Multiple Sklerose

Wirkung von Teriflunomid beim radiologisch isolierten Syndrom


Dr. Heike Oberpichler-Schwenk, Stuttgart

Die Behandlung mit Teriflunomid konnte in der kleinen, Placebo-kontrollierten Studie TERIS bei Personen mit radiologisch isoliertem Syndrom (RIS) die klinische Manifestation einer multiplen Sklerose verzögern. Dies ist die zweite Studie, die auf einen Nutzen einer krankheitsmodifizierenden Therapie in dieser Situation hinweist.

Kernspintomographische (MRT) Untersuchungen des Gehirns können als Zufallsbefund Läsionen anzeigen, die auf eine Multiple-Sklerose-(MS-)Erkrankung hinweisen. Solange keine klinischen Anzeichen für eine MS vorliegen, wird dieser Zustand als radiologisch isoliertes Syndrom (RIS) eingestuft. Das Vorliegen eines RIS spricht für ein erhöhtes Risiko, klinische Symptome einer MS zu entwickeln. Die Leitlinien empfehlen in dieser Situation, abzuwarten und regelmäßige klinische und MRT-Kontrollen durchzuführen [1].

Dennoch liegt der Gedanke nahe, ob sich nicht durch frühzeitigen Einsatz einer krankheitsmodifizierenden Therapie das Risiko für die Entwicklung eines RIS zu einer klinischen MS verringern lässt. Eine kleine Studie mit Dimethylfumarat wies bereits in diese Richtung [2] (Kasten „Es stand in der PPT“). In der TERIS-Studie wurde nun die Wirkung von Teriflunomid untersucht.

Es stand in der PPT

Multiple Sklerose (MS). Dimethylfumarat bei Patienten mit radiologisch isoliertem Syndrom. Psychopharmakotherapie 2023;30:37

Studiendesign

Die doppelblinde, randomisierte, Placebo-kontrollierte Studie wurde an 21 Zentren in Frankreich, der Schweiz und der Türkei durchgeführt. Probanden mit einem RIS wurden im Verhältnis 1 : 1, stratifiziert nach geographischer Region, der Einnahme von einmal täglich 14 mg Teriflunomid (n = 44) oder Placebo (n = 45) zugewiesen. Die Studie war auf 96 Wochen angelegt. Teilnehmer, die bis dahin keine klinischen Symptome oder Nebenwirkungen entwickelt hatten, konnten ein weiteres Jahr in ihrem Studienarm verbleiben. MRT-Kontrollen erfolgten nach 48, 96 und 144 Wochen sowie nach Bedarf dazwischen.

Primärer Endpunkt war die Zeit bis zu einem ersten akuten oder progredienten neurologischen Ereignis infolge einer ZNS-Demyelinisierung (Konversion zu klinischer MS) in der Intention-to-treat-Population. Als sekundäre Endpunkte wurden verschiedene MRT-Parameter ermittelt (neue/neu vergrößerte T2-Läsionen, Gadolinium-aufnehmende Läsionen). Funktionelle Tests, zum Beispiel zur kognitiven Leistungsfähigkeit und Fatigue sowie zur Lebensqualität, wurden zu Beginn und im Jahresabstand lediglich exploratorisch durchgeführt.

Studienergebnisse

Die Studienteilnehmer waren im Mittel 37,8 Jahre alt, 63 (71 %) waren Frauen. Die häufigsten Gründe für das Index-MRT waren Kopfschmerzen (46 %), Kontrolle anderer neurologischer Erkrankungen (28 %), Schwindel (17 %) und visuelle Symptome (6,7 %).

Nach der Randomisierung ereignete sich eine Konversion zu einer klinischen MS:

  • In der Teriflunomid-Gruppe in acht Fällen, nach durchschnittlich 128,2 (± 7,25) Wochen
  • In der Placebo-Gruppe in 20 Fällen, nach durchschnittlich 109,4 (± 7,44) Wochen

Die Teriflunomid-Behandlung reduzierte demnach das Risiko für ein erstes klinisches MS-Ereignis um 63 % (Hazard-Ratio [HR] 0,37; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,16–0,84; p = 0,02). Nach Adjustierung für verschiedene Risikofaktoren betrug die Risikoreduktion 72 % (HR 0,28; 95%-KI 0,11–0,71; p = 0,007) zugunsten von Teriflunomid.

Für die MRT-Parameter (sekundäre Endpunkte) und für die exploratorischen klinischen Endpunkte ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Teriflunomid- und Placebo-Gruppe.

In beiden Gruppen schieden je neun Teilnehmer vorzeitig aus, davon einer (Teriflunomid) bzw. zwei (Placebo) wegen unerwünschter Ereignisse. Nebenwirkungen, die unter Teriflunomid-Einnahme häufiger beobachtet wurden als unter Placebo, waren gastrointestinale Beschwerden (n = 5), Dysmenorrhö (n = 4), Atemwegsinfektionen (n = 3), Allgemeinerkrankungen (n = 3) und ein vorübergehender Anstieg der Transaminasen (n = 2).

Diskussion

Die TERIS-Studie mit Teriflunomid ist nach der ARISE-Studie mit Dimethylfumarat [2] die zweite Studie, in der gezeigt werden konnte, dass die Einnahme eines niedermolekularen, oralen Immunmodulators bei RIS die Entwicklung zu einer klinischen MS verzögern kann. Daraus kann nun aber noch keine allgemeine Empfehlung zum Einsatz dieser Immunmodulatoren bei RIS abgeleitet werden. Da nur bei einem Teil der Betroffenen die Entwicklung zu einer MS zu erwarten ist, ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem potenziellen Nutzen und den Nebenwirkungsrisiken besonders streng zu stellen. Die Autoren der TERIS-Studie empfehlen, sich in weiteren, größeren Studien darauf zu fokussieren, welche Risikogruppen besonders von dem frühen Einsatz von Immunmodulatoren profitieren können.

Quelle

Lebrun-Frénay C, et al. Teriflunomide and time to clinical multiple sclerosis in patients with radiologically isolated syndrome. The TERIS randomized clinical trial. JAMA Neurol, published online August 21, 2023; doi: 10.1001/jamaneurol.2023.2815.

Literatur

1. Hemmer B, et al. Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen und MOG-IgG-assoziierten Erkrankungen, S2k-Leitlinie, 2023. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (Zugriff am 12.09.2023).

2. Okuda DT, et al. Dimethyl fumarate delays multiple sclerosis in radiologically isolated syndrome. Ann Neurol 2023;93:604–14; doi: 10.1002/ana.26555.

Psychopharmakotherapie 2023; 30(05):174-181