Tenecteplase zur Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls


Hans Christoph Diener, Essen, und Gerrit M. Große, Basel

Im Januar 2024 ist mit der Zulassungserweiterung für Tenecteplase nach Jahrzehnten die erste Alternative in der medikamentösen Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls eingeführt worden. Tenecteplase (Handelsname: Metalyse®) hat im Vergleich zur lange bekannten Alteplase eine längere Halbwertszeit, was mit logistischen Vorteilen in der Anwendung einhergeht. Die bisherigen Studien zeigen überwiegend eine Nichtunterlegenheit von Tenecteplase im Vergleich zu Alteplase in Bezug auf Effektivität und Sicherheit im Zeitfenster unter 4,5 Stunden nach Symptombeginn. Geringere Evidenz besteht in Situationen mit unklarem oder erweitertem Zeitfenster des Schlaganfalls. Dieser Artikel soll einen Überblick über den aktuellen Kenntnisstand zur Anwendung der Tenecteplase beim ischämischen Schlaganfall sowie über die entsprechenden Leitlinienempfehlungen geben. 

Schlüsselwörter: akuter ischämischer Schlaganfall, Thrombolyse, Alteplase, Tenecteplase, Zeitfenster, Komplikationen

Psychopharmakotherapie 2024;31:96–102.

Lange Zeit gab es keine wirksame und spezifische Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls. Dies änderte sich Anfang der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts mit der Einführung von Schlaganfallspezialstationen, den sogenannten Stroke-Units. Diese interdisziplinäre und multifaktorielle Versorgung von Schlaganfallpatienten mit strukturierter Diagnostik, Akuttherapie, Vermeidung von Komplikationen und Einleitung einer Sekundärprävention reduzierte statistisch signifikant die Sterblichkeit und die Schwere der verbleibenden neurologischen Ausfälle [11].

Der nächste, wichtige Schritt war die Einführung der Reperfusionstherapie mit systemischer Gabe von Alteplase [3, 14, 30]. Diese Therapie wurde nach mehreren randomisierten, kontrollierten Studien (RCT), die verschiedene Zeitfenster untersuchten, zunächst in einem Zeitfenster von 4,5 Stunden etabliert. Alteplase reduzierte statistisch signifikant sowohl die Sterblichkeit als auch bleibende Behinderungen und resultierte bei 30 bis 40 % der Patienten in einer Rekanalisation der verschlossenen hirnversorgenden Arterie. Der nächste Durchbruch in der Schlaganfalltherapie gelang dann mit Einführung der mechanischen Thrombektomie durch Stent-Retriever oder Aspirationssysteme [19]. Hier zeigten sich dramatische Therapieeffekte bei Verschlüssen der großen, hirnversorgenden Arterien, vor allem der Arteria cerebri media. Durch multimodale Bildgebung (zur Darstellung von Risiko-, sogenanntem Penumbra-Gewebe) konnte das Zeitfenster für den Einsatz der mechanischen Thrombektomie auf bis zu 24 Stunden nach Beginn der Symptome bzw. nach dem Zeitpunkt, an dem zuletzt Beschwerdefreiheit vorlag, erweitert werden.

Die intravenöse Thrombolyse mit Alteplase, einem rekombinanten Gewebeplasminogenaktivator, war lange Zeit die einzige zugelassene systemische Reperfusionstherapie für Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall. Alteplase stimuliert die Fibrinolyse von Thromben durch Umwandlung von Plasminogen in Plasmin. Eine Herausforderung bei der Anwendung von Alteplase ist die kurze Halbwertszeit, was bedeutet, dass die Thrombolyse mit Alteplase über einen relativ langen Zeitraum aufrechterhalten werden muss, um eine stabile Wirkstoffkonzentration und Wirksamkeit zu erreichen [27].

In der klinischen Praxis erhalten die Patienten einen Anfangsbolus von 10 % der Gesamtdosis von Alteplase und die verbleibenden 90 % der Dosis über eine Stunde als Infusion. Dies ist in bestimmten Situationen hinderlich, insbesondere, wenn Patienten zu einem Thrombektomie-Zentrum transportiert werden müssen.

Tenecteplase, eine genetisch veränderte Variante von Alteplase, wurde in den letzten Jahren zunehmend als Alternative zu Alteplase eingesetzt. Tenecteplase wurde im Vergleich zu Alteplase an drei genetischen Loci verändert, was zu einer längeren Halbwertszeit führt [6] (Kasten). Dies bedeutet, dass nur eine intravenöse Bolusgabe von Tenecteplase benötigt wird, im Gegensatz zur kontinuierlichen intravenösen Infusion mit Alteplase. Außerdem bewirkt die T-Mutation in Kombination mit den N- und K-Mutationen eine 15-fach höhere Fibrinbindung, eine nahezu normale Auflösung von Thromben und eine geringere Clearance. Tenecteplase wurde bereits im Jahr 2001 zur Behandlung des akuten Myokardinfarkts zugelassen.

Tenecteplase (TNK-tPA)

Tenecteplase unterscheidet sich vom rekombinant hergestellten Gewebeplasminogenaktivator (tPA [tissue plasminogen activator]) Alteplase durch drei Mutationen, die nach den Kürzeln der ausgetauschten Aminosäuren als T-, N- und K-Mutation bezeichnet werden:

T: T103N, N: N117Q; K: KHRR(296–299)AAAA
[Keyt BA, et al. Proc Natl Acad Sci USA 1994;91:3670–4.]

Mit der Zulassung von Tenecteplase zur Behandlung akuter ischämischer Schlaganfälle im Januar 2024 haben sich die therapeutischen Optionen für die Behandlung akuter ischämischer Schlaganfälle in Deutschland erweitert. Im Folgenden sollen daher die Studien zum Einsatz von Tenecteplase beim Schlaganfall und insbesondere die Vergleichsstudien mit Alteplase dargestellt werden.

Vergleichsstudien von Alteplase und Tenecteplase

Die erste Dosisfindungsstudie zu Tenecteplase wurde 2012 publiziert [20]. In dieser Studie erhielten Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall entweder Alteplase in der üblichen Dosis oder 0,1 mg/kg oder 0,25 mg/kg Tenecteplase in einem Zeitfenster von 6 Stunden. Tenecteplase war wirksamer in Bezug auf die Reperfusion des verschlossenen Gefäßes in der CT-Angiographie und den klinischen Ausgang nach 24 Stunden auf der National Institutes of Health Stroke Scale (NIHSS). Die höhere Dosis von Tenecteplase war wirksamer als die niedrige Dosis. Es fanden sich keine Unterschiede für intrakranielle Blutungen oder andere schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Die Studie war allerdings mit 75 Patienten zu klein, um eine endgültige Aussage zum Nutzen von Tenecteplase machen zu können.

In eine Phase-II-Studie in Schottland wurden 104 Patienten in einem 4,5-Stunden-Zeitfenster eingeschlossen (ATTEST-Studie) [8]. Sie erhielten entweder 0,25 mg/kg Tenecteplase mit einem Maximum von 25 mg oder 0,9 mg/kg Alteplase mit einem Maximum von 90 mg. Für den primären Endpunkt, den Erhalt von funktionalem Hirngewebe in der Penumbra anhand der Perfusionscomputertomographie, zeigte sich kein Unterschied zwischen Alteplase und Tenecteplase. Es gab auch keine Unterschiede für symptomatische intrazerebrale Blutungen oder die Gesamtzahl der intrazerebralen Blutungen. Auch diese Studie war zu klein, um einen möglichen Unterschied in den klinischen Endpunkten der bleibenden Behinderung nachzuweisen.

Die bis dahin größte Studie wurde in Norwegen durchgeführt (NOR-TEST) [13]. In die Studie wurden 1107 Patienten mit ischämischem Schlaganfall im 4,5-Stunden-Zeitfenster eingeschlossen. Die Patienten erhielten entweder 0,4 mg/kg Tenecteplase oder 0,9 mg/kg Alteplase. Den primären Endpunkt, das funktionelle Outcome gemessen mit der modifizierten Rankin-Skala mit einem Score von 0 bis 1 nach drei Monaten, erreichten 64 % der Patienten in der Tenecteplase-Gruppe und 63 % in der Alteplase-Gruppe. Auch die Sterblichkeit wies mit jeweils 5 % keine Unterschiede auf. Bezüglich der Blutungskomplikation zeigten sich ebenfalls keine Unterschiede. Hier muss lediglich einschränkend beachtet werden, dass es sich bei den eingeschlossenen Patienten ganz überwiegend um Patienten mit leichten bis mittelschweren Schlaganfällen handelte.

Die zweite norwegische Studie wurde mit Patienten mit mittelschweren und schweren ischämischen Schlaganfällen durchgeführt (NOR-TEST 2) [10]. Auch hier wurden 0,4 mg/kg Tenecteplase mit 0,9 mg/kg Alteplase verglichen. Die Studie wurde vom Sicherheitskomitee vorzeitig abgebrochen, da bei den Tenecteplase-behandelten Patienten statistisch signifikant häufiger intrakranielle Blutungen auftraten (21 % versus 7 % für Alteplase). Bei den bis dahin 216 randomisierten Patienten schnitt die Behandlung mit Tenecteplase auch bezüglich des funktionellen Outcomes schlechter ab als die Behandlung mit Alteplase. Die Schlussfolgerung aus dieser Studie ist, dass sehr wahrscheinlich die Tenecteplase-Dosis von 0,4 mg/kg zu hoch ist und mit häufigen Blutungskomplikationen einhergeht.

Eine weitere große Studie wurde in Kanada durchgeführt (AcT) [15]. Hier wurden 1600 Patienten in einem Zeitfenster von 4,5 Stunden eingeschlossen und randomisiert mit 0,25 mg/kg Tenecteplase oder 0,9 mg/kg Alteplase behandelt. Der primäre Endpunkt war ein gutes funktionelles Outcome entsprechend einem Wert von 0 bis 1 auf der modifizierten Rankin-Skala nach 90 bis 120 Tagen. Den primären Endpunkt erreichten in beiden Gruppen vergleichbar viele Patienten, nämlich 36,9 % der 802 Patienten in der Tenecteplase-Gruppe und 34,8 % der 765 Patienten in der Alteplase-Gruppe. Auch die Zahl der symptomatischen intrazerebralen Blutungen (3,4 % versus 3,2 %) und die Sterblichkeit nach 90 Tagen (15,3 % versus 15,4 %) waren identisch. Diese Studie ergab somit, in Übereinstimmung mit der norwegischen Studie, dass bezüglich des funktionellen Outcomes und der Inzidenz intrazerebraler Blutungen kein Unterschied zwischen Alteplase und Tenecteplase besteht.

Die Sicherheit und Wirksamkeit einer systemischen Thrombolyse mit Alteplase und einer in China hergestellten Variante von Tenecteplase in einer asiatischen Population wurde in der TRACE-Studie untersucht [12]. Die 240 Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall wurden in einem 3-Stunden-Zeitfenster mit 0,1, 0,25 oder 0,32 mg/kg Tenecteplase oder mit Alteplase behandelt. Es zeigten sich keine Unterschiede für die Schwere der neurologischen Ausfälle auf der NIHSS-Skala am Tag 14 und keine Unterschiede bezüglich der Blutungskomplikationen.

Die deutlich größere TRACE-2-Studie wurde ebenfalls in China durchgeführt [29]. Es wurden 1035 Teilnehmer in einem Zeitfenster von 4,5 Stunden randomisiert und erhielten entweder 0,45 mg/kg Tenecteplase oder 0,9 mg/kg Alteplase. Der primäre Endpunkt war der Wert auf der modifizierten Rankin-Skala von 0 oder 1 nach 90 Tagen. Das primäre Outcome war mit 62 % in der Tenecteplase-Gruppe und 58 % in der Alteplase-Gruppe nicht unterschiedlich. Auch die Häufigkeit symptomatischer intrakranieller Blutungen innerhalb von 36 Stunden war mit jeweils 2 % nicht unterschiedlich. Keine Unterschiede zeigten sich auch für die Sterblichkeit innerhalb von 90 Tagen mit 7 % versus 5 %.

Die neueste Metaanalyse von sieben Studien und insgesamt 3548 Patienten ergab für ein exzellentes funktionelles Outcome entsprechend einem Score von 0 oder 1 auf der modifizierten Rankin-Skala (mRS) nach 90 Tagen ein Odds-Ratio (OR) von 1,15 (95%-Konfidenzintervall [KI] 1,01–1,32) zugunsten Tenecteplase [28]. Für symptomatische intrakranielle Blutungen fand sich ein Odds-Ratio von 1,06 (95%-KI 0,70–1,60).

Zusammengefasst ergaben die einzelnen randomisierten Studien zur Anwendung der Tenecteplase beim akuten ischämischen Schlaganfall überwiegend keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen Tenecteplase und Alteplase bezüglich des funktionellen Outcomes, der Häufigkeit symptomatischer und asymptomatischer intrakranieller Blutungen und der Sterblichkeit. In der Metaanalyse von sieben Studien fand sich allerdings ein starker Trend zugunsten der Tenecteplase für das Erreichen eines exzellenten funktionellen Outcomes [28].

In einigen Großstädten in Deutschland gibt es sogenannte mobile Stroke-Units. Dies sind Krankenwagen, die mit einem CT und einem kleinen Labor ausgestattet sind. Mithilfe dieser mobilen Stroke-Unit können bereits vor dem Transport ins Krankenhaus Patienten identifiziert werden, die für eine systemische Thrombolyse infrage kommen [26]. In einer Metaanalyse von 3228 Patienten zeigte sich für das Erreichen eines mRS-Scores von 0 bis 1 nach 90 Tagen ein Vorteil für die mobile Stroke-Unit im Vergleich zur Standardbehandlung (OR 1,64; 95%-KI 1,27–2,13) [26]. Aufgrund des einfacheren Handlings ist Tenecteplase besonders auch im prähospitalen Setting von Interesse. In Melbourne (Australien) wurde in der TASTE-A Studie Tenecteplase 0,25 mg/kg mit Alteplase bei 104 Patienten verglichen, die in einer mobilen Stroke-Unit behandelt wurden und bei denen die Thrombolyse auf dem Weg ins Krankenhaus begonnen wurde. Der primäre Endpunkt war die Größe der Perfusionsschädigung in der multimodalen Bildgebung nach Krankenhausaufnahme. Diese war bei Patienten, die mit Tenecteplase behandelt worden waren, statistisch signifikant kleiner als bei Patienten, die Alteplase erhielten. Bezüglich des funktionellen Outcomes nach 90 Tagen zeigte sich kein relevanter Unterschied. Diese Studie war zwar für einen Surrogatparameter positiv zugunsten von Tenecteplase. Für den wichtigen klinischen Parameter, das funktionelle Outcome, zeigte sich aber kein Unterschied.

Unklares und erweitertes Zeitfenster

Eine weitere therapeutische Herausforderung sind Schlaganfälle, die im Schlaf auftreten (so genannte Wake-up-Strokes). Hier kann nach klinischen Kriterien kein Zeitfenster definiert werden, das für die Anwendung einer systemischen Thrombolyse infrage kommt. Für Alteplase wurden fortgeschrittene bildgebende Verfahren entwickelt, um Patienten zu identifizieren, bei denen trotz des unbekannten Zeitintervalls zwischen dem Zubettgehen und dem Einsetzen des Schlaganfalls eine systemische Thrombolyse infrage kommt. In diesen Studien ließ sich ein therapeutischer Nutzen der Alteplase für diese Patienten nachweisen [23, 24]. In der TWIST-Studie wurden 578 Patienten mit Wake-up-Stroke untersucht. Diese wurden jedoch hier nur mittels einfacher Computertomographie und nicht mittels Kernspintomographie oder CT-Perfusionsbildgebung berücksichtigt. Wenn sich mittels Bildgebung keine sehr ausgedehnten Infarktfrühzeichen nachweisen ließen, erhielten die Patienten entweder 0,25 mg/kg Tenecteplase oder keine Thrombolyse [21]. Die Behandlung mit Tenecteplase hatte schließlich keinen Effekt auf den modifizierten Rankin-Score nach 90 Tagen im Vergleich zur Kontrollgruppe. Es gab auch keine Unterschiede in der Mortalität und bezüglich symptomatischer intrakranieller Blutungen. Dies würde darauf hinweisen, dass Tenecteplase bei Patienten, die ihren Schlaganfall im Schlaf erleiden und die mittels einfacher nativer Computertomographie (d. h. ohne Perfusionsmessung) selektiert werden, keinen therapeutischen Nutzen hätte. Vergleichbare Studien zur Anwendung der Alteplase auf Basis einer nativen Computertomographie bei Wake-up-Stroke stehen noch aus [22].

Wie oben beschrieben, war das therapeutische Fenster für die Anwendung der Thrombolyse initial 4,5 Stunden. Später gelang es mithilfe moderner bildgebender Verfahren, Patienten mit Schlaganfall jenseits der 4,5 Stunden zu identifizieren, die von einer systemischen Thrombolyse mit Alteplase profitieren [25]. Die TIMELESS-Studie schloss 458 Patienten ein, von denen 77 % ebenfalls mit einer mechanischen Thrombektomie behandelt wurden [2]. Das Einschlussfenster war 4,5 bis 24 Stunden nach dem Zeitpunkt, zu dem die Patienten noch beschwerdefrei waren. Verglichen wurden 0,25 mg/kg Tenecteplase mit Placebo. Die mittlere Zeit zwischen Beginn der Symptomatik und der Randomisierung betrug 12 Stunden. Zwischen der Thrombolyse-Gruppe und der Kontrollgruppe zeigten sich keine Unterschiede bezüglich des funktionellen Outcomes und der Blutungskomplikationen. Jedoch muss bemerkt werden, dass das Zeitintervall zwischen Thrombolyse und Thrombektomie sehr kurz war und der potenzielle Effekt der medikamentösen Therapie hierdurch mutmaßlich verdeckt wurde. Tatsächlich ergab eine rezente Metaanalyse, dass bei Patienten mit proximalem Hirnarterienverschluss die Effektivität der Thrombolyse mit kürzerem Abstand zur mechanischen Thrombektomie sinkt [9]. Erfreulich war wiederum das gute Sicherheitsprofil in der TIMELESS-Studie: Nur 3,2 % der Tenecteplase-behandelten Patienten erlitten eine symptomatische Hirnblutung.

Tenecteplase vor mechanischer Thrombektomie

Die systemische Thrombolyse führt nur bei einem Teil der Patienten mit Verschlüssen der großen hirnversorgenden Arterien zu einer Rekanalisierung. Daher wurde zunächst versucht die Rekanalisierungsrate durch die intraarterielle Applikation von Thrombolytika zu erhöhen. Der nächste Schritt war dann die Einführung von Stentsystemen bzw. Aspirationskathetern, mit denen es gelang, den Thrombus, der das hirnversorgende Gefäß verschloss, zu extrahieren. Metaanalysen zeigten, dass die mechanische Thrombektomie statistisch signifikant das funktionelle Outcome verbessert, die Sterblichkeit reduziert und zu einer deutlich höheren Rekanalisierungsrate führt [18]. Die mechanische Thrombektomie ist in einem Zeitfenster von bis zu 24 Stunden wirksam und kann auch bei Patienten mit großen Schlaganfällen ohne erhöhtes Blutungsrisiko angewandt werden.

Um den Zeitraum zwischen Aufnahme im Krankenhaus bzw. Transport in ein Thrombektomie-Zentrum und dem Beginn der Thrombektomie therapeutisch zu nutzen, wurde untersucht, ob eine systemische Thrombolyse vor der mechanischen Thrombektomie die Rekanalisierungsrate und das klinische Outcome verbessert. Eine Metaanalyse von 13 randomisierten Studien mit 2943 Patienten zeigte eine Überlegenheit der Kombination von Thrombolyse plus Thrombektomie im Vergleich zu einer alleinigen Thrombektomie für das funktionelle Outcome, die Reduktion der Sterblichkeit und eine bessere Rekanalisierungsrate, ohne dass es zu vermehrten Blutungskomplikationen kam [16]. Fast alle diese Studien wurden mit Alteplase durchgeführt.

Eine erste kleine Studie zu Tenecteplase in Australien schloss 202 Patienten ein, die eine Thrombektomie erhielten [5]. Die Patienten erhielten vor der Thrombektomie entweder Tenecteplase 0,25 mg/kg oder Alteplase 0,9 mg/kg. Der primäre Endpunkt war eine Reperfusionsrate von mindestens 50 % vor der Thrombektomie. Dieser wurde mit 22 % vs. 10 % bei Patienten, die Tenecteplase erhielten, statistisch signifikant häufiger erreicht als bei Patienten die mit Alteplase behandelt wurden. In die zweite, größere Studie wurden 300 Patienten eingeschlossen und Tenecteplase wurde in den Dosierungen 0,4 mg/kg oder 0,25 mg/kg verwendet. Der primäre Endpunkt war erneut die Reperfusionsrate in der Angiographie vor der Thrombektomie. Für den primären Endpunkt und auch für die sekundären Endpunkte zeigten sich keine Unterschiede zwischen den beiden Tenecteplase-Dosierungen [4].

Die DIRECT-SAFE Studie [17] randomisierte 295 Patienten zu einer direkten endovaskulären Thrombektomie oder der Kombination einer systemischen Thrombolyse mit Alteplase oder Tenecteplase mit einer Thrombektomie. Hier zeigte sich ein kleiner numerischer Vorteil zugunsten der Kombinationstherapie, der allerdings nicht statistisch signifikant war. Zwischen einer Vorbehandlung mit Tenecteplase oder Alteplase bestand kein Unterschied.

Eine Metaanalyse von acht randomisierten Studien mit insgesamt 2836 Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall fand eine höhere Rekanalisierungsrate für die Kombination einer systemischen Thrombolyse mit Alteplase oder Tenecteplase mit einer mechanischen Thrombektomie verglichen mit der Thrombektomie allein [7]. Es zeigte sich allerdings kein Unterschied für das funktionelle Outcome nach 90 Tagen und die Sterblichkeit. Die Blutungsraten waren bei der Kombinationstherapie leicht erhöht.

Zusammengefasst zeigt sich ein kleiner therapeutischer Nutzen für die Thrombolyse in Kombination mit einer Thrombektomie gegenüber einer Thrombektomie allein. Zwischen Alteplase und Tenecteplase besteht hier offenbar kein Unterschied. Der therapeutische Nutzen der Kombinationstherapie ist allerdings zeitabhängig und besteht nur dann, wenn die Kombination innerhalb von drei Stunden nach Beginn der Symptomatik eingesetzt wird [9]. Mutmaßlich könnten insbesondere Patienten profitieren, die zunächst in ein geeignetes Zentrum zur Thrombektomie sekundärverlegt werden müssen (so genannter Drip-and-Ship-Ansatz).

Leitlinien

Es gibt eine Vielzahl von Leitlinien zum Einsatz der Thrombolyse beim akuten ischämischen Schlaganfall. Diese Leitlinien behandeln inzwischen auch den Einsatz der Tenecteplase. Als Beispiel werden hier die Empfehlungen der European Stroke Organisation dargestellt [1].

  • Bei Patienten mit einem akuten ischämischen Schlaganfall von < 4,5 Stunden Dauer, die für eine intravenöse Thrombolyse infrage kommen, kann Tenecteplase 0,25 mg/kg als sichere und wirksame Alternative zu Alteplase 0,9 mg/kg verwendet werden (mäßige Evidenz, strenge Empfehlung).
  • Bei Patienten mit einem akuten ischämischen Schlaganfall von < 4,5 Stunden Dauer, die für eine intravenöse Thrombolyse infrage kommen, wird von der Verwendung von Tenecteplase in einer Dosis von 0,40 mg/kg abgeraten (geringe Evidenz, strenge Empfehlung).
  • Bei Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall von < 4,5 Stunden Dauer, die prä-hospital in einer mobilen Stroke-Unit behandelt werden und für eine intravenöse Thrombolyse infrage kommen, kann Tenecteplase 0,25 mg/kg gegenüber Alteplase 0,90 mg/kg empfohlen werden (geringe Evidenz, schwache Empfehlung).
  • Bei Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall mit großem Gefäßverschluss von < 4,5 Stunden Dauer, die für eine intravenöse Thrombolyse infrage kommen, kann Tenecteplase 0,25 mg/kg gegenüber Alteplase 0,9 mg/kg empfohlen werden (mäßige Evidenz, starke Empfehlung).
  • Bei Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall beim Aufwachen aus dem Schlaf oder akuten ischämischen Schlaganfall mit unbekanntem Beginn, die mit einer nativen Computertomographie selektiert werden, wird die intravenöse Thrombolyse mit Tenecteplase 0,25 mg/kg nicht empfohlen (geringe Evidenz, strenge Empfehlung).
  • Tenecteplase 0,25 mg/kg kann bei Patienten mit einem akuten ischämischen Schlaganfall von < 4,5 Stunden Dauer gegenüber Alteplase 0,9 mg/kg bevorzugt werden, da vergleichbare Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten vorliegen und die Verabreichung einfacher ist.
  • Bei Patienten mit großem Gefäßverschluss und akutem ischämischen Schlaganfall von < 4,5 Stunden Dauer, die für eine intravenöse Thrombolyse infrage kommen, ist eine intravenöse Thrombolyse mit Tenecteplase 0,25 mg/kg dem Auslassen einer intravenöse Thrombolyse vor der mechanischen Thrombektomie vorzuziehen, selbst wenn die Patienten direkt in ein Thrombektomie-Zentrum aufgenommen werden.

Schlussfolgerungen

Mit der Zulassung der Tenecteplase zur Behandlung von Patienten mit akutem ischämischem Schlaganfall stehen jetzt zwei Thrombolytika für die spezifische Therapie des Schlaganfalls zur Verfügung. Die meisten Studien zeigen keinen relevanten Unterschied bezüglich der Wirksamkeit zwischen Alteplase und Tenecteplase. Dies gilt sowohl für die systemische Thrombolyse allein wie die Kombination der Thrombolyse mit einer mechanischen Thrombektomie. Tenecteplase wird allerdings als einmaliger Bolus gegeben, was gegenüber Alteplase, die nach einem initialen Bolus eine Infusion über eine Stunde erfordert, in bestimmten Situationen von Vorteil sein kann. Dies betrifft insbesondere Patienten, die vom initial aufnehmenden Krankenhaus in ein Thrombektomie-Zentrum verlegt werden. Nachteilig ist allerdings der aktuell um etwa 20 % höhere Preis der Tenecteplase.

Für beide Thrombolytika bestehen weiterhin Kontraindikationen. In erster Linie gehören dazu sehr schwere Schlaganfälle und Patienten mit einem erhöhten Blutungsrisiko beispielsweise im Rahmen einer Gerinnungsstörung.

Weitere Studien zur Effektivität und Sicherheit in der täglichen Praxis sowie insbesondere zum erweiterten Zeitfenster sind nötig, um die Wertigkeit von Tenecteplase und etwaiger logistischer Vorteile auch in diesen Situationen nachzuweisen.

Interessenkonflikterklärung

Prof. Dr. H.C. Diener hat in den letzten drei Jahren Unterstützung für klinische Studien und Vorträge erhalten von: Abbott, Actelion, Boehringer Ingelheim, Novo-Nordisk und Pfizer. Die Forschung von HC Diener wird von der DFG gefördert. HC Diener war beteiligt an der Erstellung von Leitlinien der DGN, der DSG, der ESC und EHRA.

PD Dr. G.M. Große hat in den letzten drei Jahren Fördermittel von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Europäischen Kommission und dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur erhalten. Er erhielt Honorare für Beratertätigkeiten von Boehringer Ingelheim und Bayer.

Literatur

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Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Abteilung für Neuroepidemiologie, Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (IMIBE) Medizinische Fakultät der Universität Duisburg-Essen, Hufelandstraße 55, 45147 Essen. E-Mail: hans.diener@uk-essen.de

Priv.-Doz. Dr. med. Gerrit M. Große, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsspital Basel, Petersgraben 4, 4031 Basel, E-Mail: gerrit.grosse@usb.ch

Tenecteplase for the acute treatment of ischemic stroke

After the approval extension in January 2024, tenecteplase is the first alternative in the acute drug therapy of ischemic stroke to be introduced in decades. Tenecteplase (trade name: Metalyse®) has a longer half-life compared to the long-known alteplase, which is associated with logistical advantages in its application. The studies to date predominantly show non-inferiority of tenecteplase compared to alteplase in terms of efficacy and safety in the time window of less than 4.5 hours after symptom onset. There is less evidence in situations with an unclear or extended stroke time windows. This review is intended to provide an overview of the current state of knowledge on the use of tenecteplase in ischemic stroke and the corresponding guideline recommendations.

Key word: acute ischemic stroke, thrombolysis, alteplase, tenecteplase, time window, complications

Psychopharmakotherapie 2024; 31(03):96-101