Dr. Alexander Kretzschmar, München
Zur Anwendung in der Hämatoonkologie zugelassen sind aktuell CAR-T-Zelltherapien der zweiten Generation, die das CD19-Oberflächenprotein (maligner) B-Zellen sowie das B-Cell Maturation Antigen (BCMA) adressieren. Diese CAR-T-Zellen tragen neben der Signaldomäne eine kostimulatorische Domäne wie CD28 oder 4-1BB zugunsten einer länger anhaltenden T-Zell-Antwort und Persistenz [8, 9]. Inzwischen wurde das CAR-T-Design bis in die vierte Generation mit einer verbesserten Nutzen-Risiko-Relation verfeinert, berichtete Prof. Michel Sadelain, New York [7, 9]. Auf dem AAN 2025 wurden erste Daten zur Sicherheit des autologen Anti-CD19-CAR-T-Zelltherapeutikums KYV-101 in zwei offenen Phase-I-Studien bei der nicht-schubaktiven progressiven MS bzw. bei refraktärer progressiver MS sowie bei der refraktären generalisierten Myasthenia gravis in der offenen Phase-II-Studie KYSA-6 vorgestellt [3, 5, 6]. Alle Studien laufen derzeit und rekrutieren noch Patienten, so Prof. Jeffrey Dunn, Palo Alto.
Die Messungen zeigen bei der nicht-schubaktiven progressiven MS für KYV-101 eine robuste CAR-T-Expansion im Blut und in der Zerebrospinalflüssigkeit. In der Studie traten bei den ersten vier ausgewerteten Patienten im Alter von 18 bis 65 Jahren nach der Infusion von 33 Millionen Zellen in den folgenden acht Tagen weder ein Zytokinfreisetzungssyndrom (CRS) noch ein Immuneffektorzell-assoziiertes Neurotoxizitätssyndrom (ICANS) auf. Messungen verschiedener Immunmarker zeigten am Tag 14 nach der Infusion auffällige Veränderungen. Dunn wies darauf hin, dass bei einem Patienten die oligoklonalen Banden innerhalb von sechs Monaten komplett verschwanden. Die Studie war zwar nicht auf Veränderung klinischer Endpunkte ausgelegt, zeigte aber einen Rückgang der Fatigue-Symptomatik, gemessen mit der Neuro-QoL-Fatigue-Skala. Bei zwei Patienten erfolgte eine CD19+-B-Zell-Repopulation innerhalb von drei bis sechs Monaten [3].
In der zweiten Phase-I-Studie wurden bislang zwei Frauen mit sekundär progressiver MS (SPMS) und Vortherapie mit Ocrelizumab ausgewertet. Erste Daten zeigen das erwartete Immunprofil mit einer Rekonstitution von Antigen-naiven CD19+-B-Zellen. Patientin 1 entwickelte weder ein CRS noch ein ICANS, aber eine anhaltende Neutropenie. Bei Patientin 2 trat ein CRS auf [5]. Das Sicherheitsprofil wurde in beiden Phase-I-Studien insgesamt als positiv bewertet.
KYV-101 wird derzeit auch in der offenen Phase-II-Multicenterstudie KYSA-6 (NCT06193889) in den USA und Deutschland bei geplant 20 Patienten mit refraktärer generalisierter MG untersucht [6]. Der Follow-up der ersten drei Patienten zeigte eine deutliche Verbesserung der Muskelfunktion mit einem anhaltenden Rückgang der MG-Antikörper in zwei Drittel der Fälle. Ein Patient blieb nach > 19 Monaten frei von einer aktiven Erkrankung und erhielt keine Immunsuppressiva und Glucocorticoide.
CAR-T-Zellen bei rezidivierender/refraktärer Neurolymphomatose
In der Neuroonkologie werden auch seltene ZNS-Syndrome wie die Neurolymphomatose (NL) in CAR-T-Studien untersucht. Prof. Jorg Dietrich, Boston, stellte eine retrospektive Analyse zur Therapie von elf Patienten mit sekundärer rezidivierender/refraktärer Neurolymphomatose (r/rNL) mit CD19-CAR-T-Zellen vor [2]. Die NL ist ein seltenes Syndrom peripherer und kranialer Nervenfunktionsstörungen bei hämatologischen Malignomen, meist Non-Hodgkin-Lymphomen oder akuter Leukämie. Die Prognose ist sehr schlecht, weil die NL meist zu spät korrekt diagnostiziert wird und es keine Standardtherapie gibt. Das mediane Gesamtüberleben (OS) beträgt etwa 18 Monate nach Diagnosestellung. Alle elf Patienten wurden mit CD19-CAR-T-Zellen behandelt: Tisagenlecleucel (n = 6), Lisocabtagen maraleucel (n = 3) und Axicabtagen ciloleucel (n = 2). Das Gesamtansprechen betrug 64 % (7/11). Eine Komplettremission (CR) erreichten 3/11 Patientinnen (27 %); in zwei Fällen hält die CR inzwischen über 9 bzw. 46 Monate an. Das mediane progressionsfreie Überleben (PFS) betrug 4 Monate. Das Sicherheitsprofil entsprach demjenigen beim Non-Hodgkin-Lymphom. Ein CRS (Grad 1: 7/8; Grad 2: 1/8) trat bei 8/11 Patienten nach median 3,5 Tagen auf und dauerte median 3 Tage. 6/11 Patienten entwickelten nach Median 5,5 Tagen ein ICANS (Grad 1 bis 2: 5/6; mediane Dauer: 3 Tage). Alle CRS und ICANS remittierten ohne Restsymptome. Als Prädiktor für das Auftreten von ICANS erwies sich ein Baseline-CRP > 6 mg/dl zum Infusionszeitpunkt [2].
Klinisches Management von Neurotoxizitäten
Neben dem Einsatz von CAR-T-Zellen als innovative Therapieoption wird auch das Management von Neurotoxizitäten unter CAR-T-Zelltherapie sowie bispezifischen Antikörpern bei onkologischen Malignomen immer wichtiger. Hierzu wurden auf dem AAN Erfahrungen aus einem Real-World-Setting vorgestellt. Die Datenlage zur Häufigkeit akuter Krampfanfälle unter CAR-T-Zelltherapien und möglicher Risikofaktoren ist derzeit noch schmal. Zwei Poster von Arbeitsgruppen der amerikanischen Mayo-Kliniken fanden eine geringe Inzidenz akuter Krampfanfälle [1, 4]. In einer retrospektiven Analyse von Freund et al. entwickelten nur 8 von 180 Patienten (4,4 %) akute Krampfanfälle nach im Mittel acht Tagen post-Infusion. Mit einem signifikant höheren Risiko akuter Krampfanfälle waren ein vorangegangenes CRS (Odds-Ratio [OR] 1,81; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,62–2,99; p = 0,007) oder ICANS vom Grad ≥ 3 (OR –1,43; 95%-KI –1,86 bis –1,00; p < 0,001) sowie fokale neurologische Defizite (OR 7,15; 95%-KI 1,60–32,14; p = 0,007) und eine Cefepim-Exposition (OR 0,58; 95%-KI 0,51–0,65; p = 0,022) assoziiert. Eine medikamentöse antiepileptische Prophylaxe beeinflusste die Inzidenz der Krampfanfälle nicht. Freund et al. regen daher an, die bisherige Praxis einer antiepileptischen Prophylaxe bei CAR-T-Zelltherapien zu überdenken und diese Medikamente eher konservativ einzusetzen.
Chiriboga et al werteten retrospektiv die Verläufe von 206 Patienten über einen medianen Follow-up von 14 Monaten aus. Dabei erwiesen sich Enzephalopathien im Baseline-EEG als Prädiktor für eine signifikant erhöhte Mortalität (p = 0,002) bzw. kürzeres Überleben im Beobachtungszeitraum unter CAR-T-Zelltherapie [1].
Quelle
77. Jahrestagung der American Academy of Neurology (AAN), 5. bis 9. April 2025, San Diego, CA, USA.
Literatur
1. Chiriboga G, et al. EEG as a Predictive Tool for Seizures and Survival Outcomes Related to CAR T-cell Therapy. AAN 2025; Poster P3–9.002.
2. Dietrich J, et al. Toxicities and Outcome after CD19-directed Chimeric Antigen Receptor T-cell Therapy for Neurolymphomatosis. AAN 2025; Oral Session S29: Neuro-oncology S29.010
3. Dunn J, et al. A Phase 1, Open-label, Single Center Study of KYV-101, an Autologous Fully-human Anti-CD19 Chimeric Antigen Receptor T-Cell (CD19 CAR T) Therapy, in Subjects with Non-relapsing and Progressive Forms of Multiple Sclerosis. AAN 2025; Oral Session S3: Multiple Sclerosis: Clinical Trials S3.001
4. Freund B, et al. Acute Symptomatic Seizures During CAR T-Cell Therapy for Hematologic Malignancies: Tri-Site Mayo Clinic Experience. AAN 2025; Oral Session „S20: Epilepsy Clinical Outcomes and Prognostication. S20.003.
5. Gupta S, et al. An Investigator Initiated Study of KYV-101, a CD19 CAR T Cell Therapy, in Participants with Treatment Refractory Progressive Multiple Sclerosis. AAN 2025; Oral Session „S3: Multiple Sclerosis: Clinical Trials“ S3.002.
6. Haghikia A, et al. Multicenter Study of KYV-101, a Novel Fully Human Anti-CD19 Chimeric Antigen Receptor T-Cell Therapy in Refractory Generalized Myasthenia Gravis. Poster P7–11.034.
7. Harrer DC, et al. Fine-tuning the antigen sensitivity of CAR T cells: emerging strategies and current challenges. Front Immunol 2023;14:1321596.
8. Ismail FS, et al. Current and Future Roles of Chimeric Antigen Receptor T-Cell Therapy in Neurology: A Review. JAMA Neurol 2025;82(1):93–103.
9. Sadelain M. CAR T Cells Living Drugs for Immunotherapy. AAN 2025; Oral Session Frontiers in Neuroscience Plenary Session PL6.005.
Psychopharmakotherapie 2025; 32(03):105-121