Metabolisches Syndrom, Diabetesrisiko und psychische Erkrankungen


Epidemiologie, Risikofaktoren und Monitoring

Kai G. Kahl und Ulrich Schweiger, Lübeck

Das metabolische Syndrom ist ein Risikofaktor für die Entwicklung von kardiovaskulären Erkrankungen und Diabetes mellitus, die zu den führenden Ursachen für Morbidität und Mortalität zählen. Trotz intensiver Bemühungen um gesundheitliche Aufklärung und Etablierung von Präventionsprogrammen ist weltweit eine Zunahme des metabolischen Syndroms und dessen Folgeerkrankungen zu beobachten. Psychische Erkrankungen, besonders affektive und schizophrene Störungen, sind überzufällig häufig mit Diabetes mellitus und kardiovaskulären Erkrankungen assoziiert. Eine ungesunde Lebensweise („lifestyle“), mangelnde Adhärenz an Therapieprogramme, überlappende pathophysiologische Mechanismen und genetische Faktoren wurden als Erklärung vorgeschlagen. In diesem Zusammenhang wurde auch auf metabolische Risiken einer Behandlung mit atypischen Neuroleptika hingewiesen. Im vorliegenden Artikel werden epidemiologische und pathophysiologische Aspekte des metabolischen Syndroms bei depressiven und schizophrenen Störungen beschrieben, und Hinweise für ein Monitoring von Patienten unter neuroleptischer Medikation gegeben.
Schlüsselwörter: Metabolisches Syndrom, atypische Neuroleptika, Major Depression, Schizophrenie Psychopharmakotherapie 2006;13:43–8.

Das metabolische Syndrom ist ein Cluster metabolischer Veränderungen, der als eigenständiger Risikofaktor für die Entwicklung kardiovaskulärer Erkrankungen und Diabetes mellitus gilt [41]. Zum metabolischen Syndrom werden eine Störung des Glucose-Metabolismus, Dyslipidämie, abdominale Adipositas und erhöhter Blutdruck gezählt (Tab. 1). Jede der einzelnen Komponenten des metabolischen Syndroms ist für sich genommen ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität, das Risiko addiert sich bei Vorliegen mehrerer Faktoren. Prothrombotische und proinflammatorische Faktoren werden ebenfalls zum metabolischen Syndrom gerechnet, haben allerdings noch keinen Eingang in die Klassifikation gefunden.

Tab. 1. Unterschiedliche Kriterien des metabolischen Syndroms nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des US-amerikanischen National Cholesterol Education Program (NCEP) – Adult Treatment Panel III (ATP III). Nach ATP III müssen drei von fünf Kriterien zur Diagnosestellung erfüllt sein. Die WHO-Definition erfordert mindestens zwei Kriterien sowie zusätzlich das Vorliegen eines Diabetes mellitus, Insulin-Resistenz oder Glucose-Toleranzstörung [41, 46].

WHO-Definition

NCEP-ATP-III-Definition

Kriterium

Grenzwert

Kriterium

Grenzwert

Adipositas
oder WHR

BMI >30 kg/m2
Männer >0,90
Frauen >0,85

Abdominale Adipositas
Bauchumfang
Bauchumfang


Männer >102 cm
Frauen >88 cm

Dyslipidämie
Triglyceride
HDL-Cholesterol
HDL-Cholesterol


>150 mg/dl
Männer <35 mg/dl
Frauen <40 mg/dl

Dyslipidämie
Triglyceride
HDL-Cholesterol
HDL-Cholesterol


>150 mg/dl
Männer <40 mg/dl
Frauen <50 mg/dl

Blutdruck

>140/90

Blutdruck

>130/85
(oder antihypertensive Therapie)

Mikroalbuminurie

Ausscheidung über Nacht >20 µg/ml

Blutzucker

>110 mg/dl
(oder antidiabetische Therapie)

Abkürzungen: BMI = Body-Mass-Index [kg/m2], WHR = Waist-to-Hip-Ratio (Taille-Hüft-Quotient)

Derzeit gibt es zwei unterschiedliche Definitionen des metabolischen Syndroms, die in Tabelle 1 wiedergegeben sind. Nach den ATP-III-Kriterien des National Cholesterol Education Program (NCEP) wird die Diagnose gestellt, wenn mindestens drei von fünf Kriterien erfüllt sind [41, 46]. Die WHO-Kriterien sind ähnlich und unterscheiden sich vor allem dadurch, dass zur Diagnosestellung das Vorliegen eines Diabetes mellitus, Insulin-Resistenz oder Glucose-Toleranzstörung zusätzlich zu mindestens zwei weiteren Kriterien der Liste gefordert werden (Tab. 1) [41]. Trotz der unterschiedlichen Definitionen werden etwa 85% Übereinstimmung bei der Diagnosestellung erreicht [17]. Risikofaktoren für das metabolische Syndrom sind in Tabelle 2 dargestellt.

Tab. 2. Beeinflussbare und unbeeinflussbare Risikofaktoren für die Entwicklung eines metabolischen Syndroms. Psychische Erkrankungen sind aufgrund endokriner und immunologischer Veränderungen und durch verändertes Gesundheitsverhalten ein Risikofaktor für das metabolische Syndrom.

Risikofaktoren für das metabolische Syndrom

Unbeeinflussbar

Beeinflussbar

Genetische Vulnerabilität

Sportliche Aktivität

Alter

Ernährungsgewohnheiten

Geschlecht

Rauchen

Ethnische Zugehörigkeit

Alkoholkonsum

Glucocorticoide

Körperliche Erkrankungen: M. Cushing, Syndrom der polyzystischen Ovarien

Psychische Erkrankungen: Major Depression, schizophrene Psychose

Prävalenz des metabolischen Syndroms in nicht-psychiatrischen Populationen

Epidemiologische Studien weisen auf eine hohe Prävalenz des metabolischen Syndroms hin, die mit dem Alter zunimmt. Daten der NHANES-Studie (National Health and Nutrition Examination Survey) ergaben eine Prävalenz von 7% bei den 20- bis 29-jährigen Teilnehmern und über 40% bei den über 60-jährigen. Frauen hatten in allen Altersgruppen eine höhere Prävalenz für das metabolische Syndrom als Männer [18]. Die Prävalenz des metabolischen Syndroms steigt bei Übergewicht und Adipositas. Darüber sind Lebensstilfaktoren und genetische Faktoren in der Entwicklung des metabolischen Syndroms relevant. In der Studie von Ford et al. wurde die höchste Prävalenz des metabolischen Syndroms bei mexikanisch-stämmigen US-Amerikanerinnen beobachtet (im Gegensatz zu US-Amerikanerinnen kaukasischer oder afrikanischer Abstammung) [18].

Prävalenz des metabolischen Syndroms bei depressiven und schizophrenen Störungen

Depressive und schizophrene Störungen sind mit einem 2- bis 3fach erhöhten Lebenszeit-Risiko für die Entwicklung eines Diabetes mellitus assoziiert. Zur Prävalenz des metabolischen Syndroms bei diesen Erkrankungen liegen bislang wenige Untersuchungen vor.

In einer Studie an 35 finnischen Patienten mit lange bestehender Schizophrenie im Alter zwischen 25 und 61 Jahren wurde bei 37% ein metabolisches Syndrom gefunden. Verglichen mit einer psychisch gesunden Gruppe aus derselben finnischen Region ergab sich eine 2- bis 4fach erhöhte Prävalenz des metabolischen Syndroms bei schizophrenen Patienten [23, 57]. Die Studie erbrachte keinen Anhalt für einen Zusammenhang zwischen der Einnahme neuroleptischer Medikation (konventionelle Neuroleptika, Clozapin, Olanzapin) oder der Dauer der Einnahme neuroleptischer Medikation mit dem Auftreten eines metabolischen Syndroms. In einer weiteren Studie an 125 schizophrenen Patienten (16 bis 65 Jahre) wurde bei 51% der ambulant behandelten Patienten ein metabolisches Syndrom diagnostiziert [39].

Der Zusammenhang zwischen Major Depression und dem metabolischen Syndrom wurde im Rahmen der NHANES-III-Studie an 6189 Teilnehmern im Alter zwischen 17 und 39 Jahren untersucht [33]. Eine Major Depression lag bei 177 von 3186 männlichen Teilnehmern (6,1%) und bei 368 der 3003 Teilnehmerinnen (13,4%) vor. In der Gruppe der depressiven Frauen war die Prävalenz des metabolischen Syndroms doppelt so hoch wie in der Gruppe der nicht-depressiven Frauen (12,3% vs. 6,3%). Auch in der Gruppe männlicher Teilnehmer fand sich eine erhöhte Prävalenz des metabolischen Syndroms bei depressiven Männern im Vergleich zu nicht-depressiven Männern (11,7% vs. 8,2%), wenngleich dieser Unterschied statistisch nicht signifikant war. In dieser Untersuchung wurde für gesundheitsrelevante Faktoren (Rauchen, Aktivität, Alkoholkonsum, Ernährung) kontrolliert.

Zusammengefasst zeigen bisherige Studien eine erhöhte Prävalenz des metabolischen Syndroms bei schizophrenen und depressiven Erkrankungen. Auch nach Kontrolle für gesundheitsrelevante Lebensstilfaktoren konnte dieses Ergebnis bestätigt werden.

Hypothesen zur Pathophysiologie des metabolischen Syndroms bei depressiven und schizophrenen Störungen

Genetische Vulnerabilität

Bei bis zu 30% der Patienten mit einer schizophrenen oder depressiven Störung lässt sich in der Familienanamnese ein Diabetes mellitus nachweisen, und genetische Faktoren sind in der Ätiologie der Schizophrenie, Depression, dem metabolischen Syndrom und beim Diabetes mellitus gleichermaßen bedeutsam [32, 44, 45, 56]. Deshalb konzentriert sich die aktuelle Forschung auf die Identifikation von Suszeptibilitätsgenen, die eine Vulnerabilität für psychische und metabolische Erkrankungen vermitteln.

Ein weiterer Mechanismus für eine gemeinsame Vulnerabilität psychischer und metabolischer Erkrankungen wurde im Zusammenhang mit Faktoren des intrauterinen Milieus diskutiert. Mittlerweile wird durch eine Vielzahl von Studien eine Assoziation von niedrigem Geburtsgewicht und verändertem Glucose-Metabolismus im späteren Lebensalter belegt. Die meisten Studien zeigten eine inverse Beziehung zwischen Geburtsgewicht und erhöhten Plasma-Glucose- und Insulin-Konzentrationen, Prävalenz für Diabetes mellitus Typ 2, Insulin-Sekretion und relativer Insulin-Resistenz [47]. Pränatale Komplikationen, Geburtskomplikationen und niedriges Geburtsgewicht sind darüber hinaus Risikofaktoren für die spätere Entwicklung affektiver und schizophrener Erkrankungen [28].

Gesundheitsverhalten

Eine Reihe von Studien belegt den Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und ungesunder Lebensweise. Hierzu zählen Substanz-assoziierte Störungen (besonders Zigaretten rauchen), Bewegungsmangel, Diätfehler und Adipositas [31, 42, 43]. Darüber hinaus zeigen Studien an Patienten mit körperlicher Erkrankung und Depression, dass depressive Patienten seltener die ärztlich empfohlenen Therapieprogramme einhalten und auch beim Auftreten von Komplikationen seltener ärztliche Hilfe aufsuchen [62]. Mangelhaftes Gesundheitsverhalten trägt mit dazu bei, dass bei psychisch kranken Patienten häufiger Komplikationen körperlicher Erkrankungen (beispielsweise diabetische Retinopathie im Zusammenhang mit Diabetes mellitus) auftreten.

Dysregulation des Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Systems (HHNS) und Dysbalance pro- und antiinflammatorischer Zytokine

Sowohl bei Patienten mit Major Depression als auch bei Schizophrenie wurde eine Dysregulation des HHNS mit konsekutivem relativem Hyperkortisolismus beschrieben [25, 49]. Subklinischer Hyperkortisolismus wird als relevanter pathophysiologischer Faktor im Zusammenhang mit der Entwicklung eines metabolischen Syndroms und dessen Folgeerkrankungen diskutiert.

Bei Patienten mit Cushing-Syndrom, das durch Hyperkortisolismus charakterisiert ist, wurde eine erhöhte Prävalenz für das metabolische Syndrom und Diabetes mellitus gefunden. Hyperkortisolismus ist bei diesen Patienten assoziiert mit einer Zunahme abdominaler Fettdepots, verschlechterter Glucose-Toleranz, relativer Insulin-Resistenz und Dyslipidämie [11, 58].

Ergebnisse mehrerer Arbeitsgruppen sprechen für eine Dysbalance pro- und antiinflammatorischer Zytokine im Rahmen schwerer depressiver Episoden [13, 30, 40]. Bei Patienten mit chronischer und mit therapieresistenter Depression wurden außerdem über die aktuelle Phase hinaus bestehende Erhöhungen von Tumornekrosefaktor alpha (TNF-α) und Interleukin 6 (IL-6) gefunden. Diese Veränderungen wurden im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung depressiver Symptome diskutiert [30]. Neuere Befunde legen darüber hinaus eine Rolle veränderter Zytokin-Konzentrationen für die Entwicklung von Insulin-Resistenz und Diabetes mellitus nahe. TNF-α und IL-6 interagieren mit dem Insulin-Rezeptor und modulieren die Signaltransduktion, so dass die Insulin-Wirkung abnimmt. TNF-α und IL-6 stimulieren die Freisetzung von diabetogenen Hormonen (adrenocorticotropes Hormon, Corticotropin-Releasing-Hormon [CRH], Somatotropin [GH]) und modulieren die Aktivität des HHNS. Darüber hinaus wird für TNF-α und IL-6 eine pathophysiologische Rolle beim Untergang Insulin-produzierender pankreatischer Beta-Zellen angenommen [1, 7, 14, 27]. Zusammengefasst sprechen diese Befunde dafür, dass die endokrinen und immunologischen Veränderungen im Kontext depressiver und schizophrener Erkrankungen zu metabolischen Veränderungen und Veränderungen der Glucose-Homöostase beitragen können.

Abdominale Adipositas und intra-abdominales Fettgewebe (IAF) bei Depression und Schizophrenie

Depressive und schizophrene Patienten sind häufig übergewichtig (BMI zwischen 25 und 30) oder adipös (BMI >30) [8, 31, 42, 43]. Das Risiko für metabolische Erkrankungen steigt mit einem höheren BMI [5]. Der regionalen Fettverteilung kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Eine Vergrößerung des intraabdominalen (viszeralen) Fettgewebskompartiments ist auch bei normalgewichtigen Personen mit einem höheren Risiko für das metabolische Syndrom und Diabetes mellitus assoziiert [6, 58]. Intraabdominales Fettgewebe (IAF) unterscheidet sich in seinen Stoffwechseleigenschaften von subkutanem und retroperitonealem Fettgewebe. Es ist durch eine hohe Lipolyse-Aktivität (mit der Folge vermehrter freier Fettsäuren) und Cortisol-Sensitivität charakterisiert. IAF ist darüber hinaus eine Quelle für die Stoffwechsel-aktiven Zytokine IL-6, TNF-α, Leptin, Resistin und Adiponectin [58]. Deshalb ist das IAF eine wichtige Relaisstation für die unterschiedlichen Facetten des metabolischen Syndroms (Glucose-Intoleranz, Hypertonus, Insulin-Resistenz und Dyslipidämie).

Die Veranlagung für erhöhtes IAF wird genetisch moduliert, gleichermaßen beeinflusst IAF die genetische Suszeptibilität für die Entwicklung eines metabolischen Syndroms und dessen Folgekrankheiten [15, 16].

Bei Patienten mit Depression oder Schizophrenie wurde in mehreren Studien eine Vergrößerung des IAF beobachtet [48, 53, 54, 60]. In einer Untersuchung an jungen (mittleres Alter unter 30 Jahre) und im Mittel normalgewichtigen depressiven Patienten mit und ohne Borderline-Persönlichkeitsstörung zeigte sich ein vergrößertes IAF bei depressiven Patienten gegenüber Kontrollprobanden. Dieser Unterschied war stärker ausgeprägt, wenn zusätzlich zur Depression eine Borderline-Persönlichkeitsstörung bestand. Das IAF-Volumen korrelierte mit dem Ausmaß der Insulin-Resistenz und der IL-6-Serumkonzentration [29]. Diese Befunde weisen auf die pathophysiologische Relevanz eines vergrößerten intraabdominalen Fettgewebekompartiments (trotz normalem BMI) für den Glucose-Metabolismus hin.

Neuroleptische Medikation und das Risiko für metabolische Veränderungen und Diabetes mellitus

Schon bald nach der Einführung der Phenothiazine zur Behandlung schizophrener Erkrankungen wurde beobachtet, dass die Inzidenz für Diabetes mellitus Typ 2 in dieser Patientengruppe anstieg (von 4,2% im Jahr 1956 auf 17,2% im Jahr 1968). Diese Beobachtung führte zur Etablierung des Begriffs „Phenothiazin-Diabetes“ in der wissenschaftlichen Literatur [55]. Die Mehrheit der Untersuchungen weist mittlerweile darauf hin, dass die Einnahme konventioneller und atypischer Neuroleptika mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten eines Diabetes mellitus assoziiert ist [26]. Die Assoziation zwischen der Einnahme von atypischen Neuroleptika, veränderter Glucose-Regulation und Diabetes mellitus steht dabei im Fokus des wissenschaftlichen Interesses und wird im Folgenden ausführlicher diskutiert:

In einer Reihe von Studien wurde das relative Risiko für Diabetes mellitus unter der Therapie mit typischen und atypischen Neuroleptika untersucht [4, 9, 19–21, 34–37, 59]. Die Ergebnisse dieser Studien waren zum Teil widersprüchlich. Einige Studien fanden ein höheres Risiko für Diabetes mellitus im Zusammenhang mit der Einnahme von Clozapin und Olanzapin (gegenüber typischen Neuroleptika), andere Studien konnten diesen Zusammenhang nicht oder nur teilweise (höheres Diabetesrisiko für Clozapin gegenüber konventionellen Neuroleptika) bestätigen.

In einer viel zitierten Studie von Sernyak und Mitarbeitern wurde eine retrospektive Analyse von Krankenversicherungsdaten von mehr als 38 632 Personen durchgeführt. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass die Einnahme von atypischen Neuroleptika (Clozapin, Olanzapin, Risperidon, Quetiapin) mit einem höheren Risiko für Diabetes mellitus assoziiert war als die Einnahme typischer Neuroleptika, besonders in der Gruppe jüngerer Patienten [50]. In einer neueren Studie konnte dieses Ergebnis allerdings nicht bestätigt werden, obwohl auch in dieser Untersuchung die Inzidenz für neu aufgetretenen Diabetes mellitus unter der Therapie mit Clozapin am höchsten war [37].

Die vorhandenen Daten sind aus einer Reihe von Gründen nicht eindeutig zu interpretieren: Viele der aufgeführten Studien sind retrospektive Analysen, die Kriterien zur Diagnose eines Diabetes mellitus sind von Studie zu Studie unterschiedlich, und für entscheidende Störvariablen wie Alter, ethnische Zugehörigkeit, Ernährungsgewohnheiten, Aktivität, Rauchverhalten, Polypharmakotherapie, Einnahmeverhalten (für die verschriebenen Medikamente), Schweregrad der psychiatrischen Erkrankung oder medikamentöse Umstellung im Behandlungsverlauf wurde nicht kontrolliert. So könnten die in den Studien beobachteten Unterschiede auch dadurch erklärt werden, dass die mit typischen Neuroleptika behandelten Patienten aufgrund der damit verbundenen extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen die Medikation unregelmäßiger oder gar nicht eingenommen haben (Störvariable: Compliance). Die Diagnose eines neu aufgetretenen Diabetes mellitus unter der Therapie mit atypischen Neuroleptika könnte auch mit dem Schweregrad der Erkrankung oder weiteren psychiatrischen Komorbiditäten zusammenhängen. Tatsächlich hatten in der Studie von Sernyak und Mitarbeitern mehr Patienten, die mit atypischen Neuroleptika behandelt worden waren, die zusätzliche Diagnose einer Major Depression oder Alkoholabhängigkeit [50].

Einige der genannten Schwierigkeiten wurden in einer prospektiven Untersuchung von Lindenmayer et al. berücksichtigt. In dieser doppelblinden randomisierten Studie wurde das relative Diabetesrisiko an 157 Patienten prospektiv untersucht. Die Patienten erhielten Clozapin, Olanzapin, Risperidon oder Haloperidol für 14 Wochen. Vor Beginn der Studie wurde bei 4,5% (7/157) der Patienten ein Diabetes mellitus erstmals diagnostiziert. Innerhalb des Behandlungszeitraums entwickelten 9% (14/157) eine erhöhte Nüchtern-Glucose-Konzentration (>125 mg/dl), 6/27 (22%) der mit Clozapin behandelten, 4/22 (18%) der mit Olanzapin behandelten, 3/23 (13%) der mit Risperidon behandelten und 1/25 (4%) der mit Haloperidol behandelten Patienten [38]. Hinsichtlich des relativen Risikos einzelner Substanzen für neu aufgetretenen Diabetes mellitus ergaben sich aufgrund der kleinen Stichprobe keine signifikanten Unterschiede, es wurde allerdings ein Trend für ein erhöhtes Risiko unter Clozapin-Therapie gefunden. Clozapin, Olanzapin und Haloperidol waren mit erhöhten Glucose-Konzentrationen assoziiert, und unter Clozapin- und Olanzapin-Medikation wurden im Mittel höhere Gesamt-Cholesterol-Konzentrationen gemessen als vor der Behandlung [38].

Die der Neuroleptika-assoziierten Diabetesentwicklung zugrunde liegenden Mechanismen werden derzeit intensiv untersucht. Zwei Hypothesen sind in diesem Zusammenhang relevant: Konsequenzen einer Neuroleptika-assoziierten Gewichtszunahme für den Glucose- Metabolismus, und mögliche Effekte auf die Funktion pankreatischer Beta-Zellen. Unter der Therapie mit Risperidon und Olanzapin wurde für beide Substanzen eine Abnahme der Insulin-Sensitivität an psychisch gesunden Probanden gezeigt. Dieser Effekt war nach Adjustierung für Gewicht nicht mehr signifikant. Die Insulin-Sekretion war auch nach prolongierter hyperglykämischer Belastung nicht eingeschränkt, so dass Effekte dieser Substanzen auf die Funktion pankreatischer Beta-Zellen unwahrscheinlich sind [52].

Die zweite Hypothese bezieht sich auf die unter vielen Neuroleptika beobachtete Gewichtszunahme. Dieses Phänomen ist bei den atypischen Substanzen Clozapin und Olanzapin stärker ausgeprägt als bei Ziprasidon und Aripiprazol, obwohl es auch unter den letztgenannten Substanzen zu einer Gewichtszunahme kommen kann [2, 3]. Für die Hypothese eines Zusammenhangs zwischen Neuroleptika-assoziierter Gewichtszunahme und Diabetesentwicklung spricht, dass das Diabetesrisiko mit steigendem BMI zunimmt [5]. Für Risperidon und Olanzapin wurde darüber hinaus eine Zunahme des intraabdominalen Fettgewebes im Rahmen der Therapie gezeigt [48]. Aus den genannten Daten folgt, dass bei Patienten unter neuroleptischer Medikation ein regelmäßiges Gewichtsmonitoring durchgeführt werden sollte (Tab. 3). Entscheidend ist, Patienten mit hoher Gewichtszunahme unter der Neuroleptika-Medikation zu identifizieren. Eine Erhöhung des BMI um einen Punkt (je nach Größe 3–5 kg) erscheint als tolerabel, zumal durch gesundheitsfördernde Interventionen eine Gewichtsabnahme erreicht werden kann. Bei Patienten mit einer höheren Gewichtszunahme sollten auch andere Interventionen (beispielsweise Bewegungsmanagement, Diätmanagement, Wechsel des Neuroleptikums) mit in die Erwägungen einbezogen werden. Limitierender Faktor zur Umstellung auf ein anderes Neuroleptikum ist in der Regel der psychopathologische Status des Patienten.

Tab. 3. Monitoring für Patienten, die eine neuroleptische Medikation erhalten [nach 3]. Das Lipidprofil sollte die Bestimmung von HDL-Cholesterol und Triglyceriden enthalten.

Basis-
diagnostik

Woche 4

Woche 8

Woche 12

¼-jährlich

Familienanamnese
Risikofaktoren

X

Body-Mass-Index
[kg/m2]

X

X

X

X

X

Alternativ:
Taillenumfang

X

X

X

Blutdruck

X

X

X

Nüchtern Lipide

X

X

X

Nüchtern Blutzucker

X

X

X

Der Einfluss einer neuroleptischen Medikation auf den Blutdruck wurde bislang lediglich in einer Studie für Clozapin gezeigt [24]. Möglicherweise liegt eine Verminderung der Aktivität der endothelialen NO-Synthase durch Clozapin zugrunde [51]. Auch wenn diese Befunde bislang nicht repliziert sind, sollte aufgrund des hohen prädiktiven Stellenwerts von erhöhtem Blutdruck für kardiale Ereignisse ein regelmäßiges Blutdruck-Monitoring durchgeführt werden (Tab. 3).

Unter den atypischen Neuroleptika wurde über eine höhere Häufigkeit von Dyslipidämien im Vergleich zu konventionellen Neuroleptika berichtet [61]. Im Einzelnen wurden Hypertriglyzeridämien (unter Clozapin, Olanzapin, Quetiapin und Risperidon) und Hypercholesterolämien berichtet. Die zugrunde liegenden Ursachen sind nicht bekannt. Diskutiert werden Veränderungen der Leptin-Konzentrationen, Effekte einer Appetit- und Gewichtszunahme und Veränderungen der Prolactin-Serumkonzentrationen. In der Praxis sollte ein Monitoring der Fettwerte vor und während der Therapie mit atypischen Neuroleptika erfolgen, um Risikopatienten rasch zu identifizieren (Tab. 3).

Atypische Neuroleptika und akute Ketoazidose

Eine bislang wenig beachtete Nebenwirkung unter der Therapie mit atypischen Neuroleptika ist die akut auftretende, reversible Ketoazidose [12, 22]. Mittlerweile legen retrospektive Studien an größeren Stichproben nahe, dass das Risiko zur Entwicklung einer akuten Ketoazidose unter der Therapie mit atypischen Neuroleptika bei etwa 0,2% (entsprechend jedem 500. Behandlungsfall) liegt [37]. Die akute Ketoazidose als Nebenwirkung einer neuroleptischen Therapie wurde zuerst im Zusammenhang mit der Einnahme von Clozapin und Olanzapin berichtet, wurde aber auch unter anderen atypischen Neuroleptika (Risperidon, Quetiapin) beobachtet. Über den Entstehungsmechanismus liegen bislang keine Daten vor. Möglicherweise handelt es sich um eine reversible Insulin-Sekretionsstörung bei vulnerablen Patienten. Andere Hypothesen gehen von einer veränderten zentralnervösen GABAergen Neurotransmission aus, die sekundär zu einer Insulin-Sekretionsstörung führt. Eine Assoziation mit Dosis oder Dauer der Einnahme einer neuroleptischen Medikation wurde bislang nicht berichtet. Klinik und Therapie der Neuroleptika-assoziierten Ketoazidose sind in der Tabelle 4 dargestellt.

Tab. 4. Klinik und Therapie der Neuroleptika-assoziierten Ketoazidose

Klinik

Hyperosmolares Koma mit quantitativer
Bewusstseinsstörung

Akuter Insulin-Mangel

Tritt häufig innerhalb der ersten Wochen nach
Beginn einer Therapie auf

Kein Zusammenhang zu Dauer der Einnahme
oder Gewichtszunahme

Periphere oder zentralnervös vermittelte Insulin-
Sekretionsstörung

Therapie

Bei Verdacht: Blutzucker-Kontrolle

Insulin-Gabe (z.B. initial 5–10 I.E.)

Möglichst intravenöser Zugang und Flüssigkeitssubstitution (1–2 l isotone Kochsalzlösung)

Evtl. Kaliumionen-Substitution

Notarzt oder internistischen Notdienst verständigen

Praktische Schlussfolgerungen

Nach den bislang vorliegenden Daten spricht vieles dafür, dass Patienten mit depressiven und schizophrenen Störungen ein erhöhtes Risiko haben, ein metabolisches Syndrom und entsprechende Folgeerkrankungen zu entwickeln. Pathophysiologische Gründe liegen möglicherweise in der teilweisen Überlappung von Krankheitsfaktoren wie subklinischer Hyperkortisolismus, Dysbalance pro- und antiinflammatorischer Zytokine, Veränderung der Körperzusammensetzung (IAF) und einer relativen Insulin-Resistenz während der akuten Phase der Erkrankung.

Ein weiterer wichtiger Faktor, der die Entwicklung eines metabolischen Syndroms fördert, liegt im Gesundheitsverhalten vieler Patienten mit psychischen Erkrankungen. Mangelnde Bewegung und Diätfehler wirken entscheidend zum Fortgang eines metabolischen Syndroms bei. Dabei sind diese Faktoren einer entsprechenden Verhaltensmodifikation gut zugänglich. Die bestehenden stationären und teilstationären Konzepte sollten vor dem Hintergrund der Beeinflussbarkeit metabolischer Parameter durch ein gezieltes Gesundheitsmanagement ausgebaut werden. Es ist wünschenswert, für psychisch kranke Patienten ein Programm zum Ernährungsmanagement (Anleitung zur gesunden Ernährung), Aufbau sportlicher Aktivität und Entwöhnung von Suchtmitteln („Raucherentwöhnung“, Schaffen rauchfreier Zonen) anzubieten. Für diese Bereiche liegen entsprechende Konzepte und Manuale vor, die an die Gegebenheiten vor Ort in der Regel angepasst werden können.

Typische und atypische Neuroleptika können zu Symptomen des metabolischen Syndroms beitragen. Darüber hinaus wurde für typische und atypische Neuroleptika eine erhöhte Inzidenz für Diabetes mellitus beschrieben. Aus diesen Gründen ist ein Monitoring von Patienten, die eine neuroleptische Medikation erhalten, zu empfehlen. Ein entsprechendes Schema wurde von mehreren Fachgesellschaften erarbeitet und ist leicht in den Behandlungsalltag zu integrieren [3]. Ziel des Monitorings ist es, diejenigen Patienten zu identifizieren, die erhebliche metabolische Veränderungen unter der Einnahme der Medikation zeigen. In diesen Fällen können gezielt weitergehende therapeutische Optionen durchgeführt werden. In jedem Fall sollte auch bei Neuroleptika-assoziierter Gewichtszunahme auf eine Verhaltensänderung gedrängt werden, weil dadurch eine Verbesserung von Stoffwechselparametern erreicht werden kann.

Die Neuroleptika-assoziierte Ketoazidose sollte dem Kliniker als potenzielle Nebenwirkung einer antipsychotischen Therapie geläufig sein. Bei frühem Erkennen und rascher Intervention ist diese Nebenwirkung nach Absetzen der auslösenden Substanz meist reversibel.

Es zeichnet sich derzeit ein Trend ab, prophylaktische medikamentöse Therapie (beispielsweise bei schizophrenen und affektiven Störungen) länger auszudehnen. Insofern werden metabolische und Verträglichkeitsaspekte einer psychopharmakologischen Langzeittherapie einen größeren Stellenwert in der Behandlung psychisch kranker Patienten bekommen. Dieser Aspekt sollte auch in Hinsicht auf die Planung von Interventionsstudien mit Medikamenten bedacht werden. Ein weiterer Aspekt ist die Notwendigkeit einer verstärkten interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Psychiatern, Hausärzten und Internisten (Diabetologen) im ambulanten und stationären Bereich. Die endemische Zunahme metabolischer Erkrankungen einerseits, die hohe Prävalenz psychischer Störungen andererseits, sollte zu einer umfassenden Sicht auf den Kranken über den Fachbereich hinweg Anlass geben.

The metabolic syndrome and diabetic risk in psychiatric patients. Epidemiology, risk factors, and monitoring

The metabolic syndrome is a risk factor for the development of cardiovascular disease and diabetes mellitus, leading causes of morbidity and mortality. The prevalence of the metabolic syndrome is increasing, although efforts are undertaken for prevention and health education programs. Psychiatric disorders, such as major depressive disorder and schizophrenia, are associated with a 2- to 3-fold increased risk for cardiovascular disorders and diabetes mellitus. Several factors have been discussed to contribute to this increased risk, including sedentary lifestyle, reduced adherence to treatment, pathophysiological and genetic factors. Furthermore, atypical neuroleptics have been discussed to contribute to symptoms of the metabolic syndrome. The article reviews epidemiological and pathophysiological aspects of the metabolic syndrome in major depressive disorder and schizophrenia, and proposes a monitoring protocol for patients on neuroleptic medication.

Keywords: Metabolic syndrome, atypical neuroleptics, major depression, schizophrenia

Literatur

Das Literaturverzeichnis finden Sie im Internet:

www.ppt-online.de > Inhalt > 2006 > Heft 2.

Dr. med. Kai G. Kahl, Prof. Dr. med. Ulrich Schweiger, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck, E-Mail: kahl.k@psychiatry.uni-luebeck.de

Psychopharmakotherapie 2006; 13(02)