Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
Die Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung (NMOSD) ist eine seltene, schwere Autoimmunerkrankung, die durch akute Entzündungen der Sehnerven und des Rückenmarks charakterisiert ist. Manchmal sind auch der Hirnstamm oder das Großhirn betroffen. Unbehandelt führt die NMOSD bei den meisten Menschen zu irreversiblen neurologischen Ausfällen und einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität. Pathophysiologisch ist die NMOSD durch Autoantikörper gegen eine Vielzahl von Aquaporin-4 (AQP4)-Kanälen bedingt. Die Bindung von Anti-AQP4-Autoantikörpern an AQP4 auf Astrozyten aktiviert den klassischen Komplementweg, aber auch komplementunabhängige Zytotoxizitätsmechanismen. Das führt zum Untergang von Astrozyten, Demyelinisierungen und Neuronenverlust. Neben der Sekretion von Antikörpern gegen AQP4 tragen auch B-Zellen zur Pathophysiologie der NMOSD bei, indem sie T-Zell-Reaktionen durch pro-inflammatorische Zytokinsekretion und Antigenpräsentation auslösen. Inebilizumab ist ein Anti-CD19-B-Zell-depletierender Antikörper. Seine Sicherheit und Wirksamkeit bei NMOSD wurden in der randomisierten, kontrollierten Phase der N-MOmentum-Studie belegt [1]. Hier werden nun die Daten zum Studienende einschließlich des offenen Verlängerungszeitraums berichtet.
Studiendesign
In der doppelblinden, randomisierten, Placebo-kontrollierten Phase-II/III-Studie N-MOmentum wurden Erwachsene ab 18 Jahren mit der Diagnose einer NMOSD, einem Expanded Disability-Status-Scale-Score von 8,0 oder weniger und mit mindestens einem akuten entzündlichen Schub eingeschlossen: ein Schub innerhalb des letzten Jahres, der eine Akuttherapie erforderte, oder zwei Schübe in den letzten zwei Jahren, die eine Therapie erforderten. Die Studie wurde in 81 Kliniken in 24 Ländern durchgeführt. Die Studienteilnehmer wurden im Verhältnis 3 : 1 randomisiert. Die Therapie erfolgte mit 300 mg intravenösem Inebilizumab oder Placebo an den Tagen 1 und 15 des randomisierten Zeitraums, der bis zu 197 Tage dauerte. Teilnehmer und Studienpersonal waren hinsichtlich der Behandlungszuweisung verblindet.
Der primäre Endpunkt des randomisierten Zeitraums der Studie war die Zeit bis zum Auftreten eines erneuten Schubs der NMOSD an Tag 197 oder früher. Teilnehmer im randomisierten kontrollierten Zeitraum, die einen erneuten Schub und 197 Tage an der Studie mitgemacht hatten, konnten freiwillig an der offenen Studienphase teilnehmen. In der offenen Phase begannen die Teilnehmer entweder mit Inebilizumab, wenn ihnen zuvor Placebo zugewiesen wurde, und erhielten 300 mg an den Tagen 1 und 15 des offenen Zeitraums, oder sie setzten die Behandlung fort, wenn ihnen Inebilizumab zugewiesen worden war. Sie erhielten 300 mg an Tag 1 und Placebo an Tag 15, um die Depletion der B-Zellen aufrechtzuerhalten und den randomisierten, kontrollierten Zeitraum zu maskieren. Alle Teilnehmer erhielten anschließend Inebilizumab 300 mg alle 6 Monate über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren. Die Endpunkte der Studie waren die Zeit bis zum nächsten Schub und die jährliche Schubrate bei allen Teilnehmern, die Inebilizumab zu irgendeinem Zeitpunkt während des randomisierten kontrollierten Zeitraums oder des offenen Zeitraums erhielten. Außerdem wurden AQP4-IgG-seropositive Patienten und die Sicherheit analysiert.
Ergebnisse
Zwischen Januar 2015 und September 2018 wurden 467 Personen untersucht, 231 randomisiert und 230 erhielten mindestens eine Dosis Inebilizumab (n = 174) oder Placebo (n = 56). Zwischen Mai 2015 und November 2018 wechselten 165 (95 %) der 174 Teilnehmer in der Inebilizumab-Gruppe und 51 (91 %) von 56 Patienten in der Placebo-Gruppe in die Open-Label-Studie. Das Durchschnittsalter betrug 42,9 Jahre und 197 (91 %) der Teilnehmer waren weiblich. Daten-Cut-off für die Analyse am Ende der Studie war im Dezember 2020. Die mediane Expositionszeit betrug 1178 Tage. 208 (92 %) der Teilnehmer waren AQP4-IgG-seropositiv.
Insgesamt traten
- 63 erneute Schübe bei 47 von 225 behandelten Teilnehmern (21 %) und
- 60 Schübe bei 44 von 208 Patienten (21 %) in der AQP4-IgG-seropositiven Untergruppe auf.
- 40 der 63 Schübe (63 %) traten bei 34 (15 %) der 225 behandelten Teilnehmer im ersten Jahr der Behandlung auf.
- Von den Personen, bei denen während der Behandlung mit Inebilizumab ein Schub festgestellt wurde, waren 36 von 47 (77 %) anschließend für vier Jahre schubfrei.
Die jährlichen Schubraten sanken von Jahr zu Jahr.
Insgesamt wiesen 208 der 225 Teilnehmer (92 %), die Inebilizumab erhielten, mindestens eine behandlungsbedingte unerwünschte Arzneimittelwirkung auf, von denen die häufigsten Harnwegsinfektionen 59 (26 %), Nasopharyngitis 47 (21 %) und Arthralgien 39 (17 %) waren. Die Infektionsraten stiegen über vier Jahre nicht an. Drei der 225 Teilnehmer in der Population mit Inebilizumab starben während des offenen Zulassungszeitraums, je einer aufgrund eines ZNS-Ereignisses unbekannter Ursache und einer Lungenentzündung, respiratorischer Insuffizienz infolge eines NMOSD-Schubs und einer viralen Lungenentzündung im Zusammenhang mit COVID-19.
Kommentar
Bis vor einigen Jahren gab es keine Therapie der NMOSD. Das lag daran, dass die Pathophysiologie der Erkrankung nicht bekannt war. Bis zur Entdeckung der Rolle der Aquaporin-Kanäle war man von einer Sonderform der Multiplen Sklerose ausgegangen. Die Klärung der pathophysiologischen Ursachen der NMOSD führte zur Entwicklung von gezielten Therapien. Ein Wirkungsnachweis konnte erbracht werden für den Interleukin-6 (IL-6)-Rezeptorantikörper Satralizumab, die Anti-Komplement-5-Antikörper Eculizumab und Ravulizumab und jetzt den Anti-CD19-Antikörper Inebilizumab [1]. All diese Antikörper haben in Placebo-kontrollierten Studien ihre Wirksamkeit belegt. Wichtig in der vorliegenden Studie ist die Beobachtung, dass die Wirksamkeit von Inebilizumab auch über einen Zeitraum von bis zu drei Jahren anhält und die Schubrate anhaltend hoch signifikant reduziert wird. Alle diese modernen Antikörper haben unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Der therapeutische Nutzen übersteigt aber bei Weitem das Risiko.
Quelle
Cree BAC, et al. Safety and efficacy of inebilizumab for the treatment of neuromyelitis optica spectrum disorder: end-of-study results from the open-label period of the N-MOmentum trial. Lancet Neurol 2024;23:588–602.
Literatur
1. Anderson M, Levy M. Advances in the long-term treatment of neuromyelitis optica spectrum disorder. J Cent Nerv Syst Dis 2024;16:11795735241231094.
2. Cree BAC, et al. Inebilizumab for the treatment of neuromyelitis optica spectrum disorder (N-MOmentum): a double-blind, randomised placebo-controlled phase 2/3 trial. Lancet 2019;394:1352–63.
Psychopharmakotherapie 2024; 31(04):145-153