Akuter Schlaganfall

Neues Antioxidans mindert Behinderungsgrad


Dr. Barbara Kreutzkamp, München

In einer randomisierten doppelblinden, Plazebo-kontrollierten Studie verminderte das Antioxidans NXY-059 (Cerovive) den Behinderungsgrad der Patienten 90 Tage nach dem Ereignis. NXY-059 wird innerhalb der ersten sechs Stunden nach Auftreten der ersten Symptome über 72 Stunden als intravenöse Infusion gegeben. Die Verträglichkeit ist gut.

Hintergrund

Der ischämische Schlaganfall ist in den industrialisierten Ländern die zweithäufigste Todesursache und einer der häufigsten Gründe für Behinderungen bei Erwachsenen. Für die Akuttherapie steht nur Alteplase (Actilyse®) zur Verfügung. Das Fibrinolytikum muss in den ersten drei Stunden nach dem Ereignis gegeben werden. Außerdem besteht ein erhöhtes Blutungsrisiko. Die Substanz wird daher bei nur etwa 5% der Patienten eingesetzt.

Bei der Suche nach anderen (ergänzenden) Therapieverfahren ist die Neuroprotektion durch antioxidative Wirkstoffe ein viel versprechendes Ziel. Denn die Schlaganfall-bedingten Hirnläsionen werden zu einem wesentlichen Teil durch die Gewebeoxidation hervorgerufen – ein Prozess, der durch freie Radikale in Gang gesetzt wird. In Tierversuchen wurde der antioxidative Ansatz zur Verhinderung von dauerhaften Gewebeschäden nach thrombotischem Hirninfarkt bereits erfolgreich getestet. Nun steht mit der Substanz NXY-059 ein Radikalfänger zur Verfügung, der die Hürden bis zum klinischen Einsatz beim Menschen geschafft hat. Die SAINT-I-Studie (Stroke-acute ischemic NXY treatment) ist die erste Wirksamkeitsstudie am Menschen.

Design

In einer randomisierten, doppelblinden, Plazebo-kontrollierten Studie bekamen 1722 Patienten (Durchschnittsalter 68,4 Jahre) mit akutem ischämischem Schlaganfall randomisiert innerhalb von sechs Stunden nach dem Auftreten der ersten Symptome 72 Stunden lang eine intravenöse Plazebo-Infusion oder eine Infusion mit NXY-059. Die Infusionsrate von NXY-059 betrug in der ersten Stunde 2270 mg und wurde dann die nächsten 71 Stunden mit 480 bis 960 mg pro Stunde fortgeführt, die NXY-059-Zielkonzentration wurde auf 260 µmol/l festgelegt.

Primäres Zielkriterium war der Behinderungsgrad nach 90 Tagen, ermittelt anhand der Veränderungen auf einer modifizierten Rankin-Skala für Behinderung. Bei dieser Skala von 0 bis 5 entspricht 0 keiner bleibenden Behinderung, 5 einer Bettlägerigkeit und Erfordernis einer 24-Stunden-Pflege.

Ergebnis

Die Daten von 1699 Patienten wurden ausgewertet, 850 hatten NXY-059 und 849 hatten Plazebo bekommen. Dabei verbesserte das Antioxidans die Score-Gesamtverteilung auf der modifizierten Rankin-Skala im Vergleich zu Plazebo signifikant (p=0,038). Das Odds-Ratio für eine Verbesserung über alle Kategorien der Skala betrug 1,20. Letalität und Zahl schwerer und leichterer unerwünschter Ereignisse waren insgesamt vergleichbar in beiden Gruppen. Ausnahmen gab es beispielsweise bei einer Hypokaliämie während der Infusion, die bei 6,4% der NXY-059-Patienten und bei 4,4% der Plazebo-Patienten auftrat.

Beim vorab definierten neurologischen Wirksamkeitsparameter, gemessen anhand der National Institutes of Health Stroke Scale (NIHSS), kam es zu keinen Veränderungen bei den beiden Gruppen: Die Differenz zwischen den Ausgangswerten und Werten zum Ende der Studie lag bei 0,1 (p=0,86). Entsprechend wurde auch beim Barthel-Index keine Verbesserung in beiden Gruppen gesehen (p=0,14).

In einer post hoc durchgeführten Analyse bei mit Alteplase behandelten Patienten zeigte sich, dass NXY-059 sowohl die hämorrhagische Transformation (p=0,001) als auch symptomatische intrakranielle Blutungen (p=0,036) signifikant reduziert hatte.

Fazit und Diskussion

Der Einsatz des Antioxidans NXY-059 unmittelbar nach einem akuten Schlaganfall reduziert die Behinderung 90 Tage nach dem Ereignis signifikant: Im Vergleich zu Plazebo waren 4,4% der Patienten ohne Behinderung (Score 0 in der modifizierten Rankin-Skala) und 3,7% konnten ohne Hilfe gehen (Score 0 bis 3). Der NIHSS, bei dem sich keine Differenzen zwischen den Gruppen feststellen ließen, ist primär ein Messinstrument zur Feststellung der Schwere des Schlaganfalls und wird meist zur Patienten-Stratifizierung zu Studienbeginn eingesetzt. Als Messinstrument für das Behandlungsergebnis ist diese Skala weniger geeignet, so die Autoren der Studie; die Aufnahme der Skala als Wirksamkeitsparameter war durch die europäischen Behörden befürwortet worden.

Dass es unter der Verum-Medikation zu einer Verminderung von intrazerebralen Blutungen kam (allerdings erst festgestellt in einer Post-hoc-Analyse), spricht für das antioxidative Potenzial von NXY-059 und seine Schutzwirkung auf Endothelzellen gegenüber oxidativem Stress.

Insgesamt scheint damit das Konzept der Neuroprotektion beim akuten Schlaganfall nun auch in der Klinik nachweisbar, nachdem es sich in Tierversuchen schon bewährt hatte. Nun müssen größere Studien das Ergebnis bestätigen – die SAINT-II-Studie mit 3200 Schlaganfall-Patienten läuft zurzeit.

Quelle

Lees KR, et al. NXY-059 for acute ischemic stroke. N Engl J Med 2006;354:588–600.

Psychopharmakotherapie 2006; 13(06)