Moderne Pharmakotherapie in der Neurologie


Heinz Reichmann, Dresden

Viele Jahrzehnte hat man der Neurologie vorgeworfen, dass sie zwar eine äußerst intelligente medizinische Disziplin sei, die detektivisches Befragen und kluges Kombinieren sowie ausgeklügeltes Untersuchen verlangt, dann aber bei der Therapie kläglich versagt. Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems galten nämlich lange als nicht therapierbar. Die heutige Neurologie ist ganz anders aufgebaut und hat ein gesundes Selbstbewusstsein bezüglich ihrer therapeutischen Möglichkeiten. Auch in diesem Heft werden Krankheitsbilder diskutiert, die früher als eher schicksalsgegeben angenommen werden mussten, die man mit Selbstdisziplin und Rückzug von den Aktivitäten des täglichen Lebens aushalten und überstehen musste.

Meine eigenen Erfahrungen mit dem neuen Migräneprophylaktikum Topiramat werden von Gendolla und Diener objektiviert und substanziiert. Topiramat ist ein hervorragendes Prophylaktikum, das die unangenehmen Nebenwirkungen der Betablocker, von Flunarizin und Gabapentin nicht aufweist. Im Gegensatz zu vielen anderen Migränepräparaten ist Topiramat für unsere weiblichen Patienten deswegen attraktiv, weil es das Körpergewicht nicht nur nicht erhöht, sondern im Gegenteil sogar leicht reduziert.

Beim Restless-Legs-Syndrom, einer Erkrankung, die über viele Jahre ob ihrer organischen Existenz kritisch gesehen wurde, zeichnet sich ein Paradigmenwandel in der Therapie ab. In vielem ähneln die Probleme der Levodopa-Therapie beim Restless-Legs-Syndrom denjenigen beim idiopathischen Parkinson-Syndrom. Während der frühe Einsatz von Levodopa bei Parkinson-Patienten zu Dyskinesien führt, führt der frühe und hoch dosierte Einsatz von Levodopa bei Patienten mit Restless-Legs-Syndrom zum Auftreten von Augmentation. Ähnlich wie bereits bei der Parkinson-Krankheit geschehen, zeichnet sich ab, dass in künftigen Leitlinien der primäre Einsatz von Dopamin-Agonisten empfohlen werden wird.

Die Narkolepsie war ein drittes Beispiel für eine nur schlecht und mühsam behandelbare neurologische Erkrankung. Mit Natriumoxybat eröffnet sich jetzt für diese Patienten ebenfalls eine neue Hoffnung, ihre gesellschaftlich stigmatisierende Erkrankung überwinden zu können. Zugegeben wird aber insbesondere dieses Präparat in der Hand des Spezialisten bleiben müssen.

Ich bin somit überzeugt, dass die drei Übersichtsarbeiten unterstreichen werden, wozu die moderne neurologische Therapie in der Lage ist. Für das neurologische Fachgebiet ebenfalls interessant ist ein Bericht über einen Grand-Mal-Anfall bei der Kombination von Amitriptylin und Paroxetin, aber auch die kritische Evaluation des Rivastigmins in der Demenz-Therapie bei Patienten mit geistiger Behinderung. Abgerundet wird dieses interessante Heft der PPT durch eine Untersuchung, ob Olanzapin die Aggressivität bei Strafgefangenen reduzieren hilft.

Ich wünsche den Lesern viel Freude bei der Lektüre dieses Hefts.

Psychopharmakotherapie 2006; 13(05)