Behandlung der postpartalen psychotischen Depression mit Quetiapin


Luc Turmes, Herten

Bei der medikamentösen Behandlung der postpartalen psychotischen Depression gilt es einerseits eine weitere Prolactin-Erhöhung zu vermeiden, andererseits den Besonderheiten dieses Krankheitsbildes (insbesondere hirnorganisch anmutende Begleitsymptomatik) gerecht zu werden. Anhand von zwei Kasuistiken zeigen wir die gute Wirksamkeit und das günstige Nebenwirkungsprofil von Quetiapin (Seroquel®) bei dieser – noch Off-Label-Use – Indikation auf.
Schlüsselwörter: Quetiapin, atypisches Neuroleptikum, postpartale psychotische Depression
Psychopharmakotherapie 2005;12:64–6.

Die Entwicklung atypischer Neuroleptika und die daraus resultierenden besseren Behandlungsergebnisse und verbesserten Lebensbedingungen führen dazu, dass einerseits chronisch psychisch kranke Frauen den Nervenarzt häufiger mit einem Kinderwunsch konfrontieren und in der Literatur [3] von einem Babyboom bei psychisch kranken Eltern gesprochen wird. Andererseits ist die Inzidenz postpartaler psychischer Störungen sehr hoch [7]: Knapp die Hälfte aller Wöchnerinnen entwickeln eine kurzfristige depressive Verstimmung, den so genannten postpartalen Blues; 10 bis 15 % aller jungen Mütter erkranken in den ersten Monaten nach der Entbindung an einer länger anhaltenden und behandlungsbedürftigen Depression und bei etwa zwei von 1000 Frauen manifestiert sich im Postpartum eine Psychose. Es überwiegen affektive Psychosen mit einem teils depressiven, teils manischen und oft schizoaffektiven Bild [1]. Von besonderer Bedeutung ist, dass häufig eine hirnorganisch anmutende Begleitsymptomatik vorliegt [4, 8], mit leichtgradigen Verwirrtheitszuständen, mangelnder Aufmerksamkeit und leichter Ablenkbarkeit, grenzwertiger Desorientierung und verworrenem Denken.

Bei der neuroleptischen Behandlung postpartaler psychischer Störungen gilt es insbesondere eine weitere Prolactin-Erhöhung zu vermeiden, da eine Neuroleptika-induzierte Hyperprolaktinämie das Abstillen erschwert und eventuell eine Medikation mit Bromocriptin notwendig macht. Dieses kann wiederum bei entsprechend disponierten Patientinnen Psychosen auslösen oder verstärken.

Das ideale Medikament für postpartale psychische Störungen sollte keine Hyperprolaktinämie induzieren, keine extrapyramidal-motorischen Störungen (EPS) auslösen, keine EKG-Veränderungen herbeiführen, stoffwechselneutral sein und eine sedierende Potenz haben.

Quetiapin erfüllt diese Erwartungen; insbesondere EPS-bezogene unerwünschte Wirkungen und Serum-Prolactinspiegel-Erhöhungen liegen auf Plazeboniveau [5, 6].

Anhand von zwei Kasuistiken zeigen wir die gute Wirksamkeit von Quetiapin bei postpartalen psychotischen Depressionen auf:

Kasuistik 1

Die 34-jährige Diplom-Pädagogin, Frau J. aus C. wird am 29. August 2003 von ihrem ersten Kind, einer gesunden Tochter, entbunden. 14 Tage nach der Entbindung stellt sich die Patientin in der Mutter-Kind-Spezialambulanz vor. Sie berichtet, dass sie bereits wenige Tage nach der Entbindung zunehmende Ängste sowohl um ihre Tochter als auch um sich selbst entwickelt habe. Sie sei nicht in der Lage, das Baby und sich selbst adäquat zu versorgen, fühle sich wie gelähmt, weine viel und könne sich immer weniger konzentrieren. Manchmal wisse sie noch nicht mal mehr die Tageszeit und fühle sich völlig durcheinander. Gleichzeitig habe sie Schlafstörungen und werde frühmorgens – auch wenn ihr Kind noch schlafe – wach. Trotz des Gefühls der Lähmung hätten sich die Gedanken überschlagen, in ihr sei der Drang gewesen, tausend Sachen gleichzeitig zu machen. Sie habe Angst, verrückt zu werden, so wie ihr Vater, der unter Depressionen leide.

Die Patientin stimmt der angebotenen Aufnahme – zunächst ohne Säugling – zu, am 10. September 2003 erfolgt die vollstationäre Aufnahme auf der Mutter-Kind-Station.

Familienanamnestisch ist zu berichten, dass bei dem Vater der Patientin eine schwere rezidivierende depressive Störung, die mehrfach eine vollstationäre psychiatrische Behandlung erforderte, vorliegt.

Der psychopathologische Befund (AMDP) bei Aufnahme am 10. September 2003 zeigt eine wache, bewusstseinsklare und zu allen Qualitäten orientierte Patientin, die im Kontakt freundlich bemüht, jedoch deutlich angestrengt und hilflos wirkt. Sie berichtet über grenzwertige Orientierungsstörungen und zeigt sowohl Auffassungs- als auch Konzentrationsstörungen. Der Gedankengang ist teils verlangsamt und weitschweifig, teils zerfahren, verworren mit Gedankenabbrüchen. Frau J. ist sehr misstrauisch, mit Anklängen an Derealisationserleben und Beziehungsgedanken. Sie hat deutliche Insuffizienz- und Schuldgefühle hinsichtlich der Versorgung der Tochter. Sie ist antriebsgemindert, die Stimmung deutlich depressiv mit herabgesetzter emotionaler Resonanzfähigkeit. Die Patientin ist ängstlich bis hoffnungslos, hat Durchschlafstörungen mit frühmorgendlichem Erwachen und Morgentief. Es besteht eine latente Suizidalität.

Clinical Global Impression (CGI): 6; Global Assessment of Functioning (GAF): 30; Hamilton Depression Scale (HAMD): 31; Edinburgh Postnatal Depression Scale (EPDS): 28.

Die Laboruntersuchung mit Schilddrüsenhormonserologie und Eisen, EKG, EEG und Kernspintomographie ist ohne pathologischen Befund. Der Prolactin-Spiegel ist am 23.09.2003 auf 40,5 ng/ml (Normbereich für Frauen 2,0 bis 32,5 ng/ml) erhöht, in der Kontrolle am 18.12.2003 mit 17,9 ng/ml im Bereich der Norm.

Der psychopathologische Befund legt die Diagnose einer schweren postpartalen depressiven Störung mit psychotischen Symptomen (ICD-10: F 32.3) nahe; in klinischer Hinsicht ist aber auch eine Puerperalpsychose (ICD-10: F 53.1) zu diskutieren, deshalb erfolgt eine Medikation mit Quetiapin in langsam steigender Dosis bis 800 mg täglich. Zur Anxiolyse wird 3 x 1 mg/Tag Lorazepam (z.B. Tavor®) verordnet, bei ausgeprägten Schlafstörungen zur Nacht 2 mg Lormetazepam (z.B. Noctamid®) und 40 mg Prothipendyl (Dominal®).

Die Quetiapin-Medikation wird in der Tagesdosierung von 100–100–0–600 mg gut vertragen, bei einer Körpergröße von 172 cm, Gewicht bei Aufnahme 73,4 kg, bei Entlassung 73,7 kg. Der Blutdruck ist durchgängig im Normbereich. EPS treten nicht auf. Mit Beginn der Medikation stillt Frau J. ab.

Bis Mitte Oktober 2003 ist unter dieser Medikation eine Teil-Entaktualisierung und langsame Stabilisierung zu erzielen, so dass die Tochter mit aufgenommen werden kann. Die Benzodiazepin-Medikation kann bei der Patientin bis Mitte November ausgeschlichen, die Schlafmedikation Anfang Dezember abgesetzt werden. Nachdem die psychotische Symptomatik völlig abgeklungen ist und eine gewisse depressive Restsymptomatik persistiert, erfolgte eine schrittweise Reduzierung des Quetiapins auf 50–50–0–300 mg/Tag vor Entlassung.

Am 21. Dezember 2003 wird Frau J. aus der stationären Behandlung entlassen, in psychopathologischer Hinsicht ist Frau J. gut entaktualisiert und stabilisiert, die Stimmung ist noch reaktiv-subdepressiv, weil die Patientin noch etwas unsicher in Bezug auf die Pflege ihres Kindes ist. CGI: 3, GAF: 70, HAMD: 7, EPDS: 7.

Kasuistik 2

Die 37-jährige Krankenschwester Frau G. aus C. wird am 30. Dezember 2002 von ihrem zweiten Kind, einem gesunden Jungen, entbunden. Die Patientin hat zum Zeitpunkt der Entbindung bereits eine 4-jährige Tochter. Frau G. beschreibt einen ausgeprägten Babyblues, bereits eine Woche nach der Geburt des Jungen merkt sie, dass sie den Anforderungen nicht mehr gerecht wird, sie grübelt viel und erlebt eine zunehmende Verschlechterung der Stimmung. Erst Ende Februar 2003 stellt sich die Patientin in der Mutter-Kind-Spezialambulanz vor. Sie beschreibt sich zu diesem Zeitpunkt als „psychotisch“: Sie habe vermehrt Wachträume, sehe beispielsweise ihre Mutter erhängt an der Brüstung eines Balkons. Die Stimmung sei sehr schlecht, und die Gedanken kreisten ununterbrochen um das Thema, ob sie eine gute Mutter sei. Die Familienanamnese sowie die Eigenanamnese sind ohne Auffälligkeiten.

Da Frau G. in den prästationären Kontakten mit der Pflege ihres Säuglings deutlich überfordert wirkt und eine ausgeprägte postpartale depressive Störung zeigt, erfolgt am 1. März 2003 die vollstationäre Aufnahme auf der Mutter-Kind-Station, zunächst ohne den Säugling. Frau G. hatte sechs Wochen nach der Geburt abgestillt.

Der psychopathologische Befund (AMDP) zeigt bei Aufnahme eine wache, bewusstseinsklare und allseits orientierte Patientin mit grenzwertigen Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen. Der formale Gedankengang ist verlangsamt, die Patientin schildert Befürchtungen, mit der Pflege ihrer Kinder überfordert zu sein. Bei Aufnahme bestehen keine Wahnsymptomatik oder Sinnestäuschungen, aber grenzwertige Ich-Störungen im Sinne einer Derealisation. Die affektive Schwingungsfähigkeit ist deutlich reduziert, die Stimmung ängstlich und schwer depressiv, dabei ausgeprägte Schuldgefühle wegen der Pflege der Kinder. Einschlafstörungen und latente Suizidalität, jedoch für den stationären Rahmen glaubhaft distanziert.

CGI: 6; GAF: 41; HAMD: 28; EPDS: 19.

Labor-Routineuntersuchungen, EKG und EEG sind ohne pathologischen Befund.

Unter der Diagnose einer schweren postpartalen depressiven Störung (ICD-10: F 32.2) verordneten wir der Patientin 20 mg Citalopram (z.B. Cipramil®) sowie 1,0 mg Lormetazepam zur Nacht. Da Frau G. auf die Aufnahme ihres Säuglings drängt und sich eine erste Stabilisierung des psychopathologischen Befunds abzeichnet, erfolgt am 21. März 2003 die Aufnahme des Säuglings. In der Folge kommt es zu einer massiven Verschlechterung des psychopathologischen Befunds: Formal-gedanklich wird die Patientin sprunghaft mit deutlichen Ich-Grenzen-Störungen („ihre Gedanken gehen auf die zu Hause gebliebene Tochter über, durch den stationären Aufenthalt realisiere sie einen Traum, den sie vor zweieinhalb Jahren bereits geträumt habe“), sie ist leicht ablenkbar und wirkt vorübergehend verwirrt, zunehmende Beziehungsideen und ausgeprägter Schuldwahn bezogen auf die Kinder. Es besteht eine suizidale Gefährdung, die eine engmaschige Betreuung und Überwachung erfordert.

Unter der veränderten Diagnose einer schweren postpartalen depressiven Störung mit psychotischen Symptomen (ICD-10: F 32.3) wird die Citalopram-Dosis auf 40 mg am Morgen erhöht und einschleichend Quetiapin bis zu einer Dosis von 800 mg/Tag verordnet, zur Sedierung und Anxiolyse ergänzend 3 x 0,5 mg/Tag Lorazepam.

Quetiapin wird gut vertragen, bei vorbekanntem Hypotonus zusätzliche Verordnung von 3 x 10 mg/Tag Etilefrin (z.B. Effortil®). Die Patientin hat bereits vor der vollstationären Aufnahme abgestillt, es ergeben sich keinerlei Hinweise auf eine Galaktorrhö. Extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen treten nicht auf. Das Gewicht der 168 cm großen Patientin beträgt bei Aufnahme 55,1 kg, bei Entlassung 55,4 kg.

Nach der Besserung des psychopathologischen Befunds ist die Patientin in der Mutter-Kind-Interaktion emphatisch und einfühlsam im Kontakt mit ihrem Sohn. Nach einem schrittweisen Ausschleichen der Lorazepam-Medikation und einer weiteren Besserung des psychopathologischen Befunds erfolgt eine schrittweise Reduzierung der Quetiapin-Medikation, ohne dass es zu einer psychotischen Reexazerbation kommt. Am 17. Juni 2003 wird die Patientin mit ihrem Säugling in unsere Mutter-Kind-Spezialambulanz entlassen. Zu diesem Zeitpunkt erhält sie 40 mg/Tag Citalopram am Morgen, 50–50–0–200 mg/Tag Quetiapin sowie 10–10–10 mg/Tag Etilefrin. Der psychopathologische Befund ist bis auf eine gewisse Verletzlichkeit, leichte Antriebsminderung und Ängste vor einem Rezidiv regelrecht.

Bei Entlassung CGI: 3; GAF: 68; HAMD: 6; EPDS: 3.

Diskussion

Wie aus unseren Kasuistiken hervorgeht, zeigt Quetiapin bei postpartal depressiv-psychotischen Zustandsbildern eine gute Wirksamkeit und ein sehr günstiges Nebenwirkungsprofil. Insbesondere die fehlende Prolactin-Erhöhung, die erwünschte Sedierung, die positive Beeinflussung der leicht hirnorganisch anmutenden Begleitsymptomatik und die Kontrolle des psychotisch-depressiven Zustandsbilds sind zu erwähnen. In einer zweiten Behandlungsphase hat sich eine Reduktion von Quetiapin auf etwa 300 bis 400 mg/Tag bei primär nicht psychotisch erkrankten Patientinnen bewährt. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass erste Ergebnisse der BOLDER-Studie (Bipolar Depression Study) auf antidepressive Effekte von Quetiapin bei Patienten mit schwerer Depression im Rahmen einer Bipolarstörung hindeuten [2], erscheint eine Überprüfung unserer Ergebnisse in einer größeren Studie indiziert und geboten.

Literatur

1. Brockington IF, Cernik KF, Schofield EM, Downing AR, et al. Puerperal psychosis: phenomena and diagnosis. Arch Gen Psychiat 1981;38:829–33.

2. Calabrese J, Macfadden W, McCoy R, Minkewitz M, et al. Double-blind, placebo-controlled study of quetiapine in bipolar depression. Presented at the 157th Annual Meeting of the American Psychiatric Association, May 1–6, 2004, New York, USA.

3. Currier GW, Simpson GM. Antipsychotic medications and fertility. Psychiatr Serv 1998;49:175–6.

4. Dean C, Kendall RE. The symptomatology of puerperal illnesses. Br J Psychiat 1981;139:128–33.

5. Hammer M. The effects of atypical psychotics on serum prolactin levels. Ann Clin Psychiat 2002;14:163–73.

6. Nemeroff CB, Kinkead B, Goldstein J. Quetiapine: preclinical studies, pharmacokinetics, drug interactions and dosing. J Clin Psychiat 2002;63(Suppl 13):16–21.

7. Riecher-Rössler A. Psychische Störungen und Erkrankungen nach der Entbindung. Fortschr Neurol Psychiat 1997;65:97–107.

8. Steiner M, Yonkers KA. Depressionen bei Frauen. London: Martin Dunitz Ltd, 1998.

Dr. med. Luc Turmes, Westfälisches Zentrum Herten, Im Schlosspark 20, 45699 Herten, E-Mail: luc.turmes@wkp-lwl.org

Treatment of postpartum psychotic depression with the atypical antipsychotic quetiapine

For the medication of postpartum psychotic depression, it is particulary important to prevent a further increase in prolactin and find an efficient treatment for the often concomitant symptoms suggesting organic brain symptoms. In our case reports we show the good efficacy and a very favourable side-effect profile of quetiapine in this – still off-label-use – indication.

Keywords: Quetiapine, atypical antipsychotic, postpartum psychotic depression

Psychopharmakotherapie 2005; 12(02)