Multiple Sklerose

Langzeiterfahrungen mit Glatirameracetat


Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg

Eine Therapie mit Glatirameracetat (Copaxone®) über einen Behandlungszeitraum von bis zu 12 Jahren ist wirksam und verträglich. Die Langzeiterfahrungen mit der immunmodulatorisch wirksamen Substanz wurden im Rahmen eines von den Firmen Sanofi-Aventis und TEVA veranstalteten Fachpresse-Gesprächs im Juli 2006 vorgestellt.

Bisher gilt die Vorstellung, dass die multiple Sklerose eine entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems darstellt, die mit einer selektiven Zerstörung der Myelinscheiden einhergeht. Nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen kommt es jedoch auch zu einem nicht unbeträchtlichen irreversiblen Verlust von Nervenfasern, die sogar unabhängig von entzündlichen Veränderungen im zentralen Nervensystem nachgewiesen werden können, und zwar bereits von Anfang an. Auch in klinisch unauffälligen Phasen ohne Schübe der Erkrankung sind diese fortschreitenden Axonschäden, deren Pathogenese bisher noch weitgehend ungeklärt ist, nachweisbar. Nach neueren Untersuchungen dürfte das permanente und fortschreitende neurologische Defizit von Patienten mit multipler Sklerose wesentlich stärker durch die axonale Schädigung als durch die Entzündung determiniert werden. Daraus ergibt sich für die Therapie, dass eine solche nicht ausschließlich auf die reine Prävention von Entzündung und Entmarkung abzielen, sondern auch Aspekte der Protektion von Axonen und Neuronen berücksichtigen sollte.

Solche Therapiestrategien basieren auf neueren Erkenntnissen, nämlich dass eine entzündliche Aktivität nicht nur für negative Effekte im Gehirn, wie Entmarkung oder Nervenzelltod, verantwortlich ist, sondern auch neuroprotektiv wirken kann. Dies gilt insbesondere für Immunzellen, die nach ihrer Aktivierung neuroprotektive Faktoren freisetzen, vorausgesetzt sie gelangen in das Gehirn und in die Läsionen der Patienten.

Für Glatirameracetat (Copaxone®) konnte in tierexperimentiellen, In-vitro- und MRT-Studien gezeigt werden, dass die tägliche Injektion zur Induktion von vor Ort protektiv wirkenden Immunzellen führt. Die Vielfalt des in Glatirameracetat enthaltenen Peptidgemischs hat den Vorteil, dass der Wirkstoff unabhängig vom jeweiligen genetischen Hintergrund bei allen Patienten mit multipler Sklerose eingesetzt werden kann. Die durch Glatirameracetat induzierten Immunzellen setzen im Gehirn sowohl antientzündliche Wirkstoffe, wie Zytokine, als auch neuroprotektive Faktoren, wie den Brain-derived neurotrophic Factor (BDNF), frei. Viele Neuronen in den Läsionen exprimieren auf ihrer Zelloberfläche Rezeptoren für solche neuroprotektiven Faktoren. Aus klinischer Sicht spricht für einen neuroprotektiven Effekt von Glatirameracetat, dass unter der Therapie signifikant seltener aus frischen Läsionen permanente „Black Holes“, die als MRT-Korrelate der irreversiblen Axonverluste gelten, entstehen.

Vor dem Hintergrund, dass in für die Zulassung relevanten Studien die Wirksamkeit und Sicherheit der jeweiligen Präparate nur über eine Zeitspanne von 2 bis 3 Jahren exakt erfasst wird, stellt sich die Frage, welche Wirkungen und Nebenwirkungen bei darüber hinaus gehender Therapiezeit auftreten können. Für Glatirameracetat konnten jetzt im Rahmen einer prospektiven Beobachtungsstudie über 12 Jahre Langzeitwirkungen erfasst werden. Dabei zeigte sich bei Patienten mit schubförmiger multipler Sklerose im Rahmen einer modifizierten Intention-to-treat-Analyse über 12 Jahre und einer mittleren Therapiedauer über 8 Jahre ein im Verlauf deutlicher Rückgang der Entzündungsaktivität von 1,2 Schüben pro Jahr vor Therapiebeginn auf weniger als 0,2 Schübe im 12. Therapiejahr und dies bei guter Verträglichkeit.

Quellen

Dr. med. Tjalf Ziemssen, Dresden, Priv.-Doz. Dr. med. Jürgen Koehler, Mainz, Fachpresse-Gespräch „Aktiv leben mit Multipler Sklerose“, veranstaltet von Sanofi-Aventis und TEVA, Bühl, 15. Juli 2006.

Ford CC, et al. A prospective open-label study of glatiramer acetate over a decade of contiuous use in MS patients. Multiple Sclerosis 2006:12:309–20.

Psychopharmakotherapie 2006; 13(06)