Therapeutisches Drug-Monitoring (TDM) – Pharmakogenetik – Pharmakovigilanz


Prof. Dr. Pierre Baumann, Prilly-Lausanne, und Prof. Dr. Christoph Hiemke, Mainz

Vom 1. bis 3. September 2004 fand in Lausanne eine gemeinsame Tagung der Schweizerischen Gesellschaft für Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie (SGAMSP) und der TDM-Gruppe der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP) unter der Beteiligung des deutschen und der österreichischen AMSP (AMSP e.V. und ÖAMSP) zum Thema Pharmacovigilance in Psychiatry, Therapeutic Drug Monitoring and Pharmacogenetics of Psychotropic Drugs statt. Die Zusammenfassungen der Einzelbeiträge wurden in Pharmacopsychiatry 2005;38:41–68 publiziert. Dieses Heft enthält ausgewählte Beiträge.

Während der letzten Jahre haben die meisten Staaten die Meldepflicht für unerwartete Arzneimittelwirkungen (UAW) wesentlich verschärft, nachdem schon vor längerer Zeit zunächst in Deutschland, dann auch in der Schweiz und in Österreich Pharmakovigilanzprogramme (z.B. AMSP-Projekt) in der Psychiatrie eingeführt wurden. Bei der Erfassung der UAW fiel zunehmend auf, dass neben pharmakodynamischen auch pharmakokinetische und pharmakogenetische Faktoren für das Auftreten von UAW mitverantwortlich sein können. Der Lausanner Kongress hatte zum Ziel, die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Psychiatern, klinischen Pharmakologen, Pharmakoepidemiologen und Biochemikern zu fördern.

Für die AGNP-TDM-Gruppe, die schon in früheren PPT-Ausgaben vorgestellt wurde (z.B. Psychopharmakotherapie 2003;10:1), war der Kongress in Lausanne das 6. Treffen. Erstmalig hatte man sich in kleiner Runde 1991 in Würzburg versammelt. Damals war es das Ziel des Expertentreffens, eine erste Standortbestimmung vorzunehmen, um den Nutzen von TDM in der Psychiatrie einzuschätzen (Laux, Riederer: Plasmaspiegelbestimmungen von Psychopharmaka: Therapeutisches Drug Monitoring. Versuch einer ersten Standortbestimmung Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart, 1992). In Lausanne wurde ein wichtiges Ergebnis der seit 1991 anhaltenden und intensiven Arbeit der TDM-Gruppe vorgelegt, die seit über 10 Jahren als Arbeitsgruppe der AGNP besteht: die AGNP-Consensus Guidelines zur optimalen Anwendung von TDM in der Psychiatrie. Die Veröffentlichung (Pharmacopsychiatry 2004;37:243–65) erfolgte im Monat des Lausanner Kongresses. Die Leitlinien wurden in Lausanne von Frau Priv.-Doz. Dr. Ines Gaertner vorgetragen. Frau Gaertner, deren Tod wir beklagen, vermissen wir schmerzlich in unserer Runde, ihr widmen wir dieses Heft.

Plasmakonzentrationsmessungen sind für die Klärung von Pharmakovigilanzproblemen häufig eine sinnvolle Option, die allerdings noch viel zu selten genutzt wird. Neben TDM werden zunehmend auch genetische Tests eingesetzt. Allerdings gibt es noch erheblichen Forschungsbedarf, um den praktischen Nutzen von Genotypisierungen für die Arzneimittelsicherheit und die Therapieoptimierung in der Psychiatrie zunehmend einschätzen zu können. Der Stand des Wissens und die Bedeutung von Genotypisierungen mit besonderem Blick auf UAW ist auf den folgenden Seiten im Beitrag von Bondy und Zill dargestellt.

Kinder und Jugendliche zählen nach den Konsensus-Leitlinien zu der Gruppe von Patienten, bei denen TDM generell empfohlen wird. Für viele Psychopharmaka fehlen nicht nur Wirksamkeitsstudien, sondern auch pharmakokinetische Untersuchungen an Kindern und Jugendlichen und es ist unbekannt, ob die Zielbereiche für die Behandlung Erwachsener auf Patienten der Kinder- und Jugendpsychiatrie übertragbar sind. Diese Schwachpunkte verdeutlicht der Beitrag von Gerlach und Mitarbeitern, und es wird auf anlaufende Initiativen im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie hingewiesen, die für eine Verbreitung von TDM zur Verbesserung der Pharmakotherapie von Kindern und Jugendlichen sorgen sollen.

Da es nicht an jeder psychiatrischen Klinik ein Labor gibt, das die Plasmakonzentrationen von Psychopharmaka misst, müssen Proben oft verschickt werden. Daher stellt sich die praktische Frage, ob die Plasma- oder Serumproben ungekühlt mit der Post verschickt werden können. Kirschbaum und Mitarbeiter haben die Stabilität von neuen Antidepressiva und Antipsychotika untersucht und festgestellt, dass ein Versand ohne Kühlung möglich ist. Eine Ausnahme macht Olanzapin.

In einer retrospektiven Analyse von Daten aus TDM-Anforderungen wird der Nutzen von TDM bei Behandlung mit Amitriptylin und Doxepin unter naturalistischen Bedingungen untersucht. Pfuhlmann und Mitarbeiter prüften die Hypothese, ob bei Patienten mit Blutspiegeln, die nach den Konsensus-Leitlinien anzustreben sind, das Ansprechen besser und Nebenwirkungen seltener sind als bei Patienten mit Spiegeln außerhalb des optimalen Bereichs. Für beide Antidepressiva konnte die Hypothese bestätigt werden.

Risperidon stellt eine Besonderheit dar, indem es durch CYP2D6 zum wichtigen aktiven Metaboliten, 9-Hydroxyrisperidon, umgewandelt wird, weshalb dessen Mitbestimmung im TDM obligatorisch ist. Schwarz und Mitarbeiter haben in einer größeren Studie mit Risperidon-behandelten schizophrenen Patienten die Relation zwischen der pharmakologisch aktiven Fraktion (Risperidon + 9-OH-Risperidon) und der klinischen Wirkung des Arzneistoffs beobachtet.

Nach der Hypothese, dass Liquor noch besser als Blut oder die Arzneistoffdosis ein Maß für die Hirnkonzentration von Antidepressiva darstellt, haben Nikisch und Mitarbeiter in einer Untersuchung an mit Citalopram behandelten Patienten interessante Zusammenhänge zwischen den Liquorkonzentrationen des pharmakologisch aktiven Escitaloprams, des Serotoninmetaboliten 5-Hydroxyindolessigsäure und der klinischen Wirkung des Medikaments aufgezeigt. Obwohl sich aus naheliegenden Gründen auch in Zukunft Liquor kaum für routinemäßiges TDM anbieten wird, nehmen solche Untersuchungen mit der Entdeckung von Membranproteinen (z.B. P-Glykoprotein) zu, die möglicherweise den Transport von Psychopharmaka an der Blut-Hirn-Schranke regulieren.

Wo genau der komplexe TDM-Prozess, dessen Einzelphasen in den Konsensus-Leitlinien beschrieben werden, Optimierungsmöglichkeiten bietet, wird in einem Beitrag von Mann und Mitarbeitern beschrieben. Sie haben den Umgang der behandelnden Ärzte mit TDM analysiert und konstatieren u.a.: Blutspiegelmessungen werden angefordert, obwohl noch kein Steady State eingestellt ist, bei vorliegendem TDM-Ergebnis wird oft zu lange gewartet, bis eine Dosisänderung vorgenommen wird, und Entscheidungen erscheinen in vielen Fällen nicht plausibel.

Die Konsensus-Leitlinien empfehlen, dass für die Messung der Plasmakonzentrationen der Psychopharmaka solche Labors vorzuziehen sind, die über klinisch-pharmakologisches Wissen verfügen und so dem behandelnden Arzt zusätzlich zum Plasmaspiegel eine Interpretation der Befunde und valide Dosisempfehlungen liefern. Dieser Service wird z.B. an der Psychiatrischen Klinik im Bezirksklinikum Regensburg angeboten. In einem Beitrag von Haen wird am Beispiel von Olanzapin dargestellt, dass die klinisch-pharmakologische Befundung bei weitem noch nicht optimal funktioniert.

Ähnlich wie Haen kommen auch Zernig und Mitarbeiter durch retrospektive Auswertung ihrer TDM-Daten zu dem Schluss, dass die Therapieempfehlungen und -entscheidungen oft inkonsistent sind.

In der folgenden Ausgabe der PPT werden die TDM-Empfehlungen der AGNP, die von der TDM-Gruppe erarbeitet wurden, von Hiemke, Baumann, Laux und Kuss in gekürzter Fassung vorgestellt. In den Leitlinien wird erstmalig auf der Basis der Literatur die Bedeutung von TDM für die Behandlung psychiatrischer Patienten Arzneistoff für Arzneistoff bewertet. Dies betrifft die Anwendung von TDM bei Behandlung mit Phasenprophylaktika, Antidepressiva und Antipsychotika. Auch der Nutzen von TDM für andere Psychopharmaka wird beurteilt. Darüber hinaus werden fallbezogene Indikationen definiert, bei denen TDM wichtig ist, am wichtigsten ist die Compliance-Kontrolle.

Insgesamt unterstreichen die Beiträge in dieser und der folgenden Ausgabe der PPT die zunehmende Bedeutung des TDM in der medikamentösen Behandlung von psychisch kranken Menschen. TDM ist ein langwieriger Prozess, vom Patienten zum Labortisch und wieder zurück zum Arzt und zum Patienten. Dies erfordert ein optimales Zusammenspiel aller Glieder innerhalb einer Kette, bei der auch die Zusammenarbeit mit der pharmazeutischen Industrie notwendig ist. Die Industrie liefert wertvolle Informationen zum Metabolismus und zu anderen Eigenschaften ihrer Produkte, die nicht über die allgemein veröffentlichte wissenschaftliche Literatur zugänglich sind. In den meisten Fällen ist sie auch bereit, ihre Arzneistoffe und deren aktive Metaboliten in Form von Reinsubstanzen zu liefern; dies ist für das TDM-Labor obligatorisch, um eine allen Qualitätsansprüchen genügende analytische Methode zu entwickeln und dem Kliniker valide Werte zur Verfügung stellen zu können. Möglicherweise überraschen wir viele Leser mit der Mitteilung, dass es aber auch Firmen gibt, die sich weigern oder sehr damit zögern, Laboratorien ihre Arzneistoffe und/oder deren Metaboliten für TDM-Zwecke zur Verfügung zu stellen. Dies erklärt, weshalb zumindest im deutschsprachigen und skandinavischen Raum kein Labor in der Lage war, das atypische Antipsychotikum Aripiprazol zum Zeitpunkt seiner Einführung für klinische Fragestellungen zu bestimmen. Bedauernswerterweise stehen auch viele Metaboliten, beispielsweise von Aripiprazol, Quetiapin und Ziprasidon, nicht zur Verfügung, deren Bestimmung insbesondere bei pharmakogenetischen Fragestellungen oder bei Interaktionsproblemen wertvoll wäre. Es ist notwendig, diese Situation zu verbessern, eine Aufgabe der TDM-Gruppe der AGNP für die Zukunft.

Psychopharmakotherapie 2005; 12(04)