Unruhe unter Aripiprazol


Susanne Stübner, Renate Grohmann, Hans-Jürgen Möller, München, und Eckart Rüther, Göttingen

Der vorliegende Fallbericht ist zugleich die Geschichte eines jungen Mannes, der zunächst unter einer Psychose und sodann unter zahlreichen unerwünschten Arzneimittelwirkungen zu leiden hatte. Unter anderem entwickelte sich unter dem neu zugelassenen Antipsychotikum Aripiprazol eine psychische Nebenwirkung in Form einer schweren inneren Unruhe, die zum Absetzen der Medikation führte. Die unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) wurde im Rahmen des Projekts „Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie“ (AMSP) erfasst und diskutiert. Die Fallgeschichte veranschaulicht exemplarisch die sich aktuell vollziehende Veränderung des Nebenwirkungsspektrums unter den neu entwickelten Neuroleptika. Weiterhin verdeutlicht sie die Notwendigkeit der Erfassung psychischer Nebenwirkungen und der Anwendungsbeobachtung neu zugelassener Medikamente unter den realen klinischen Bedingungen.
Schlüsselwörter: Aripiprazol, Unruhe, psychische Nebenwirkung, UAW, AMSP
Psychopharmakotherapie 2005;12:30–1.

Unerwünschten psychischen Wirkungen von Psychopharmaka kommt besonders in der Psychiatrie eine außergewöhnliche Bedeutung zu. Zum einen können sie die eigentlichen Krankheitsbilder maskieren, verstärken oder triggern. Sie können das Befinden der betroffenen Patienten deutlich beeinträchtigen und in Folge davon auch zu einer Veränderung der Compliance führen. Psychische Nebenwirkungen sind dabei oft schwer abzugrenzen und zu operationalisieren. Es erscheint deshalb außerordentlich wichtig, diese Nebenwirkungen als solche zu erkennen, sie zu dokumentieren und das Wissen darum in die klinische Praxis zu integrieren.

Im Folgenden wird ein Fall von starker Unruhe unter Aripiprazol vorgestellt, der im Rahmen des AMSP-Projekts [1] erfasst wurde.

Aripiprazol (Abilify®) ist ein neues Antipsychotikum (Übersicht bei [2]). Es wirkt als partieller Agonist an den Dopamin-D2-Rezeptoren und wurde insofern als herausragend beschrieben, als es abhängig von der vorherrschenden Dopamin-Verfügbarkeit agonistisch oder antagonistisch wirke. Vorklinische Studien belegten eine D2-antagonistische Wirkung unter hyperdopaminergen Bedingungen, und unter hypodopaminergen Konditionen eine D2-agonistische Potenz. Dadurch ergebe sich eine Stabilisierung des Dopamin-Systems, und eine Hypodopaminergie, welche die Verträglichkeit beeinträchtigen könne, werde vermieden [3, 4].

Im serotonergen System verfügt Aripiprazol ferner über antagonistische Wirkungen am 5-HT2A Rezeptor sowie über partiell-agonistische Eigenschaften gegenüber dem 5-HT1A-Rezeptor – einer Wirkung, die mit einer Anxiolyse in Verbindung gebracht worden war.

Des Weiteren wurden Affinitäten zu anderen Rezeptoren beschrieben, wie zu D3- und D4-Rezeptoren, muskarinergen und histaminergen Rezeptoren sowie Alpha-Adrenozeptoren, deren etwaige klinische Auswirkungen noch nicht bekannt sind [5].

Falldarstellung

Ein 25-jähriger Mann wurde wegen einer schizoaffektive Psychose zum dritten Mal stationär aufgenommen. In der Vorgeschichte war es bereits zu mehreren unerwünschten Wirkungen unter verschiedenen Psychopharmaka gekommen: Unter Amisulprid (Solian®) bis 600 mg/Tag waren erstmals innere Unruhe und Anspannung sowie eine Erektionsstörung aufgetreten, was schließlich zum Absetzen führte. Unter Quetiapin (Seroquel®) bis 450 mg/Tag kam es zu Müdigkeit und Gewichtszunahme (15 kg über sechs Monate). Quetiapin wurde dennoch nach einem erfolglosen Versuch mit Ziprasidon (Zeldox®) wieder angesetzt. Als wegen unzureichender Wirkung unter 650 mg/Tag Risperidon (Risperdal®) hinzugegeben wurde, kam es bereits bei einer Dosierung von 4 mg/Tag zu schwerer innerer Unruhe, was wiederum zum Absetzen führte. Unter Olanzapin (Zyprexa®) und Doxepin (z.B. Aponal®) trat eine Stabilisierung ein. Zur jetzigen dritten Aufnahme kam es knapp ein Jahr später, nachdem der Patient das in der Zwischenzeit vom niedergelassenen Nervenarzt wieder verordnete Quetiapin selbstständig abgesetzt und eine maniforme Symptomatik entwickelt hatte.

Zunächst wurde Quetiapin erneut angesetzt und bis zu 800 mg/Tag aufdosiert. Hierunter wurden in der zweiten Woche erhebliche EKG-Auffälligkeiten im Sinne von T-Wellenabsenkungen festgestellt. Nach Rücksprache mit dem internistischen Konsiliarius wurde die Dosis zunächst um die Hälfte reduziert und eine kardiologische Diagnostik initiiert (u.a. UKG), die aber keine pathologischen Befunde ergab.

Aufgrund einer darauffolgenden akuten psychotischen Exazerbation wurde der Patient zusätzlich mit 10 mg/Tag Haloperidol (z.B. Haldol®) und 8 mg/Tag Diazepam (z.B. Valium®) behandelt. Zur Stabilisierung wurde des Weiteren ein Behandlungsversuch mit Oxcarbazepin (Trileptal®) begonnen, und bis 900 mg/Tag langsam aufdosiert. Unter dieser Medikation besserte sich das Zustandsbild. Diazepam konnte rasch wieder ausgeschlichen werden.

Da Haloperidol für die längerfristige Behandlung durch ein atypisches Neuroleptikum ersetzt werden sollte, wurde in der neunten Woche zur bestehenden Medikation von täglich 600 mg Quetiapin, 900 mg Oxcarbazepin sowie 8 mg Haloperidol 10 mg Aripiprazol zugegeben. Die Aripiprazol-Dosis wurde nach sechs Tagen – und nach vorheriger zweischrittiger Reduktion von Haloperidol auf 4 mg – auf 15 mg/Tag erhöht. Hierunter entwickelte der Patient eine starke Anspannung und innere und motorische Unruhe, die er als sehr quälend und geradezu unerträglich erlebte. Nach vier Tagen wurde deshalb das Medikament abgesetzt. Die Unruhe klang innerhalb eines Tages ab. Nach Absetzen von Aripiprazol wurde Haloperidol nochmals um 1 mg auf 5 mg/Tag erhöht, und der Patient wurde drei Wochen später mit dieser Medikation entlassen.

Der Patient berichtete, im Rahmen eines kontrollierten Behandlungsversuchs bereits zuvor Aripiprazol erhalten und darunter eine ähnliche Symptomatik erlebt zu haben – was ebenfalls bereits damals nach wenigen Tagen zu einem Abbruch der Medikation geführt habe.

Diskussion

Das bislang bekannte Nebenwirkungsspektrum von Aripiprazol umfasst an psychischen Nebenwirkungen Psychosen, Erregung, Angstzustände und Schlafstörungen. In der deutschsprachigen Produktinformation sind bisher allerdings lediglich Schlafstörungen aufgeführt.

Unter Überwachung von AMSP wurden seit Zulassung des Medikaments (in Deutschland im Juni 2004) vier Fälle von schweren Unruhezuständen bekannt (davon einer in Deutschland, zwei in der Schweiz und eine in Österreich).

Gemäß Analyse von Marder et al. [2] aus den Daten von fünf klinischen Studien, in denen insgesamt 926 Patienten mit Aripiprazol, 200 Patienten mit Haloperidol und 413 Patienten mit Plazebo behandelt worden waren, folgten als unerwünschte Wirkungen (UAW) nach Kopfschmerzen, die unter Aripiprazol von 31,7 % der Patienten und damit am häufigsten angegebenen worden waren, Erregung (31,0 %), Angstzustand (25,1 %) und Schlaflosigkeit (24,1 %). Eine Psychose war unter Aripiprazol mit 1,1 % (n = 10) bzw. mit 1,5 % unter Haloperidol und mit 1,5 % unter Plazebo das häufigste schwerwiegende unerwünschte Ereignis gewesen. Zu erwägen schien in diesem Kontext allerdings, ob psychotische Symptome unter Aripiprazol überhaupt als UAW oder eher im Sinne einer mangelnden Wirksamkeit bei der entsprechenden Grunderkrankung eingeordnet werden müssten. Wenn auch der vorliegende Fall als Auftreten von schwerer Unruhe gemeldet und erfasst wurde und nicht als psychotische Exazerbation, könnte die Symptomatik dennoch als zumindest verwandt oder sogar als Prodrom interpretiert werden. Dagegen spricht allerdings die prompte Besserung nach Absetzen von Aripiprazol bei nur geringfügiger Erhöhung der Haloperidol-Dosis von 4 auf 5 mg. Dieser Verlauf spricht auch dagegen, dass die Unruhe durch einen Wegfall eventueller sedierender Effekte von Haloperidol oder von Diazepam, das 10 Tage vor UAW-Beginn abgesetzt worden war, verursacht worden sein könnte. Bemerkenswert ist bei unserem Fall eine offensichtlich besondere Empfindlichkeit des Patienten für unerwünschte Wirkungen; unter anderem war es auch unter Amisulprid und Risperidon zu innerer und motorischer Unruhe gekommen, die bereits damals als medikamenteninduziert eingestuft und entsprechend behandelt worden waren. Der Patient selbst erlebte die beschriebene Symptomatik subjektiv von einer deutlich anderen Qualität als die im Rahmen einer Exazerbation seiner Erkrankung, und hatte dies auch die Erstexposition betreffend angegeben.

Schlussfolgerungen

Psychische Nebenwirkungen müssen gerade in der psychiatrischen Medizin große Aufmerksamkeit finden. Entsprechende Erfahrungen sollten kritisch bewertet und zugänglich gemacht werden. In dieser Hinsicht und im Hinblick auf die Erfassung von unerwünschten Wirkungen unter neu zugelassenen Medikamente kommt der Anwendungsbeobachtung unter klinischen Bedingungen eine besondere Verantwortungsstellung zu.

Literatur

1. Grohmann R, Engel R, Rüther E, Hippius H. The AMSP Drug Safety Program: Methods and global results. Pharmacopsychiatry 2004;37(Suppl 1):S4-S11.

2. Marder SR, McQuade RD, Stock E, Kaplita S, et al. Aripiprazole in the treatment of schizophrenia: safety and tolerability in short-term, placebo-controlled trials. Schizophr Res 2003;61:123-36.

3. Stahl SM. Dopamine system stabilizers, aripiprazole, and the next generation of antipsychotics: Part 1. “Goldilocks” actions at dopamine receptors. J Clin Psychiatry 2001;62:824-41.

4. Stahl SM. Dopamine system stabilizers, aripiprazole, and the next generation of antipsychotics: Part 2. Illustrating their mechanism of action. J Clin Psychiatry 2001;62:923-4.

5. Bowles TM, Levin GM. Aripiprazole: a new atypical antipsychotic drug. Ann Pharmacotherapy 2003;37:687-94.

Dr. med Susanne Stübner, Dr. med. Renate Grohmann, Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Möller, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig Maximilians Universität München, Nussbaumstraße 7, 80336 München
Prof. Dr. Eckart Rüther, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Georg-August-Universität Göttingen, Robert-Koch-Straße 40, 37075 Göttingen

Psychopharmakotherapie 2005; 12(01)