Nils Schuft, Berlin
Mit einem Kommentar des Autors
Die zervikale Dystonie stellt eine chronische Erkrankung dar, die durch anfallartige bis durchgängige Kontraktionen der Hals- und Nackenmuskulatur gekennzeichnet ist. Folge ist eine abnorme Schiefstellung von Kopf und Nacken, die mit Schmerzen und Beeinträchtigungen im Alltag einhergeht. Die Erstlinientherapie sieht die Stilllegung der spastischen Muskelgruppen mit Botulinumtoxinen vor. Aktuell auf dem Markt befindliche Botulinumtoxin-Präparate besitzen eine Wirkdauer von durchschnittlich 10 bis 12 Wochen.
DaxibotulinumtoxinA ist eine neue Formulierung von Botulinumtoxin Typ A, das mit dem synthetischen Peptid RTP004 anstelle von humanem Serumalbumin komplexiert vorliegt. Die Verwendung des kationischen RTP004 soll die Bindung an anionische extrazelluläre Strukturen und der Oberfläche von Neuronen fördern. Durch die forcierte Bindung soll die Lokalisation in die Zelle und somit die Bindung am Rezeptor erleichtert sowie die freie Diffusion im Gewebe verringert werden. Es wird postuliert, dass durch diese besonderen Eigenschaften die Wirkdauer verlängert und die Nebenwirkungen reduziert werden können [2].
Methoden
Die ASPEN-1-Studie ist eine multizentrische, doppelblinde, randomisierte, Placebo-kontrollierte Phase-III-Studie. In der dreiarmigen Studie wurden DaxibotulinumtoxinA (DAXI) in den Dosierungen 125 U und 250 U sowie Placebo als einmalige Injektion bei moderater bis schwerer zervikaler Dystonie in der Alterskohorte von 18 bis 80 Jahren verglichen. Die Placebo-Injektion beinhaltete alle Hilfsstoffe des Verums ohne BotulinumtoxinA. Eingeschlossen wurden Patienten mit einem Score von ≥ 20 Punkten auf der Toronto Western Spasmodic Torticollis Rating Scale (TWSTRS) (Kasten). Explizit ausgeschlossen wurden Patienten mit dominantem Retrocollis (nach hinten gebeugter Hals), Anterocollis (nach vorne gebeugter Hals) und schwerer Dysphagie.
Infokasten. Toronto Western Spasmodic Torticollis Rating Scale (TWSTRS)
Die TWSTRS ist eine validierte und klinisch etablierte Skala zur quantifizierten Beurteilung von zervikalen Dystonien. Sie besteht aus drei Domänen: Schweregrad, Einschränkung und Schmerz. Die Skala kann Werte zwischen 0 und 85 Punkten annehmen. Ein höherer Wert geht mit einer größeren Beeinträchtigung einher.
Primärer Endpunkt war die Veränderung des TWSTRS-Scores im Mittel in Woche 4 und 6, da in diesen Wochen die Maximalwirkung erwartet wurde. Sekundärer Endpunkt war unter anderem die Wirkdauer, definiert als die Zeit in Wochen nach der Behandlung bis zum Erreichen des minimalen Restnutzens auf dem TWSTRS-Gesamtscore.
Ergebnisse
301 Patienten im mittleren Alter von 57,7 Jahren wurden im Verhältnis 3 : 3 : 1 randomisiert und in die Intention-to-treat-Population eingeschlossen, wovon 291 (96,7 %) die Studie beendeten. Die Patientencharakteristika waren über alle drei Behandlungsgruppen hinweg vergleichbar, bei einem höheren Anteil an Frauen (64,8 %) und einer vorwiegend weißen Population (95,3 %). Die mittleren TWSTRS-Gesamtwerte zu Beginn der Studie betrugen 43,1 in der 125-U-DAXI-Gruppe, 42,6 in der 250-U-DAXI-Gruppe und 45,3 in der Placebo-Gruppe. Gemittelt aus den Werten, die aus Woche 4 und 6 erhoben wurden, konnte eine Reduktion im TWSTRS-Score um 12,7 für 125 U DAXI, um 10,9 für 250 U DAXI und um 4,3 für Placebo erreicht werden (Abb. 1).

Abb. 1. Veränderungen im TWSTRS-Gesamtwert, Werte nach vier und sechs Wochen (gemittelt) gegenüber dem Ausgangswert [Cornella et al. 2024]; DAXI: DaxibotulinumtoxinA; ∆: Veränderung in % vom Ausgangswert; SE = Standardfehler; TWSTRS: Toronto Western Spasmodic Torticollis Rating Scale
Ein vergleichbarer Effekt konnte in einer anderen Studie mit IncobotulinumtoxinA (XEOMIN®) erreicht werden [1]. Eine Diskrepanz zwischen Patienten, die mit Botulinumtoxin vorbehandelt waren, und solchen, die es nicht waren, konnte nicht festgestellt werden. Die Wirkdauer, definiert als ≥ 80 % Wirkverlust im Vergleich zur mittleren Wirkung nach vier und sechs Wochen, betrug im Median 24,0 Wochen (95%-Konfidenzintervall [KI] 20,3–29,1) mit 125 U DAXI und 20,3 Wochen (95%-KI 16,7–24,0) mit 250 U DAXI.
Die häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen sind Tabelle 1 zu entnehmen.
Tab. 1. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen in der ASPEN-1-Studie [Cornella et al. 2024]
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen ≥ 3 % Inzidenz [n (%)] |
Placebo (n = 46) |
DAXI 125 U (n = 125) |
DAXI 250 U (n = 130) |
Schmerzen an der Injektionsstelle |
2 (4,3) |
10 (8,0) |
6 (4,6) |
Kopfschmerzen |
1 (2,2) |
6 (4,8) |
6 (4,6) |
Rötungen an der Injektionsstelle |
1 (2,2) |
6 (4,8) |
3 (2,3) |
Muskelschwäche |
0 |
6 (4,8) |
3 (2,3) |
Muskuloskelettale Schmerzen |
0 |
3 (2,4) |
4 (3,1) |
Dysphagie |
0 |
2 (1,6) |
5 (3,8) |
Diskussion
Die ASPEN-1-Studie konnte durch Erreichen des primären Endpunkts für beide Dosierungen die Wirksamkeit von DaxibotulinumtoxinA erfolgreich darlegen. Die Autoren der Studie heben die besonders lange Wirkdauer von im Median 24,0 Wochen für die 125-U-Dosierung und 20,3 Wochen für die 250-U-Dosierung hervor. Bisher zugelassene Formulierungen von Botulinumtoxin verlieren typischerweise nach zehn bis zwölf Wochen ihre Wirkung. Die paradoxe, nominell längere Wirkdauer der niedrigeren DAXI-Dosis im Vergleich zur höheren Dosis war statistisch nicht signifikant. Hinsichtlich der Sicherheit wird auf eine geringere Inzidenz von Nebenwirkungen im Vergleich zu anderen Formulierungen von Botulinumtoxin hingewiesen.
Kommentar
DaxibotulinumtoxinA stellt eine Weiterentwicklung der bisher verfügbaren Formulierungen von BotulinumtoxinA dar, die Betroffenen eine längere Wirkdauer und folglich weniger Injektionssitzungen verspricht. Hinsichtlich des Nebenwirkungsprofils scheint es günstiger zu sein, obwohl eine Studie mit einer bestehenden Vergleichstherapie und gleicher Studienpopulation wünschenswert wäre. Wie der Behandlungserfolg bei den auf Botulinumtoxinen schlechter ansprechenden Patienten mit dominantem Retrocollis oder Anterocollis zu bewerten ist, bleibt noch zu eruieren. Daten bezüglich der Immunogenität sowie Langzeitverträglichkeit der neuen Formulierung stehen ebenfalls noch aus, werden aber mit der laufenden ASPEN-OLS-Studie folgen.
Quelle
Comella CL, et al. Efficacy and safety of daxibotulinumtoxinA for injection in cervical dystonia: ASPEN-1 phase 3 randomized controlled trial. Neurology 2024;102:e208091.
Literatur
1. Comella CL, et al. Efficacy and safety of incobotulinumtoxinA (NT 201, XEOMIN®, botulinum neurotoxin type A, without accessory proteins) in patients with cervical dystonia. J Neurol Sci 2011;308:103–9.
2. Solish N, et al. Overview of daxibotulinumtoxinA for injection: A novel formulation of botulinum toxin type A. Drugs 2021;81:2091–101.
Psychopharmakotherapie 2024; 31(03):103-117