Ein wichtiger Monat


Prof. Dr. Hans-Jürgen Möller, München

Der September 2023 ist ein für die Psychopharmakotherapie in Deutschland wichtiger Monat; denn in diesem Monat entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss, ob das glutamaterge, intranasal applizierbare Antidepressivum Esketamin im AMNOG-Verfahren ein positives Ergebnis erreicht, d. h. den Zusatznutzen gegenüber der als zweckmäßig definierten Vergleichstherapie beweisen kann. Das würde bedeuten, dass es dann dauerhaft vom pharmazeutischen Unternehmer zu einem adäquaten Preis und auf Kosten der GKV in Deutschland auf den Markt gebracht werden könnte. Das AMNOG-Verfahren ist, wie in diesem Heft in dem Beitrag von Möller und Fritze dargestellt wird, ein sehr komplexes formalisiertes Verfahren, in dem der Zusatznutzen eines neuen Arzneimittels im Vergleich zu einer bestimmten Standardmedikation geprüft wird. Der Ausgang dieses Verfahrens ist meistens ungewiss und oft negativ. Das ist nicht nur für den herstellenden pharmazeutischen Unternehmer ein Problem, sondern auch für Ärzte und Patienten, die auf die entsprechenden Neuerungen/Verbesserungen der Therapie warten.

Für intranasal applizierbares Esketamin, über das in der PPT (PPT Supplement 20, 2023) bereits ausführlich berichtet wurde, liegen adäquate wissenschaftliche Wirksamkeitsbeweise vor, die zur europäischen Zulassung in der Indikation therapieresistente Depression geführt haben. Obendrein hat es u. a. wegen seines schnellen Wirkungseintritts einen wichtigen therapeutischen Stellenwert im klinischen Alltag gezeigt. Zusammen mit Ketamin i. v. – das aber eine Zulassung in der Indikation Depression nicht hat, sondern off Label eingesetzt wird – hat es seinen besonderen Platz in der glutamatergen Behandlung der therapieresistenten Depression. Welche Möglichkeiten der glutamaterge Therapieansatz in der Depressionsbehandlung bietet, zeigt sich u. a. daran, dass Ketamin i. v. in einer großen randomisierten Vergleichsstudie zu Elektrokonvulsionstherapie (EKT) bei Patienten mit therapieresistenter Depression Überlegenheit gezeigt hat (siehe den kommentierenden Beitrag von Prof. Hans-Christoph Diener im letzten PPT-Heft [Psychopharmakotherapie 2023;30:133–4]). Auch für Esketamin wären solche vergleichenden Studien wünschenswert. Diese Perspektiven zeigen, wie wichtig diese glutamatergen Antidepressiva für eine moderne Depressionstherapie sind.

In dem Beitrag von Krämer et al. wird über moderne Entwicklungen in der Multiple-Sklerose-(MS-)Therapie mit Fokus auf die Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren berichtet, die einen erheblichen Therapiefortschritt versprechen. Aktuelle MS-Therapien reduzieren effektiv das Auftreten von Schüben und einer schubabhängigen Verschlechterung. Sie sind aber weniger wirksam in der Verlangsamung der Progression einer Behinderung. Hypothetisch wird der Effekt auf die Schübe mit der Verhinderung einer Infiltration peripherer Immunzellen in das ZNS erklärt. Hinsichtlich der fehlenden Wirkung auf das Fortschreiten der Behinderung wird eine fehlende Wirkung auf eine im ZNS lokalisierte Entzündung angenommen. Die Bruton-Tyrosinkinase (BTK) ist ein intrazelluläres Signalmolekül, das die Reifung, das Überleben, die Wanderung und die Aktivierung von B-Zellen und Mikroglia reguliert. Im ZNS lokalisierte B-Zellen und Mikroglia gelten als zentrale Akteure bei der Immunpathogenese der Krankheitsprogression bei der MS. Dementsprechend versprechen ZNS-penetrierende BTK-Inhibitoren, das Fortschreiten der Krankheit aufzuhalten, indem sie auf Immunzellen auf beiden Seiten der Blut-Hirn-Schranke wirken können. Derzeit werden fünf BTK-Inhibitoren zur Behandlung der MS in klinischen Studien getestet. Der Artikel gibt einen Überblick über die BTK-Funktion sowie über präklinische Daten und Ergebnisse klinischer Studien zu BTK-Inhibitoren. Es ist faszinierend wie MS-Therapie in den letzten zwei Jahrzehnten vorangeschritten ist und wie sie, so dieser Beitrag, auch weiterhin große theoretische und praktische Fortschritte macht.

Die Begriffe Response und Remission sind heute als Kriterien für den Therapieerfolg einer medikamentösen Depressionsbehandlung üblich. Remission, die Reduzierung des Depressions-Scores unter einen definierten Depressionsskalenwert, wird allgemein als zu erreichendes Therapieziel angestrebt. Hingegen wird Response, die nur 50%ige Reduktion des Depressions-Scores im Rahmen der Behandlung, als unzureichender Therapierfolg angesehen. Remission ist mit besserer psychosozialer Lebensqualität und mit geringerer Rezidivgefahr verbunden. Es darf aber nicht vergessen werden, dass auch remittierte Patienten noch Depressionssymptome haben. Diese als Residualsymptome bezeichnete Symptomatik wird im klinischen Alltag oft nicht genügend beachtet, obwohl auch sie von Relevanz für psychosoziale Lebensqualität und Rezidivrisiko ist. Am Beispiel einer großen naturalistischen Studie werden in diesem Heft (Beitrag von Seemüller und Möller) Art und Häufigkeit von Residualsymptomen bei in Remission befindlichen Patienten dargestellt. Die Autoren ziehen die Schlussfolgerung, dass diese Residualsymptomen in der Therapieplanung ausreichend Berücksichtigung finden sollten.

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