Multiple Sklerose

Hohe Titer neutralisierender Antikörper gefährden den Therapieerfolg


Andrea Warpakowski, Itzstedt

Die immunmodulierende Behandlung der multiplen Sklerose mit Beta-Interferonen induziert neutralisierende Antikörper (NAbs). Hohe Titer persistierender NAbs vermindern die Wirkung der Beta-Interferone, was bei einer Therapieentscheidung berücksichtigt werden sollte. Intramuskulär appliziertes Interferon beta-1a (Avonex®) hat eine vergleichsweise geringe Immunogenität.

Von B-Lymphozyten gebildete Antikörper haben eine schützende Funktion: Sie neutralisieren Fremd-Eiweiße und Erreger. Bei Patienten mit multipler Sklerose (MS) parenteral applizierte Beta-Interferone werden als Fremdeiweiß erkannt und induzieren im Laufe der Behandlung neutralisierende Antikörper (NAbs).

Die NAbs können vermutlich die Wirksamkeit applizierter Beta-Interferone reduzieren: Durch die Bindung des Antikörpers wird die Interaktion mit extrazellulären Interferon-Rezeptoren und somit die Signaltransduktion vermindert. Diese Interaktion zwischen Beta-Interferonen und NAbs erfolgt nicht nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip, sondern ist ein graduelles Phänomen. Das Ausmaß der dadurch verringerten biologischen Aktivität der Beta-Interferone ist abhängig von Titer, Sättigung und Epitop-Charakteristik der Antikörper.

Einen wesentlichen Einfluss auf die Bildung von Antikörpern haben Reinigungs- und Herstellungsverfahren, Applikationsart und -frequenz sowie Dosierung und Behandlungsdauer. Die drei bei der Behandlung der MS eingesetzten Beta-Interferone sind unterschiedlich stark immunogen: In einer Studie mit 60 MS-Patienten traten nach 18 Monaten Behandlung mit Interferon beta-1b (Betaferon®) bei 31% der Patienten, mit subkutan appliziertem Interferon beta-1a (Rebif®) bei 15% und mit intramuskulär appliziertem Interferon beta-1a (Avonex®) bei 2% NAbs auf (Abb. 1). Frühestens nach zwölf Monaten Behandlung können NAbs nachgewiesen werden; nach 18 bis 24 Monaten manifestieren sich klinische Effekte.

Abb. 1. Persistierende neutralisierende Antikörper (NAbs) unter Therapie mit drei verschiedenen Beta-Interferonen nach 18 Monaten Behandlung [Bertolotto A, et al. 2002]

In einer Studie mit 541 Patienten zeigte sich, dass NAb-negative Patienten 244 Tage länger schubfrei waren als Patienten, bei denen NAbs nachgewiesen werden konnten (p=0,009). Weiterhin verschlechterte sich nach 42 und 48 Monaten Behandlung die Erkrankung bei NAb-positiven Patienten signifikant im Vergleich zu NAb-negativen Patienten (gemessen anhand der Zunahme der EDSS [Skala für neurologische Behinderungsgrade], p=0,049 und p=0,008).

Ein internationales MS-Konsortium – Neurologen aus den USA und Europa – hat im Mai 2003 einen Konsensus zur aktuellen Studienlage zu Interferon-beta-Antikörpern, geeigneten Testverfahren und zukünftigen Forschungsschwerpunkten erarbeitet. Diesem Konsensusbericht entsprechend sollte bei einer Therapieentscheidung zur Behandlung von MS-Patienten mit Beta-Interferonen unter anderem die Immunogenität der unterschiedlichen Präparate berücksichtigt werden. Eine Empfehlung zur Vorgehensweise bei NAb-positiven Patienten konnte dagegen aufgrund fehlender Evidenz-basierter Daten nicht gegeben werden.

Derzeit wird ein standardisiertes Testverfahren für die Bestimmung der Antikörper-Titer von NAbs entwickelt, demzufolge dann Therapieentscheidungen getroffen und Endpunkte in klinischen Studien bestimmt werden können. Der Standardtest soll auf dem Expressionsnachweis des Proteins MxA basieren. Die Expression von MxA wird unter anderem durch Beta-Interferone induziert und kann so als Marker für die Aktivität der applizierten Interferone dienen.

Quelle

Prof. Dr. med. Ralf Gold, Göttingen, Priv.-Doz. Dr. med. Bernd Kieseier, Düsseldorf, Prof. Dr. med. Hans-Peter Hartung, Düsseldorf, Prof. Dr. med. Friedrich Boege, Düsseldorf, Symposium „Neutralisierende Antikörper in der MS-Therapie: Grundlagen, Klinik, Tests“, veranstaltet von Biogen Idec anlässlich der 77. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft Neurologie, Düsseldorf, 8. Oktober 2004.

Psychopharmakotherapie 2005; 12(03)