Matthias Manych, Berlin
Pregabalin ist neben Gabapentin sowie trizyklischen Antidepressiva und dem selektiven Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Duloxetin das Mittel der Wahl für die Erstlinientherapie neuropathischer Schmerzen (Duloxetin nur bei diabetischer Neuropathie) [4]. Das Gamma-Aminobuttersäure-Analogon Pregabalin reduziert durch Bindung an spannungsabhängige Calciumkanäle im zentralen Nervensystem den Calciumeinstrom. In der Folge verringert sich die Freisetzung stimulierender Neurotransmitter und die Erregbarkeit der Nervenzellen [1, 7].
Wirkdauer von 24 Stunden
Bei der Retardtablette (Pregabalin Aristo® retard) wird die Wirkstofffreisetzung auf zwei Wegen kontrolliert. Wie Prof. Dr. med. Ralf Baron, Kiel, erklärte, sorgt eine Matrix aus basischem Butylmethacrylat-Copolymer für eine pH-abhängige verzögerte Freisetzung; zusätzlich sorgen Hypromellose und Hydroxypropylcellulose dafür, dass die Tablette im Magen rasch quillt und aufschwimmt. Mit dieser Gastroretention wird die Zeit bis zur maximalen Wirkstoffkonzentration (tmax) auf 12 Stunden verlängert, verglichen mit einer tmax von 3 Stunden mit dem bisherigen, schnell freisetzenden (IR-)Pregabalin. Die Retardform ermöglicht eine Wirkdauer von 24 Stunden und damit eine einmal tägliche Einnahme. Pregabalin wird aus der Retardtablette kontinuierlich dosisproportional freigesetzt. Der Steady-State stellt sich nach mehrfacher Einnahme innerhalb von 72 bis 96 Stunden ein [2].
Die Wirksamkeit und Sicherheit der Retardformulierung (einmal täglich) wurde in einer randomisierten Nichtunterlegenheits-Phase-III-Studie über 12 Wochen mit IR-Pregabalin (zweimal täglich) verglichen. Die Teilnehmer litten an diabetischer Neuropathie oder Post-Zoster-Neuralgie. In beiden Gruppen (retardiertes Pregabalin, n = 154; IR-Pregabalin, n = 165) waren sowohl die Schmerzreduktion als auch die Verträglichkeit vergleichbar. Die Häufigkeit therapiebedingter unerwünschter Ereignisse, die zum Behandlungsabbruch führten, war gering: 2,7 % retardiertes Pregabalin; 1,1 % IR-Pregabalin [3].
Unzureichende medikamentöse Versorgung
Insgesamt könnten bis zu 10 % der Bevölkerung an neuropathischen Schmerzen leiden [6], soweit verfügbare Daten eine Schätzung auf Basis des subjektiven Phänomens Schmerz erlauben. Baron berichtete, dass beispielsweise 14 % der Patienten mit Diabetes mellitus an neuropathischen Schmerzen leiden. Obwohl 79 % dieser Patienten mittlere bis starke Schmerzintensitäten angeben, haben 56 % von ihnen keine entsprechende verschriebene Medikation [5]. „Problematisch ist, dass viele Patienten immer noch nichtsteroidale Antirheumatika wie Ibuprofen oder Diclofenac nehmen, obwohl diese bei neuropathischen Schmerzen nicht wirksam sind“, betonte der Schmerzexperte. Ein entscheidender Faktor für die effektive Schmerzreduktion bei neuropathischen Schmerzen ist, wie in der Langzeitbehandlung anderer Erkrankungen, die Therapietreue. Diese sei bei den Patienten mitunter problematisch, sagte Baron und erwartete, dass sich die Adhärenz mit der neuen Option der einmal täglichen Einnahme verbessern kann.
Die Neueinstellung oder Umstellung auf die Pregabalin-Retardtablette ist einfach: Nach einer morgendlichen Einnahme des IR-Pregabalins kann am Abend mit der Retardtablette begonnen werden. Da die Bioverfügbarkeit von retardiertem Pregabalin bei Einnahme auf nüchternen Magen verringert ist, sollte die Tablette nach dem Abendessen (800–1000 Kalorien) eingenommen werden [2].
Quelle
Prof. Dr. med. Ralf Baron, Kiel, Launch-Pressegespräch „Neue Therapieoption bei neuropathischen Schmerzen“, Berlin, 15. April 2024, veranstaltet von Aristo Pharma.
Literatur
1. Alles S, et al. Pregabalin as a pain therapeutic: Beyond calcium channels. Front Cell Neurosci 2020;14:83. doi: 10.3389/fncel.2020.00083.
2. Fachinformation Pregabalin Aristo® retard, Stand 01/2024.
3. Han KA, et al. Efficacy and safety of a new sustained-release Pregabalin formulation compared with immediate-release Pregabalin in patients with peripheral neuropathic pain. Clin J Pain 2022;38:343–50.
4. Schlereth T, et al. Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen. S2k-Leitlinie, 2019, Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Online: https://dgn.org/leitlinie/diagnose-und-nicht-interventionelle-therapie-neuropathischer-schmerzen (Zugriff am 29.05.2024).
5. Tesfaye S, et al. Diagnosis, management and impact of painful diabetic peripheral neuropathy: A patient survey in four European countries. J Diabetes Complications 2023, doi: 10.1016/j.jdiacomp.2023.108417.
6. van Hecke O, et al. Neuropathic pain in the general population: a systematic review of epidemiological studies. Pain 2014;155:654–62.
7. Verma V, et al. Pregabalin in neuropathic pain: Evidences and possible mechanisms. Curr Neuropharmacol 2014;12:44–56.
Psychopharmakotherapie 2024; 31(04):145-153