Multiple Sklerose (MS)

Schwangerschaftsergebnisse nach früher fetaler Exposition gegenüber DMF oder Natalizumab


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
Im dänischen MS-Register fand sich bei Auswertung von 1009 Schwangerschaften mit fötaler Exposition gegenüber Interferon beta, Glatirameracetat, Dimethylfumarat (DMF) oder Natalizumab kein Zusammenhang mit unerwünschten Schwangerschaftsausgängen im Vergleich mit Schwangerschaften von Frauen mit MS ohne immunmodulatorische Therapie oder aus der allgemeinen Bevölkerung.

Die meisten Frauen mit schubförmiger MS befinden sich im gebärfähigen Alter. Bei einer hohen Schubfrequenz oder hohen Belastung mit Entmarkungsherden in der Kernspintomographie wird in der Regel eine immunmodulatorische Therapie initiiert. Immunsuppressiva mit geringem Molekulargewicht wie Teriflunomid oder Cladribin können die Plazentaschranke überwinden und sind deshalb bei Frauen mit MS, die schwanger werden oder werden wollen, kontraindiziert. Bisher ergeben sich keine Hinweise darauf, dass eine Behandlung mit Interferon beta das Risiko von Fehlbildungen bei Neugeborenen erhöht. Daten zu Schwangerschaftsausgängen nach fötaler Exposition gegenüber anderen krankheitsmodifizierenden Medikamenten (DMD [disease modifying drugs]) bei Frauen mit MS werden dringend benötigt.

Methodik

Für den Zeitraum 1997 bis 2018 wurden Daten des dänischen Multiple-Sklerose-Registers zu Schwangerschaften nach MS-Diagnose ermittelt und landesweit mit dem dänischen Gesundheitsregister verknüpft. Dies ermöglichte eine Erfassung unerwünschter Schwangerschaftsausgänge bei Frauen mit MS nach fötaler Exposition gegenüber Interferon beta, Glatirameracetat, Dimethylfumarat oder Natalizumab. Logistische Regressionsmodelle wurden verwendet, um Odds-Ratios (ORs) mit 95%-Konfidenzintervallen (KI) für individuelle und kombinierte unerwünschte Ergebnisse nach Anpassung für relevante Kovariaten zu berechnen.

Ergebnisse

Ausgewertet wurden 1009 Schwangerschaften (von 704 Frauen) mit Exposition gegenüber einer immunmodulatorischen Therapie im Vergleich mit 1073 Schwangerschaften bei unexponierten Frauen mit MS sowie 91 112 Schwangerschaften in der Allgemeinbevölkerung. Die Schwangerschaften der exponierten Frauen endeten, wie in der Kontrollgruppe, in 70,2 % der Fälle mit einer Lebendgeburt. Von diesen Müttern waren 462 während der Schwangerschaft mit Interferon beta behandelt worden, 124 mit Natalizumab, 91 mit Glatirameracetat und 34 mit Dimethylfumarat. Die Verteilung der Therapien in der Gesamtgruppe der exponierten MS-Patientinnen war ähnlich.

Beim Vergleich mit den Schwangerschaften in der Allgemeinbevölkerung wurde kein Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für perinatale Folgen bei Neugeborenen mit fötaler Exposition gegenüber einem DMD gefunden. Dies galt für

  • Frühgeburten (OR = 1,19; 95%-KI = 0,86–1,64),
  • geringes Gewicht für das Gestationsalter (OR = 1,38; 95%-KI = 0,92–2,07),
  • angeborene Fehlbildungen (OR = 0,99; 95%-KI = 0,68–1,45),
  • Apgar-Score < 7 (OR = 0,62; 95%-KI = 0,23–1,65),
  • Plazentakomplikationen (OR = 0,53; 95%-KI = 0,22–1,27),

ebenso für

  • Spontanabort (OR = 1,04; 95%-KI = 0,84–1,27),
  • Totgeburt (OR = 1,05; 95%-KI = 0,33–3,31)
  • und jedes unerwünschte Ereignis (OR = 1,10; 95%-KI = 0,93–1,30).

Beim Vergleich von Schwangerschaften unter immunmodulatorischer Therapie und Schwangerschaften bei MS-Patientinnen ohne eine solche Therapie wurden ähnliche Ergebnisse gefunden.

Kommentar

Das dänische Gesundheitssystem hat das Privileg, dass es ein nationales Gesundheitsregister gibt, in dem alle Menschen in Dänemark prospektiv erfasst werden. Dies ermöglicht große Studien zu wichtigen klinischen Fragestellungen. Im vorliegenden Fall wurden Schwangerschaften unter immunmodulatorische Therapie der MS untersucht und der Ausgang der Schwangerschaften mit Frauen verglichen, die keine immunmodulatorische Therapie wegen ihrer MS erhielten. Wie in früheren Studien zeigte sich hier kein erhöhtes Risiko für fetale Fehlbildungen oder komplizierte Schwangerschaftsausgänge unter einer Therapie mit Interferon beta. Beruhigend ist die neue Beobachtung, dass offenbar auch eine Behandlung mit Dimethylfumarat oder Natalizumab das Risiko von Fehlbildungen oder Schwangerschaftskomplikation nicht erhöht. Es muss allerdings eingeschränkt werden, dass bei den meisten Frauen nach Feststellung der Schwangerschaft die immunmodulatorische Therapie pausiert wurde.

Quelle

Andersen JB, et al. Pregnancy outcomes after early fetal exposure to injectable first-line treatments, dimethyl fumarate, or natalizumab in Danish women with multiple sclerosis. Eur J Neurol 2023;30:162–71.

Psychopharmakotherapie 2023; 30(02):63-69