Julia Pieper, Wachtberg
Es wird geschätzt, dass jährlich etwa 2,6 Millionen Todesfälle weltweit auf Alkoholkonsum zurückzuführen sind. Bei über 200 Erkrankungen (insbesondere kardiovaskuläre, Leber- und Krebserkrankungen) wird zwischenzeitlich von einem wesentlichen Einfluss eines Alkoholkonsums ausgegangen.
Trotz dieses erheblichen Einflusses legen aktuelle Daten aus den USA nahe, dass aktuell weniger als 10 % der Menschen mit Alkoholabhängigkeit adäquat behandelt werden. Gründe hierfür sind neben einer sozialen Stigmatisierung der Betroffenen sowie relativer Unkenntnis über die Erkrankung insbesondere, dass nur sehr wenige Wirkstoffe zur Behandlung eines übermäßigen Alkoholkonsums zugelassen sind. Dabei kann schon ein reduzierter Konsum eine positive Wirkung auf die Gesundheit der betroffenen Patienten haben. Bisher stehen zur Therapie der Alkoholkrankheit Disulfiram (in Deutschland und vielen anderen Ländern nicht mehr auf dem Markt), Acamprosat und Naltrexon bzw. Nalmefen zur Verfügung.
In einer randomisierten, Placebo-kontrollierten, doppelblinden Studie mit 48 Teilnehmern wurde nun untersucht, inwieweit Semaglutid einen positiven Einfluss auf das Trinkverhalten bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit hat. Semaglutid, ein GLP(Glucagon-like Peptide)-1-Rezeptoragonist, ist zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 und der Adipositas zugelassen, scheint aber auch zu einem reduzierten Alkoholkonsum zu führen.
Studiendesign
Die Teilnehmer erhielten einmal wöchentlich subkutan entweder Semaglutid in aufsteigender Dosierung (0,25 mg über 4 Wochen, 0,5 mg für 4 Wochen und 1 mg für eine Woche) oder ein Placebo.
Primärer Endpunkt der vorliegenden Studie war eine standardisiert erhobene Alkohol-Trinkmenge vor Beginn der Studie und danach (Woche 8). Die Studienteilnehmer erhielten dabei ein alkoholisches Getränk ihrer Wahl und konnten sich zunächst dafür entscheiden, den Konsum gegen eine Geldprämie für bis zu 50 Minuten hinauszuzögern. Anschließend konnten sie das Getränk über einen Zeitraum von zwei Stunden in einer ihnen angenehmen Geschwindigkeit und Menge konsumieren. Alle 30 Minuten wurde mittels Atemtest die Alkoholkonzentration bestimmt. Daneben wurden Episoden eines „Rauschtrinkens“ (Frauen: ≥ 4 Drinks/Tag, Männer: ≥ 5 Drinks/Tag), das Verlangen nach Alkohol („Craving“) sowie die Anzahl der Tage, an denen überhaupt Alkohol konsumiert wurde, erhoben.
Ergebnisse
Unter der Anwendung von Semaglutid wurde eine signifikante Reduktion der innerhalb der zwei Stunden konsumierten Alkoholmenge beobachtet. Es gab weniger Episoden eines „Rauschtrinkens“, und auch das „Craving“ nach Alkohol verringerte sich. Allerdings gab es keine Reduktion bezüglich der Anzahl der Tage, an denen getrunken wurde, sodass die Teilnehmer unter Semaglutid nicht häufiger abstinent waren als vor Beginn der Studie. Auch in Bezug auf die freiwillige Verzögerung des Trinkbeginns unter Laborbedingungen gab es keinen Unterschied.
Interessanterweise berichteten die Studienteilnehmer daneben außerdem von einem reduzierten Verlangen nach Zigaretten.
Fazit
Niedrig dosiertes Semaglutid scheint diesen initialen Ergebnissen nach die konsumierte Alkoholmenge sowie ein „Craving“ nach Alkohol reduzieren zu können. Es sind jedoch aufgrund mehrerer Limitationen der Studie, u. a. kleine Teilnehmerzahl und kurze Laufzeit der Studie, weitere, größer angelegte Phase-II- und -III-Studien notwendig. Um die Sicherheit und Machbarkeit der Studie zu sichern, wurden nur geringe Dosen Semaglutid eingesetzt, möglicherweise auf Kosten der Wirksamkeit. Neben Semaglutid können möglicherweise auch weitere GLP-1-Rezeptoragonisten einen Einfluss auf den Alkoholkonsum im Rahmen der Therapie der Alkoholabhängigkeit haben, sodass die Autoren anregen, weitere Untersuchungen mit dem möglichen Ziel eines Drug-Repurposings und einer damit verbundenen Indikationserweiterung für entsprechende Wirkstoffe durchzuführen.
Quelle
Hendershot CS, et al. Once-weekly semaglutide in adults with alcohol use disorder. A randomized clinical trial. JAMA Psychiatry 2025 Feb 12. doi: 10.1001/jamapsychiatry.2024.4789.
Psychopharmakotherapie 2025; 32(03):105-121