Atypische Neuroleptika

Argumente aus der Neurobiologie: Exzessive Dopamin-Blockade vermeiden


Dr. Thomas Heim, Freiburg

In den letzten Jahren haben besonders Befunde aus der funktionellen Bildgebung die bisherigen neurobiologischen Erklärungsmuster zur Entstehung der Schizophrenie um wichtige Aspekte ergänzt. Auch für die medikamentöse Behandlung ergeben sich daraus entscheidende Handlungspräferenzen.

Ein zentraler neurobiologischer Erklärungsansatz zur Entstehung schizophrener Psychosen geht von einer Interaktion zwischen sozialem Stress und einer lebenslangen Vulnerabilität aus. Eine frühe Störung der Hirnreifung scheint dabei besonders die Interaktion zwischen dem dorsolateralen präfrontalen und dem temporolimbischen Kortex zu betreffen. Die Folge ist eine temporolimbisch-präfrontale Fehlvernetzung mit verminderter Kontrolle des präfrontalen Kortex über die subkortikale Dopamin-Freisetzung. Dies kann vor allem in Stress-Situationen bei Aktivierung des präfrontalen Kortex zu einer Erhöhung der mesolimbisch-mesokortikalen Dopamin-Freisetzung führen.

Sowohl tierexperimentell als auch in Human-Bildgebungsstudien hat sich eine Reihe von Indizien für diese Theorie ergeben. Unter anderem wurde gezeigt, dass besonders in der akuten Psychose das Ausmaß der temporolimbischen und präfrontalen neuronalen Organisationsstörung mit einer verstärkten Produktion und Freisetzung von Dopamin im Striatum einhergeht. Dieser Dopamin-Überschuss wird mit Positivsymptomen der Schizophrenie in Verbindung gebracht.

Antipsychotika der ersten Generation bewirken eine hochgradige Blockade der striären Dopamin-Freisetzung und damit im Vergleich zu atypischen Neuroleptika häufiger extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen. Beispielsweise treten unter einem klassischen Neuroleptikum innerhalb von 10 Jahren bei 5% aller Patienten tardive Dyskinesien auf, unter Atypika liegt diese Rate bei maximal 1%. Die exzessive striäre Dopamin-Blockade unter klassischen Neuroleptika führt auch zu einer Störung des dopaminergen Belohnungssystems, das die Aufmerksamkeit gegenüber belohnungsanzeigenden Reizen steuert. Daraus können sekundäre Negativsymptome resultieren, die oft nur schwer von der erkrankungsbedingten, primären Negativsymptomatik zu unterscheiden sind.

Kognitive Funktion unter Atypika verbessert?

Besonderheiten der Pharmakologie von Antipsychotika der zweiten Generation tragen wahrscheinlich auch zu einem günstigeren Profil bezüglich kognitiver Funktionen bei. Der Einfluss von Atypika auf Dopamin-Rezeptoren ist überwiegend auf den ventralen Teil des Striatums begrenzt. Zudem führen sie über eine Blockade serotonerger 5-HT2-Rezeptoren zu einer zusätzlichen Hemmung der verstärkten Dopamin-Freisetzung im Striatum und damit zu einer guten antipsychotischen Wirkung, während sie in frontalen Arealen sogar eine vermehrte Ausschüttung von Dopamin bewirken und damit eine Besserung der Negativsymptomatik. Viele Atypika sind zudem 5-HT1A-Agonisten und haben dem entsprechend ein gewisses anxiolytisches und antidepressives Potenzial.

In Bildgebungsstudien konnten bereits verschiedene Hinweise auf eine günstige Wirkung von Atypika für kognitive Funktionen gefunden werden. Beispielsweise konnten Honey et al. (1999) zeigen, dass nach Umstellung von einem klassischen Neuroleptikum auf Risperidon während einer Arbeitgedächtnisaufgabe eine höhere Aktivität im dorsolateralen präfrontalen Kortex induziert wurde als davor. In einer anderen funktionellen Kernspinresonanz-(MR-)Studie sahen Braus et al. (2003), dass sich die schizophreniebedingt verminderte Hirnaktivität im Frontal- und im Parietallappen oberhalb des visuellen Kortex unter einer Olanzapin-Therapie normalisierte. Erste Ergebnisse aus entsprechenden neuropsychologischen Tests scheinen die Befunde aus der Bildgebung zwar zu bestätigen, erlauben aber noch keine abschließende Einschätzung der klinischen Relevanz dieser Effekte.

Weiterer Forschungsbedarf besteht auch in Bezug auf unabhängige Vergleiche der klinischen Wirksamkeit verschiedener Atypika. In einer verblindeten Analyse der Abstracts von 34 randomisierten Direktvergleichen atypischer Antipsychotika fiel das Ergebnis in mehr als 90 % der Fälle zugunsten des Studien-Sponsors aus.

Quelle

Prof. Dr. Andreas Heinz, Berlin, Priv.-Doz. Dr. Georg Juckel, Berlin, Dr. med. Stephan Heres, München, 2. Deutscher Psychoedukationskongress, München, 11. bis 12. März 2005.

Beilagenhinweis:

Dieses Heft enthält die Supplemente Nr. 13 und Nr. 14 zur „Psychopharmakotherapie“. Wir bitten unsere Leser um Beachtung.


Psychopharmakotherapie 2005; 12(04)