Mag. pharm. Irene Senn, PhD, Wien
Antipsychotika werden bei Demenzkranken häufig zur Behandlung von psychiatrischen Symptomen und Verhaltensstörungen eingesetzt, obwohl Sicherheitsbedenken seit Langem bekannt sind. Vor zerebrovaskulären Risiken wie Schlaganfall oder transitorischen ischämischen Attacken warnte die FDA (Food and Drug Administration) erstmals im Jahr 2003. Es folgten entsprechende behördliche Sicherheitswarnungen in den USA, Großbritannien und der EU. Weitere Nebenwirkungen wurden zwar in Beobachtungsstudien untersucht, bislang jedoch mit uneindeutigen Ergebnissen. Für eine umfassendere Einschätzung des Gesamtrisikos ist es erforderlich, mehrere potenzielle Risiken in der gleichen Kohorte zu bestimmen. Eine solche Analyse wurde kürzlich im British Medical Journal publiziert.
Studiendesign
Die große populationsbasierte Kohortenstudie der Universität Manchester wertete die Daten aus den elektronischen Gesundheitsakten des Clinical Practice Research Datalink (CPRD) aus. Diese Datenbank wird von mehr als 2 000 Primärversorgungseinrichtungen in Großbritannien gespeist und gilt als weitgehend repräsentativ für die britische Bevölkerung.
Analysiert wurden die Daten von 173 910 Erwachsenen (≥ 50 Jahre), die zwischen 1998 und 2018 eine Demenzdiagnose erhalten haben. Jeder Patient, der nach seiner Erstdiagnose eine Antipsychotika-Verschreibung erhielt (n = 35 339), wurde nach Inzidenzdichte mit einer Gruppe von bis zu 15 zufällig ausgewählten Patienten gematcht, die am selben Tag die Demenzdiagnose erhielten, jedoch keine Antipsychotika verschrieben bekamen.
Ergebnisse
Die Einnahme von Antipsychotika war mit einem erhöhten Risiko für fast alle untersuchten unerwünschten Ereignisse assoziiert (Tab. 1). Lediglich das Risiko für ventrikuläre Arrhythmien blieb unter Antipsychotika-Einnahme unverändert. Besonders hoch war die Gefahr für unerwünschte Ereignisse zu Beginn der Therapie. In den 90 Tagen nach Behandlungsbeginn lag die kumulative Inzidenz von Pneumonien bei Antipsychotika-Anwendern bei 4,48 % gegenüber 1,49 % in der Kohorte der Nicht-Anwender.
Tab. 1. Unerwünschte Ereignisse innerhalb von 90 Tagen nach Beginn einer Antipsychotika-Therapie [nach Mok et al.]
Unerwünschtes Ereignis |
Hazard-Ratio (95%-Konfidenzintervall) |
Schlaganfall |
1,61 (1,52‒1,71) |
Venöse Thromboembolie |
1,62 (1,46‒1,80) |
Myokardinfarkt |
1,28 (1,15‒1,42) |
Herzinsuffizienz |
1,27 (1,18‒1,37) |
Ventrikuläre Arrhythmien |
0,76 (0,51‒1,13) |
Fraktur |
1,43 (1,35‒1,52) |
Pneumonie |
2,19 (2,10‒2,28) |
Akuter Nierenschaden |
1,72 (1,61‒1,84) |
Blinddarmentzündung und Cholezystitis* |
0,87 (0,61‒1,24) |
*als Negativkontrollen, da es in der Literatur bislang keine Hinweise für einen Zusammenhang mit der Antipsychotika-Einnahme gibt
Fazit
Die Studienautoren resümieren, dass das Spektrum der unerwünschten Ereignisse beim Einsatz von Antipsychotika breiter ist als bislang angenommen. Das höchste Risiko besteht dabei kurz nach Therapiebeginn. Diese weitreichenden Effekte müssen bei der Verschreibung an Demenzpatienten beachtet werden und sollten zukünftig bei regulatorischen Entscheidungen sowie bei der Entwicklung von Leitlinien berücksichtigt werden. Jeder potenzielle Nutzen der Behandlung muss gegen das Risiko schwerwiegender Schäden abgewogen werden. Antipsychotika sollten allenfalls in der niedrigsten wirksamen Dosis und für die kürzeste mögliche Zeit verschrieben werden.
Quelle
Mok PLH, et al. Multiple adverse outcomes associated with antipsychotic use in people with dementia: population based matched cohort study. BMJ 2024;385:e076268.
Psychopharmakotherapie 2024; 31(04):145-153