Neues Jahr – neues Glück – neue Mechanismen?


Univ.-Prof. Dr. Andreas Reif, Frankfurt am Main

Liebe Leserinnen und Leser,

zunächst einmal möchte ich Ihnen alles Gute, Glück und Gesundheit für das neue Jahr wünschen! Die letzten Jahre haben ja nun mit der Corona-Pandemie, dem russischen Krieg gegen die Ukraine und zuletzt dem Terrorangriff der Hamas nicht viel Anlass zur Freude gegeben und die „Polykrise“ bestimmt nach wie vor unser Leben. Dies wirkt sich, zumindest meiner Wahrnehmung nach, auch auf die Versorgung unserer Patienten aus, die in den letzten Jahren zunehmend schwerer krank in unsere Behandlung kommen. Ich hoffe sehr, dass uns 2024 wieder ein wenig Kraft zum Durchatmen bringt!

Neues Jahr, neues Spiel, neues Glück: und vielleicht auch neue Mechanismen in der Psychopharmakotherapie? In den letzten zehn Jahren kam es zu einer erstaunlichen Renaissance der Arzneimittelentwicklung in der Psychiatrie. Nach jahrzehntelanger Stase, in der – vor allem im Bereich der Antidepressiva und Antipsychotika – im Wesentlichen die bekannten Wirkungsmechanismen spezifischer und somit vermeintlich nebenwirkungsärmer genutzt wurden, kam es zuletzt tatsächlich dazu, dass Präparate mit gänzlich neuen Mechanismen zugelassen wurden und auf den Markt kamen. Im Depressionsbereich ist hier vor allem Esketamin zu nennen, das auf den glutamatergen Signalweg abzielt; aber auch bei den Antipsychotika hat sich viel getan, wie der Übersichtsartikel von Hasan und Wagner ausführt. Am vielversprechendsten ist hier die Kombination von Xanomelin als M1/M4-Agonist in Kombination mit Trospium als ausschließlich peripher wirksamem Muskarin-Rezeptor-Antagonist (zur Reduktion von Nebenwirkungen; Entwicklungsname der Kombination: KarXT). Muskarin-Rezeptorblockade ist ein neuartiges Wirkprinzip; Xanomelin hat keine direkte Wirkung auf Dopamin-Rezeptoren. Nicht nur in Phase-II-Studien, sondern auch in der großen und kürzlich hochrangig veröffentlichten Phase-III-Studie EMERGENT-2 zeigte sich eine signifikante Überlegenheit von KarXT gegenüber Placebo, mit einer mittleren Differenz im PANSS-Total-Score von 9,6 Punkten, bei sehr günstigem Nebenwirkungsprofil [1]. Von allen marktnahen, neuen Antipsychotika ist KarXT momentan sicherlich das Vielversprechendste; sollten auch EMERGENT-3, -4 und -5 ähnliche Ergebnisse erbringen, wird eine Zulassung sicherlich bald erfolgen.

Zu anderen neuartigen Wirkungsmechanismen, deren Effektivität nicht ganz so eindeutig belegt ist, gehört beispielsweise Agonismus am TAAR1-Rezeptor, mit der Leitsubstanz Ulotaront. Hier gab es eine sehr vielversprechende Phase-II-Studie [2]. Die beiden Phase-III-Studien DIAMOND-1 und -2 zeigten jedoch leider keine Überlegenheit gegenüber Placebo, wohl aufgrund einer hohen Placebo-Response [3]. Die Zukunft dieses Ansatzes ist daher ungewiss. Ein weiterer, aktuell von MSD verfolgter Ansatz, ist die Hemmung der Phosphodiesterase 10A durch MK-8189. Die Liste lässt sich noch um weitere Substanzen verlängern, die bereits in Phase-II-Studien Wirksamkeit zeigten. Es bleibt zu hoffen, dass Medikamente mit neuem Wirkungsmechanismus auch hierzulande – und nicht nur in den USA – auf den Markt kommen und dass das deutsche AMNOG-Verfahren hier nicht zum Flaschenhals wird, der dies um Jahre verzögert. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir Psychiater nicht mehr nur Fachleute für das Schrauben am monoaminergen System sind, sondern – ähnlich anderen Fächern – ein breites Portfolio an Medikamenten zur Verfügung haben. Dies würde uns sicherlich auch hinsichtlich unserer Fachkompetenz und Relevanz guttun und uns attraktiver für den medizinischen Nachwuchs machen.

Hinweisen möchte ich noch auf zwei weitere, sehr spannende Artikel in diesem Heft: zum einen die – gerade auch in dem obigen Kontext – sehr relevante Diskussion darüber, ob Tiermodelle in der psychiatrischen Forschung verzichtbar sind oder nicht (Spoiler alert: sind sie nicht!) von Juckel und Freund; und zum anderen auf den Vergleich von Selbst- (BDI) und Fremdbeobachtungsskalen (MADRS, HAMD) in der Depressionsbehandlung von Möller und Seemüller. Hier zeigt sich, dass diese beiden Ansätze ganz unterschiedliche Konstrukte aufgreifen, was von größter Relevanz für die Interpretation und das Design klinischer Studien ist.

Viel Spaß beim Lesen wünsche ich Ihnen – und bleiben Sie uns auch im neuen Jahr gewogen! Ihr

Andreas Reif

Literatur

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