Stabübergabe – Neue Ära der PPT


Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Gerd Laux, Soyen/Waldkraiburg/München, und Prof. Dr. med. Andreas Reif, Frankfurt a. M.

Psychopharmaka gehören zu den meistverordneten Arzneimittelgruppen. Obwohl ihnen eine immense Bedeutung in der Pharmakotherapie zukommt, existierte lange keine deutschsprachige Fachzeitschrift zu dieser Thematik. Vor 30 Jahren, 1994, haben in unserer gemeinsamen Zeit am Universitätsklinikum Bonn deshalb Prof. Hans-Jürgen Möller und ich uns entschlossen, eine Fachzeitschrift herauszugeben, die sich an alle wendet, die Psychopharmaka verordnen. Wir konnten die Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, die schon große Erfahrung und hohe Kompetenz im Feld der pharmazeutischen Pharmakotherapie besaß, als Verlagsherausgeber überzeugen und gewinnen. (Kritische) Übersichtsarbeiten/Reviews, Originalarbeiten, Referate aus internationalen Journalen und ein Diskussionsforum sollten in gut lesbarer Form ein Forum für eine rationale, empirisch-wissenschaftlich fundierte Psychopharmakotherapie schaffen. Die ersten beiden Übersichtsarbeiten beinhalteten Daten der größten deutschen Studie zur Arzneimittelüberwachung in der Psychiatrie (AMÜP-Projekt).

Seit 2004 fungiert Gerd Laux als federführender Herausgeber. Das Jahr 2005 markiert den Aufbruch in eine neue Ära: Die PPT erschien nun sechsmal im Jahr und wurde thematisch erweitert im Sinn der „Neuro-Psychopharmakologie“; mit Prof. Heinz Reichmann als neuem Mitherausgeber umfasst sie thematisch seither die „rationale Pharmakotherapie psychischer und neurologischer Erkrankungen“. Mit diesem Konzept nahm die PPT 2006 auch erstmals an der Leserumfrage LA-MED (Leseranalyse Medizinischer Fachzeitschriften) teil und erreichte auf Anhieb ein hervorragendes Ergebnis. Der anhaltende Erfolg in dieser zweijährlich durchgeführten repräsentativen Facharzt-Umfrage bestätigt die Wertschätzung der Leser für das Informationsangebot der PPT.

Im Sinne der „Verjüngung“ des Herausgeber-Kreises konnte 2021 Prof. Andreas Reif als Mitherausgeber gewonnen werden. Nach 20 Jahren „Federführung“ ist es nun an der Zeit, den Stab weiterzugeben – Prof. Reif wird nun wieder ein neues Kapitel, eine neue Ära der PPT, einläuten.

Gerd Laux

Ich habe das Privileg, die Herausgeberschaft der Psychopharmakotherapie in einer sehr spannenden Zeit zu übernehmen – und muss meinem Vorgänger danken für alles, was er für die PPT getan hat und vor allem: für das Durchhalten. Seien wir ehrlich: Zwischen 2000 und den späten 2010er Jahren hat sich nicht viel getan in der Neuro-Psychopharmakotherapie. Ein paar neue Substanzen kamen auf den Markt, sicherlich, aber kaum Innovationen, kaum neue Wirkmechanismen. Da braucht es schon viel Optimismus und Vertrauen in die Wissenschaft, damit man bei der Stange bleibt. Prof. Laux hatte und hat beides; unerschütterlich vertrat (und vertritt) er die Sache der Psychopharmakotherapie (Fach und Zeitschrift gleichermaßen). Es hat sich ausgezahlt. Zum einen für unsere Zeitschrift, das führende deutschsprachige Journal im Feld, das sich bei klinischen wie forschenden Kollegen großer Beliebtheit erfreut; zum anderen wurde die Zuversicht in den medizinisch-pharmakologischen Fortschritt nun endlich belohnt. In den letzten Jahren und aktuell wurden zahlreiche ganz neue Wirkmechanismen entwickelt, zugelassen und (zumindest auf den amerikanischen) Markt gebracht: Zu nennen sind hier NMDA-Antagonismus (Esketamin) bei Depressionen, Neurosteroide bei postpartaler Depression, duale Orexin-Antagonisten (DORAs) bei Insomnie, Anti-Amyloid-Antikörper bei M. Alzheimer und CGRP-Antagonisten bei Migräne sowie eine ganze Reihe neuer Wirkprinzipien bei der multiplen Sklerose; von aufwendig entwickelten Substanzen bei seltenen Erkrankungen wie der spinalen Muskelatrophie (SMA) ganz zu schweigen. Und weitere Ansätze sind weit fortgeschritten und werden wohl in der zweiten Hälfte der Dekade in die klinische Routine kommen: Psychedelika in der Depressionsbehandlung, MDMA bei posttraumatischer Belastungsstörung, Xanomelin in der Schizophrenie-Therapie, um nur einige wenige zu nennen. Unglaublich spannende Zeiten in der Neuro-Psychopharmakotherapie also, denen ich sehr zuversichtlich und voller Vorfreude entgegensehe!

Auf der anderen Seite gibt es auch Herausforderungen für die Psychopharmakotherapie (erneut Fach und Zeitschrift gleichermaßen). Das deutsche AMNOG-Verfahren (das sich wahrscheinlich in modifizierter Form bald auf europäischer Ebene wiederfinden wird) stellt eine potenzielle Gefahr dahingehend dar, als dass neue, innovative Medikamente hierzulande vielleicht gar nicht mehr auf den Marktgebracht werden. Dies würde Deutschland – und ggf. die EU – vom Fortschritt abkoppeln, zum Schaden unserer Patienten, was es unbedingt zu verhindern gilt. Zwar will niemand den achten SSRI oder das 23. Benzo, aber selbstverständlich wollen wir neue Wirkprinzipien zur Verfügung haben. Dies bedeutet aber auch, dass wir neue Wege bei klinischen Studien gehen und die Patientenpopulation, die von neuen Wirkansätzen profitiert, besser beschreiben müssen. Dieser der „Präzisionsmedizin“ folgende Ansatz erfordert ein Umdenken bei der pharmazeutischen Industrie („Depression“ oder „Schizophrenie“ werden keine sinnvollen Indikationsgebiete mehr sein, was sich auch in den Zulassungsstudien widerspiegeln muss), den Regulatoren und gerade auch bei uns Psychiatern. Was den Kollegen in der Onkologie oder Rheumatologie recht ist, sollte uns billig sein – oder vielmehr teuer, denn neue Medikamente kosten Geld. Wir sind daran gewöhnt, dass psychiatrische Medikamente nur Centbeträge kosten; das wird auf Dauer nicht so sein, aber das sollte es uns wert sein, wenn wir effektivere oder besser verträgliche Substanzen auf den Markt bekommen. Dafür müssen wir uns einsetzen!

Die Zeitschrift Psychopharmakotherapie sieht sich ganz anderen Problemen ausgesetzt. War es früher für viele Kollegen noch eine Ehre oder zumindest eine Selbstverständlichkeit, für ein renommiertes deutschsprachiges Journal zu schreiben, so zählen heute fast nur noch die Kriterien „PubMed-Listung“ und „Impact-Factor“, auch weil an vielen Fakultäten nur Letztere für die leistungsorientierte Mittelvergabe oder die Habilitation zählen. Aufgrund dessen suchen der Verlag und das Herausgeberteam derzeit intensiv nach Möglichkeiten, die Psychopharmakotherapie sowohl in PubMed zu listen als auch mit einem Impact Factor zu versehen. Wir haben hier recht kreative, attraktive Ideen, und ich hoffe sehr, dass wir diese rasch in die Realität umsetzen können.

Sie sehen also: Es liegen in jeder Hinsicht spannende Zeiten vor uns! Insofern, bleiben Sie uns gewogen, als Leser oder Leserin oder noch besser als Autorin oder Autor. Meinem Vorgänger, Prof. Laux, möchte ich nochmals danken für seine immer ausgesprochen engagierte Arbeit, auf die ich hier aufbauen darf – ich hoffe, dass er mir noch lange mit Rat und Tat zur Seite steht.

Viel Spaß beim Lesen dieser „Staffelstab-Übergabe-Ausgabe“ wünscht Ihnen Ihr

Andreas Reif

Psychopharmakotherapie 2024; 31(03):77-78