Prof. Hans-Christoph Diener, Essen
Mit einem Kommentar des Autors
Chorea Huntington ist eine autosomal dominant vererbbare Erkrankung des Gehirns. Die Erkrankung führt zu unwillkürlichen zuckenden Bewegungen von Kopf, Armen, Beinen, Händen und des Rumpfes und zu Gangstörungen. Der Begriff „Chorea“ stammt vom griechischen Wort „choreia“ für „Tanz“ ab. Im Lauf der Erkrankung kommen psychiatrische und kognitive Symptome hinzu. In Deutschland leiden etwa 10 000 Menschen an der Chorea Huntington. Die Krankheit beruht auf einer CAG (Cytosin-Adenosin-Guanin)-Triplett-Repeatverlängerung im Huntingtin-Gen auf Chromosom 4p16.3.
Bei der Huntington-Krankheit finden sich Hinweise auf eine immunvermittelte Entzündung des ZNS, einschließlich mikroglialer und astrozytäre Aktivierung, erhöhte entzündliche Zytokine, erhöhte NF-κB-Aktivität und eine geringe BDNF(brain derived neurotrophic factor)-Transkription. Diese Entzündungsprozesse sind mit einer fortschreitenden neuronalen Dysfunktion und Degeneration des Striatums verbunden.
Laquinimod ist ein oral wirksamer Immunmodulator, der die entzündliche Aktivität der monozytären, mikroglialen und astrozytären Aktivierung herunterreguliert, die NF-κB-Aktivierung unterdrückt und BDNF hochreguliert. Der Wirkstoff wurde für die Multiple-Sklerose-(MS-)Therapie entwickelt [1]. Präklinische Studien mit Laquinimod bei transgenen Nagetiermodellen der Huntington-Krankheit zeigten Verbesserungen der motorischen Funktionen, eine Verringerung des Hirnvolumenverlusts und eine Verlängerung der Überlebenszeit. Ziel der vorliegenden Studie war daher die Untersuchung der Sicherheit und Wirksamkeit von Laquinimod zur Verbesserung der motorischen Funktion und der Verringerung des Hirnvolumens bei Chorea Huntington.
Studiendesign
LEGATO-HD war eine multizentrische, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Phase-II-Studie, die an 48 Zentren in zehn Ländern durchgeführt wurde. An der Studie nahmen Patienten mit Chorea Huntington im Alter von 21 bis 55 Jahren teil, die folgende Einschlusskriterien aufwiesen:
- CAG-Wiederholungslänge zwischen 36 und 49
- UHDRS-TMS > 5 (motorischer Gesamtscore der Unified Huntington’s Disease Rating Scale)
- UHDRS-TFC ≥ 8 (Gesamtscore der funktionellen Kapazität)
Die Patienten wurden im Verhältnis 1 : 1 : 1 : 1 auf die einmal tägliche Einnahme von Laquinimod 0,5 mg, 1,0 mg oder 1,5 mg oder Placebo randomisiert. Die Rekrutierung für die 1,5-mg-Gruppe wurde vorzeitig beendet, weil sich in MS-Studien Bedenken hinsichtlich der kardiovaskulären Sicherheit ergeben hatten.
Primärer Endpunkt der Studie war die Veränderung des UHDRS-TMS-Werts gegenüber dem Ausgangswert. Sekundärer Endpunkt war die prozentuale Veränderung des Caudatum-Volumens in der zerebralen Bildgebung (Kernspintomographie). Für beide Endpunkte wurde die 1,0-mg-Gruppe in Woche 52 mit der Placebo-Gruppe verglichen. Für die anderen Dosierungen sowie weitere Zeitpunkte und Wirksamkeitsparameter erfolgte die Auswertung nur exploratorisch. Die Sicherheitsergebnisse umfassten die Häufigkeit und den Schweregrad unerwünschter Ereignisse sowie klinische und Laboruntersuchungen.
Ergebnisse
Zwischen Oktober 2014 und 2018 nahmen 352 Erwachsene mit Chorea Huntington an der Studie teil, etwa gleich viel Männer (n = 179) und Frauen (n = 173). Das Durchschnittsalter betrug 43,9 Jahre. Die Diagnose lag im Mittel etwas mehr als drei Jahre (39,8 Monate) zurück. Der mittlere UHDRS-TMS-Score lag bei 24,4, der mittlere UHDRS-TFC-Score bei 11,1. Je 107 Patienten erhielten Laquinimod in der Dosierung 0,5 mg bzw. 1,0 mg und 108 Patienten Placebo.
Die statistische Auswertung der Wirksamkeitsendpunkte ergab nur für den sekundären Endpunkt einen Unterschied (Tab. 1).
Tab. 1. Ergebnisse der Wirksamkeitsendpunkte in der LEGATO-HD-Studie [Reilmann et al.]
Endpunkt |
Laquinimod 1,0 mg (n = 107) |
Placebo (n = 108) |
p-Wert |
Veränderung des UHDRS-TMS |
1,98 (SE 0,83) |
1,2 (SE 0,82) |
|
Mittlere Differenz |
0,78 (95%-KI –1,42 bis 2,98) |
p = 0,4853 |
|
Reduktion des Caudatum-Volumens in Woche 52 gegenüber Baseline |
3,10 % (SE 0,38) |
4,86 % (SE 0,38) |
|
Mittlere Differenz |
–1,76 % (95%-KI –2,67 bis –0,85) |
p = 0,0002 |
KI: Konfidenzintervall; SE: Standardfehler; UHDRS-TMS: Unified Huntington‘s Disease Rating Scale – Total Motor Score
Laquinimod wurde gut vertragen, und es gab keine neuen Erkenntnisse zur Sicherheit. Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse wurden bei acht (7 %) Patienten unter Placebo, sieben (7 %) unter Laquinimod 0,5 mg, fünf (5 %) unter Laquinimod 1,0 mg und ein Ereignis (3 %) unter Laquinimod 1,5 mg beobachtet. Die häufigsten unerwünschten Ereignisse in allen Laquinimod-Dosierungsgruppen (0,5 mg, 1,0 mg und 1,5 mg) waren Kopfschmerzen (16 %), Durchfall (10 %), Stürze (7 %), Nasopharyngitis (8 %), Erbrechen (5 %), Arthralgie (5 %), Reizbarkeit (4 %), Müdigkeit (3 %) und Schlaflosigkeit (3 %).
Kommentar
Leider war auch diese Studie zur neuroprotektiven Therapie der Chorea Huntington negativ. Es wäre möglich, dass der Beginn der Behandlung zu einem Zeitpunkt, zu dem die Krankheit bereits manifest ist, zu spät ist. Dies wird auch bei anderen neurodegenerativen Krankheiten vermutet. Ermutigend sind allerdings die Ergebnisse der zerebralen Bildgebung. Daher wäre es wichtig, eine längere Therapiedauer als 52 Wochen zu verfolgen. Möglicherweise ist auch Laquinimod nicht wirksam. Laquinimod hat in Europa keine Zulassung zur MS-Behandlung erhalten [2]. Leider müssen wir weiterhin auf eine Therapie warten, die das Fortschreiten der Huntington-Erkrankung verlangsamt.
Quelle
Reilmann R, et al. Safety and efficacy of laquinimod for Huntington’s disease (LEGATO-HD): a multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 2 study. Lancet Neurol 2024;23:243–55.
Literatur
1. Comi G, et al. CONCERTO: A randomized, placebo-controlled trial of oral laquinimod in relapsing-remitting multiple sclerosis. Mult Scler 2022;28(4):608–19.
2. Gonzalez-Lorenzo M, et al. Immunomodulators and immunosuppressants for relapsing-remitting multiple sclerosis: a network meta-analysis. Cochrane Database Syst Rev 2024;1:Cd011381.
Psychopharmakotherapie 2024; 31(03):103-117