Gruppe gesunken (Tab. 1). Dies war auch bei den einzelnen Symptomgruppen der PANSS nachweisbar (Positivsymptome, Negativsymptome, Denkstörungen, unkontrollierte Feindseligkeit/Erregung, Angst/Depression). Eine klare Dosis-Wirkungs-Beziehung war nicht erkennbar. In allen Dosierungen war auch die Ansprechrate (PANSS-Abnahme um ≥30%) signifikant höher als in der Plazebo-Gruppe (Tab. 1).

Tab. 1. Ergebnisse der randomisierten Doppelblindstudien mit Paliperidon ER; ** p<0,01, *** p<0,001 vs. Plazebo (Intention-to-treat-Analyse; Olanzapin [OLZ] ging nicht in die statistischen Vergleiche zur Wirksamkeit ein, es diente lediglich zum Nachweis der Sensitivität der Studien) [Kane et al., Marder et al., Davidson et al.]

Plazebo

Paliperidon ER

OLZ

3 mg/d

6 mg/d

9 mg/d

12 mg/d

15 mg/d

Veränderung des PANSS-Gesamtscores

Studie 1 (93,0–94,6)*

–4,1

–17,9***

–17,2***

–23,3***

–19,9

Studie 2 (92,3–94,9)

–8,0

–15,7**

–17,5***

–18,4

Studie 3 (91,6–93,9)

–2,8

–15,0***

–16,3***

–19,9***

–18,1

Ansprechrate (PANSS-Abnahme ≥30%)

Studie 1

30%

56%***

51%***

61%***

52%

Studie 2

34%

50%a

51%b

46%

Studie 3

18%

40%***

46%***

53%***

52%

Deutlich, schwer oder sehr schwer krank gemäß CGI-S (Baseline/Endpunkt)

Studie 1

59,5%/

52,4%

62,6%/

24,6%

58,1%/

23,8%

64,4%/

17,1%

64,1%/

23,5%

Studie 2

60,0%/

44,7%

57,6%/

26,1%/

64,0%/

20,7%

70,5%/

29,6%

Studie 3

55,8%/

50,0%

53,7%/

32,5%

52,8%/

23,6%

56,6%/

16,8%

57,1%/

22,2%

*Ausgangswerte (Bereich), a p=0,025, b p=0,012

Der Anteil der Patienten, die gemäß CGI-S (Clinical global impression – severity) deutlich, schwer oder sehr schwer krank waren, wurde durch alle aktiven Therapien deutlich reduziert (Tab. 1).

Als weiterer patientenrelevanter Endpunkt wurde die Personal and Social Performance Scale (PSP) als Ausdruck des sozialen Funktionsniveaus des Patienten erhoben (siehe Psychopharmakotherapie 2006;13:126–6). Hier kam es in allen Paliperidon-Gruppen, ohne Dosisbezug, zu einer Besserung um durchschnittlich 7 bis 12 Punkte, was in den meisten Fällen dem Wechsel in die nächstbessere Kategorie entspricht (Abb. 2).

Abb. 2. Verbesserung des sozialen und persönlichen Funktionsniveaus (PSP-Score) unter der Behandlung mit Paliperidon ER – Beispiel Studie 1 [Kane et al.] (Intention-to-treat-Analyse, last observation carried forward)

Die Abbruchrate war vor allem in der US-amerikanischen Studie hoch, nur 46 bzw. 48% der Patienten in den Paliperidon-Gruppen und 34% aus der Plazebo-Gruppe beendeten die Studie protokollgemäß (Olanzapin 45%). In den beiden anderen Studien blieben von den Paliperidon-behandelten Patienten 65 bis 78% (Studie 1) beziehungsweise 55 bis 71% (Studie 3) bis zum Ende der 6-wöchigen Doppelblindphase dabei, von den Plazebo-behandelten Patienten 46% bzw. 38%. Häufigster Abbruchgrund und verantwortlich für den Unterschied zwischen Plazebo- und aktiv behandelten Gruppen war eine unzureichende Wirkung.

Schlafstörungen wurden in allen Gruppen (inkl. Plazebo) etwa gleich häufig beklagt, Somnolenz trat am häufigsten bei Olanzapin-Behandlung auf. In den Paliperidon-Gruppen wurde häufiger als in den Plazebo-Gruppen über Kopfschmerzen und über Tachykardie geklagt. Extrapyramidale Störungen und Hyperkinesie traten hier mit einer gewissen Dosisabhängigkeit bei bis zu 10% bzw. 11% der Patienten auf, in den Plazebo- und Olanzapin-Gruppen bei 1 bis 4%. Sie waren meist leicht bis mäßig ausgeprägt. Verschiedene Skalen zur Bewertung extrapyramidal-motorischer Störungen (AIMS, SAS, BARS) ergaben in den meisten Fällen keinen Unterschied zwischen Paliperidon und Plazebo. Mit dem Prolactin-Anstieg assoziierte Nebenwirkungen traten mit geringer Inzidenz (n=1 bis 2) in allen Gruppen auf, lediglich in der 15-mg-Paliperidon-Gruppe gab es 4 Fälle. In allen Paliperidon-Gruppen kam es zu einer leichten, dosisabhängigen Gewichtszunahme, die aber geringer ausfiel als bei Olanzapin-Behandlung. Sie betrug in Studie 1 0,2 bis 0,5 kg (Olanzapin 1,3 kg), in Studie 2 1,0 bzw. 2,0 kg (2,7 kg) und in Studie 3 0,6 bis 1,9 kg (2,2 kg).

Nach Abwägung der Ergebnisse zu Wirksamkeit und Verträglichkeit wird derzeit eine Einstiegsdosis von 6 mg/d Paliperidon ER empfohlen.

Zulassung beantragt

Die Zulassung zur Therapie bei Schizophrenie wurde im November 2005 in den USA und im Mai 2006, nach Vorlage der Ergebnisse der offenen Verlängerungsstudie, in der EU beantragt. Kürzlich wurde mitgeteilt, dass Paliperidon in den USA nach Vorlage weiterer Daten zulassungsfähig ist.

Eine Depotformulierung von Paliperidon ist ebenfalls in der Erprobung. Die Hydroxylgruppe an Position 9 eröffnet die Möglichkeit, das Molekül mit einer Fettsäure zu verestern – bei konventionellen Antipsychotika ist dieses Verfahren seit langem gebräuchlich (z.B. Haloperidoldecanoat), bei den bisherigen atypischen Antipsychotika war es aber mangels geeigneter funktioneller Gruppen nicht möglich. In einer laufenden Plazebo-kontrollierten Phase-III-Studie wird Paliperidon als Palmitat in den Dosierungen 50, 100 oder 150 mg zu vier Zeitpunkten (Tag 1, 8, 36 und 64) intramuskulär verabreicht.

Quellen

Prof. Dr. Dr. Ekkehard Haen, Regensburg, Dr. Andreas Schreiner, Neuss, Workshop „Outcomeparameter in der Schizophrenietherapie: Sind sie noch zeitgemäß?“, veranstaltet von Janssen-Cilag GmbH, Bergisch Gladbach, 28. und 29. März 2006.

Poster beim Winter Workshop on Schizophrenia, Davos (Schweiz), 5. bis 11. Februar 2006:

Davidson M, et al. Efficacy, safety and effect on functioning of paliperidone extended-release tablets in schizophrenia: an international 6-week placebo-controlled study. (Poster 17)

Kane J, et al. Treatment of schizophrenia using oral paliperidone extended-release tablets: a 6-week placebo-controlled study. (Poster 44)

Marder S, et al. Efficacy and safety of oral paliperidone extended-release tablets in the treatment of schizophrenia: a 6-week placebo-controlled study. (Poster 51)

A study to evaluate the effectiveness and safety of 3 doses of paliperidone palmitate in treating subjects with schizophrenia. www.clinicaltrials.gov/ct/show/NCT00210548

FDA issues approvable letter for paliperidone ER for the treatment of schizophrenia. Pressemitteilung vom 29. September 2006. http:// www.janssen.com

Psychopharmakotherapie 2006; 13(06)