Bipolare Störungen

Indikationserweiterung für Valproinsäure


Gabriele Blaeser-Kiel, Hamburg

2005 hat das BfArM ein lange bestehendes Hindernis für den – erstattungsfähigen – Einsatz von Valproinsäure als Stimmungsstabilisierer beseitigt. Die Erweiterung der Indikation von der Epilepsietherapie auf die „Behandlung von akuten Manien und Prophylaxe bipolarer Störungen“ gilt für die Verordnung von Retard-Valproinsäure, z.B. in Form von Retard-Minitabletten.

Die Erkenntnisse um den stimmungsstabilisierenden Effekt von Valproinsäure sind fast ebenso alt wie das Wissen um die antikonvulsive Wirksamkeit der Substanz. Die ersten klinischen Erfahrungen wurden bereits 1966 publiziert. Heute hat die Valproinsäure in einigen Ländern wie beispielsweise den USA sogar den „Goldstandard“ Lithium vom Platz eins in der Verordnungshäufigkeit bei der Indikation bipolare Störungen verdrängt.

Grundlage für den breiten Einsatz sind eine Vielzahl von kontrollierten Studien und Erfahrungsberichten zur zuverlässigen Wirksamkeit bei akuten Manien. Auch für die Langzeittherapie gibt es Daten, die zeigen, dass Valproinsäure mindestens ebenso gut wie Lithiumsalze vor einer manischen oder depressiven Exazerbation schützt.

Bewährt hat sich Valproinsäure insbesondere bei vermeintlich atypischen oder schweren Verläufen. Darunter fallen unter anderem das gleichzeitige Vorhandensein von manischen und depressiven Symptomen oder der sehr schnelle Wechsel von „Hoch-“ und „Tiefphasen“. Man schätzt, dass etwa 40% der Patienten an bipolaren Mischzuständen und 10 bis 20% an Rapid Cycling (mindestens vier Exazerbationen pro Jahr bis hin zum Stimmungsumschwung innerhalb von Stunden – zum Teil ohne euthymes Intervall) leiden. Für diese Klientel wird in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde die Valproinsäure als Medikament der ersten Wahl (vor Lithiumsalzen) empfohlen.

Darüber hinaus hat Valproinsäure aufgrund seiner angstlösenden und entzugsmindernden Eigenschaften einen hohen Stellenwert bei bipolaren Patienten mit Komorbidität. Dies ist ebenfalls keine kleine Gruppe: Bei mehr als 20% der Patienten liegt auch eine organische Erkrankung vor und bei fast 40% besteht gleichzeitig eine weitere psychiatrische Indikation – am häufigsten Angstsyndrome, Zwangsneurosen oder Essstörungen. Außerdem ist bei bipolaren Patienten das Risiko für Alkoholabusus etwa drei- (Männer) bis siebenmal (Frauen) höher als in der Allgemeinbevölkerung.

Die Zulassung von Valproinsäure als Retard-Minitabletten (Orfiril®long) hilft den Patienten auch bei der für eine dauerhafte Stimmungsstabilisierung unerlässlichen Compliance. Aufgrund ihrer geringen Größe (Durchmesser etwa 2 mm) werden die Retard-Minitabletten aus dem Magen unverzüglich – unabhängig vom Füllungszustand – in den Dünndarm weitertransportiert, wo sie dann den Wirkstoff kontinuierlich abgeben. Vorteile der extragastralen Resorption und gleichmäßigen Plasmaspiegel sind eine gute Verträglichkeit und die nur einmal täglich erforderliche Einnahme.

Quelle

Dr. med. Heinz Grunze, München, Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jörg Walden, Münster, Pressegespräch „Neue Chancen bei bipolaren Störungen: Orfiril®long im breiten Einsatz“, veranstaltet von Desitin Arzneimittel GmbH, München, 14. Juli 2005.

Psychopharmakotherapie 2006; 13(02)