Pharmakotherapie: Chancen – und Grenzen


Prof. Dr. Heinz Reichmann, Dresden

Das vorliegende Heft bietet einen bunten Mix aus neurologischen und psychiatrisch relevanten Fragestellungen. Aus dem Umfeld der atypischen Parkinson-Syndrome wird eine hervorragende Übersicht über Multisystematrophien und die progressive supranukleäre Paralyse gegeben. Diese Erkrankungen zeigen, im Gegensatz zum idiopathischen Parkinson-Syndrom, besonders Symptome wie zerebelläre Zeichen, Störungen der Okulomotorik und Pyramidenbahnzeichen. Patienten mit progressiver supranukleärer Paralyse zeigen häufig kognitive Störungen im Sinne einer früh einsetzenden Demenz. Diese Krankheitsbilder sind nur unbefriedigend zu therapieren, lediglich 30% der Patienten profitieren für eine gewisse Zeit von hoch dosiertem Levodopa.

Nicht nur bei Patienten mit einem Parkinson-Syndrom werden heute bevorzugt Atypika bei Halluzinationen oder Psychosen eingesetzt, sondern auch bei Patienten mit Schizophrenie, wobei man hier tardive Dyskinesien und motorische Spätsyndrome vermeiden möchte. Patienten mit Schizophrenie weisen eine erhöhte Prädisposition für die Entwicklung eines metabolischen Syndroms auf, was ein besonderes Risiko für Schlaganfälle und Herzinfarkte beinhaltet. Interessanterweise gibt es Hinweise darauf, dass atypische Antipsychotika möglicherweise zu einem vermehrten Auftreten von metabolischen Syndromen führen. Deshalb werden in dieser Ausgabe die Ergebnisse einer Anwendungsbeobachtung zum Einfluss von Olanzapin auf den Glucose- und von Quetiapin auf den Lipidstoffwechsel dargestellt. Es ist bemerkenswert, dass in dieser Studie Quetiapin schon nach 4 Therapiewochen zu einer signifikanten Cholesterolerhöhung führte. Somit wird in größeren Studien weiter zu beobachten sein, ob Atypika in der Tat ein erhöhtes zerebro-vaskuläres und kardiales Risikoprofil bergen. Unabhängig von dieser Studie ist erwähnenswert, dass Clozapin zu einer Erhöhung des Leptin-Spiegels führt, was zur Gewichtszunahme prädisponiert. Auf Grund der Studie wird empfohlen, Blutlipide unter einer Behandlung mit Quetiapin in angemessenen Abständen zu kontrollieren. Bei Olanzapin konnten die Autoren keine Veränderung des Blutzuckers feststellen, was andere Autoren aber so nicht gesehen hatten.

Eine weitere Anwendungsbeobachtung beschäftigt sich mit der Wirkung von Sertralin in der ambulanten Routinebehandlung affektiver Störungen. In der Anfangsphase konnte hier ein sehr guter Erfolg mit Reduzierung der depressiven Symptomatik gezeigt werden, über längere Behandlungsdauer nahm die Wirkung etwas ab. Nicht ganz zufrieden stellend war die Wirkung bei Patienten mit hohem Body-Mass-Index, Rauchern sowie bei Patienten mit bipolarer Störung und solchen, die schon vor Beginn der Studie mit anderen Medikamenten nicht ausreichend erfolgreich therapiert werden konnten.

Ein interessantes Gebiet der Psychiatrie ist die postpartale psychotische Depression. In dieser Ausgabe der PPT wird von zwei Patientinnen berichtet, die unter Quetiapin (Off-Label-Use) eine sehr gute Verbesserung bei wenig Nebenwirkung aufwiesen. Ein weiterer Fall behandelt eine 23-jährige Patientin, die unter einer Risperidon-Monotherapie deutlich erhöhte Prolactin-Werte zeigte. Als auch noch Ziprasidon hinzugefügt wurde, kam es zu Galaktorrhö und Mastitis. Diese Beobachtung unterstreicht, dass Antipsychotika als unerwünschte Arzneimittelwirkung zu einer Erhöhung des Prolactins führen können.

Zusammenfassend fokussiert dieses Heft auf interessante und noch nicht allgemein bekannte Nebenwirkungen unter den so genannten Atypika, so dass sich nach sorgfältiger Lektüre sicherlich viele von uns dazu entschließen müssen, gewisse Laboruntersuchungen bei diesen Patienten vorzunehmen.

Psychopharmakotherapie 2005; 12(02)