Dr. Thomas M. Heim, Freiburg
Nabiximols-Oromukosalspray (Sativex®) enthält zu etwa gleichen Teilen Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). Das Medikament ist laut Prof. Dr. med. Mathias Mäurer, Würzburg, nachweislich wirksam und sicher als Add-on-Therapie der Multiple-Sklerose-assoziierten Spastik und der damit einhergehenden Begleitsymptome wie Schmerzen, Schlafstörungen oder Fatigue. Dazu stehen mittlerweile Anwendungsdaten aus über 150 000 Therapiejahren zur Verfügung [1].
Wer auf die Probebehandlung anspricht, profitiert oft weiter
Als weiteren Beleg für die Wirksamkeit von Nabiximols führte Mäurer die randomisiert-kontrollierte Studie SAVANT (Sativex® as add-on therapy vs. further optimized first-line ANTispastics) [3, 4] an. Die Studie schloss MS-Kranke ein, deren bisher therapieresistenten spastischen Symptome während einer vierwöchigen Probebehandlung gut auf Nabiximols angesprochen hatten. Unter einer zwölfwöchigen Weiterbehandlung mit Nabiximols und antispastischer Bedarfsmedikation kam es signifikant häufiger zu einer Verbesserung der spastischen Symptome um mindestens 30 % auf der visuellen Analogskala als bei den mit Placebo und Bedarfsmedikation weiter Behandelten (Odds-Ratio [OR] 7,03; 95%-Konfidenzintervall [KI] 2,953–16,738; p < 0,0001) [3].
Mäurer berief sich zudem auf eine, unter maßgeblicher Beteiligung der Firma Almirall durchgeführte, Post-hoc-Analyse von SAVANT [4]. Für diese wurden Subgruppen nach Behinderungsgrad (EDSS-Score), Schwere der Spastik (NRS-Score) oder Dauer der Spastik (≤ 5 Jahre oder > 5 Jahre) gebildet. Es zeigte sich, dass die Behandlung mit Nabiximols in allen Subgruppen die mittleren Schweregrade für Spastik und begleitende Schmerzen gegenüber dem Behandlungsbeginn reduziert hatte. In der Subgruppe der von moderater Spastik (NRS ≤ 6) Betroffenen (n = 15) war der Effekt auf die Spastik numerisch vorhanden (Reduktion der NRS um 50,7 % vs. 31,5 %), aber statistisch nicht signifikant (p = 0,137). Bei schwerer Spastik erreichte der Effekt das Signifikanzniveau (p = 0,0001). Die Effekte auf Spastik-assoziierte Schmerzen erwiesen sich in den jeweiligen Subgruppen als sehr ähnlich zu den Effekten auf die Spastik (Tab. 1) [4].
Tab. 1. Post-hoc-Analyse der Studie SAVANT: Abnahme der Spastik-assoziierten Schmerzen in den nach Behinderungsgrad, Schwere und Dauer der Spastik gebildeten Subgruppen [4]
Subgruppe |
Reduktion des NRS-Werts für Schmerzen [%] |
p-Wert |
|
Nabiximols |
Placebo |
||
EDSS-Wert |
|||
EDSS < 6 (n = 24) |
44,8 |
31,0 |
p = 0,1284 |
EDSS ≥ 6 (n = 29) |
54,8 |
31,6 |
p = 0,003 |
Schwere der Spastik |
|||
NRS ≤ 6 (n = 15) |
51,3 |
46,1 |
p = 0,4947 |
NRS > 6 ( n = 38) |
50,0 |
27,3 |
p = 0,0008 |
Dauer der Spastik |
|||
Dauer ≤ 5 Jahre |
34,3 (n = 23) |
21,7 (n = 21) |
p = 0,0307 |
Dauer > 5 Jahre |
59,4 (n = 30) |
38,0 (n = 32) |
p = 0,0108 |
EDSS: Expanded Disability Status Scale; NRS: Numeric Rating Scale (beide Skalen von 0 bis 10)
Ziele meist erreicht bis übertroffen
Prof. Dr. med. Michael Haupts, Düsseldorf, berichtete über die GAIMS-Studie [2], eine offene, nichtinterventionelle, multizentrische Studie, an der 51 von MS-Spastik Betroffene teilnahmen. Der primäre Endpunkt war die Veränderung des mittleren Zielerreichungs-Gesamtwerts, gemessen am Goal-Attainment-Scale(GAS-)Score, nach zwölf Wochen Beobachtung im Vergleich zum Ausgangswert. Der GAS-Score berücksichtigt sowohl die Grade der Zielerreichung als auch die individuelle Gewichtung der einzelnen Ziele, nach Maßgabe der Behandelten. Sekundäre Endpunkte waren klinische Messungen der MS-Spastik und der damit verbundenen Symptome wie Schmerzen, Schlaf- oder Blasenfunktionsstörungen.
Als häufigstes Therapieziel wurden von 67 % der von MS-Spastik Betroffenen weniger Schmerzen genannt, gefolgt von Verbesserungen der Gehfähigkeit (53 %) und des Schlafs (49 %). Der mittlere Gesamtwert der Zielerreichung, gemessen am GAS-Score, verbesserte sich vom Ausgangswert bis Woche 12 von 35,2 auf 51,4 (p < 0,001), was einem klinisch signifikanten Anstieg von 46 % entspricht. Rund zwei Drittel der spastizitätsbezogenen Behandlungsziele wurden in GAIMS erreicht. In vielen Fällen übertraf die Symptomlinderung die Erwartungen der Betroffenen. Aus deren Perspektive sank der NRS-Wert für Spastik nach zwölf Wochen Behandlung mit Nabiximols um 53 %, die NRS-Werte für Schmerzen, Spastik-assoziierte Schlafstörungen und Blasendysfunktion um 53 %, 60 % beziehungsweise 47 %. Die Aussagekraft der Studie ist den Autoren zufolge unter anderem dadurch begrenzt, dass sie als nichtinterventionelle Studie mit einem möglichen Selektionsbias sowie fehlenden oder unvollständigen Daten einhergehe und keine Kontrollgruppe mitführte [2].
Quelle
Prof. Dr. med. Michael Haupts, Düsseldorf, Prof. Dr. med. Mathias Mäurer, Würzburg, digitales Pressegespräch „Patientenperspektive positiv: neue Studiendaten zu Sativex® in der symptomatischen MS-Therapie“ am 26.03.2024, veranstaltet von Almirall Hermal GmbH, Reinbek.
Literatur
1. Chan A, et al. Evidence-based management of multiple sclerosis spasticity with nabiximols oromucosal spray in clinical practice: a 10-year recap. Neurodegener Dis Manag 2022;12:141–54.
2. Haupts MR, et al. Patient-reported benefits from nabiximols treatment in multiple sclerosis-related spasticity exceed conventional measures. Neurodegener Dis Manag 2024;14:11–20.
3. Markovà J, et al. Sativex® as add-on therapy vs. further optimized first-line ANTispastics (SAVANT) in resistant multiple sclerosis spasticity: a double-blind, placebo-controlled randomised clinical trial. Int J Neurosci 2019; 129:119–28.
4. Meuth SG, et al. Tetrahydrocannabinol and cannabidiol oromucosal spray in resistant multiple sclerosis spasticity: consistency of response across subgroups from the SAVANT randomized clinical trial. Int J Neurosci 2020;130:1199–205.
Psychopharmakotherapie 2024; 31(03):103-117