„Psychopharmakotherapie und Psychotherapie haben gleiche und schwache Wirksamkeit“


Bedenkliche Erkenntnis des jüngsten Umbrella-Reviews

Prof. Dr. Hans-Jürgen Möller, München

“In summary, a systematic re-assessment of recent evidence across multiple meta-analyses on key mental disorders provided an overarching picture of limited additional gain for both psychotherapies and pharmacotherapies over placebo or TAU. A ceiling seems to have been reached with response rates < 50 % and most SMDs not exceeding 0.30–0.40.” [13]

Liest man dieses Resultat des Umbrella-Reviews und der metaanalytischen Evaluation rezenter Metaanalysen von Leichsenring et al. [13], einer bemerkenswert umfangreichen und offenbar methodisch sorgfältigen Untersuchung, so stellt man mit Erschrecken fest, dass auf der Basis der dargestellten Ergebnisse die Autoren zu dem Schluss kommen, dass die wichtigsten therapeutischen Verfahren der Psychiatrie in einem weiten Spektrum psychischer Störungen, u. a. depressive Störungen, Angststörungen, schizophrene Störungen, wenig wirksam sind, obwohl es sich ja zumindest bei den Psychopharmaka um sorgfältig, in einem streng national/europäisch und international reglementierten Verfahren der Wirksamkeitsprüfung zugelassene Medikamente handelt. Auch hatten Leucht et al. [16] in einem umfangreichen Review von Metaanalysen dargestellt, dass Psychopharmaka eine in weiten Bereichen vergleichbare Effektstärke haben wie viele Medikamente der Inneren Medizin: Für Psychopharmaka liegt der Großteil der Effektstärken bei einer standardisierten Mittelwertdifferenz [SMD] zwischen 0,2 und 0,5 (Mittelwert 0,49; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,41–0,47); für Internistika liegt der Großteil der Effektstärken zwischen 0,1 und 1,0 (Mittelwert 0,45; 95%-KI 0,37–0,57), wenn diese auch zu einem geringen Teil deutlich höhere Effektstärken erreichen.

Man wird erinnert an die Aufsehen erregenden Ergebnisse der Metaanalyse zur Wirksamkeit von damals neueren Antidepressiva (Fluoxetin, Paroxetin, Venlafaxin, Nefazodon) von Kirsch et al. im Jahr 2008 [12]. Die Autoren kamen zu dem sehr weit generalisierenden Ergebnis, dass die Wirksamkeit von Antidepressiva größtenteils klinisch irrelevant bzw. allenfalls bei sehr schweren Depressionen von klinischer Bedeutung sei. In dem Kontext wurde bereits damals diskutiert, ob diese Metaanalyse methodisch adäquat sei [9] und ob die benutzte, zu dem vernichtenden Ergebnis führende Definition von „klinisch relevant“ aus klinischer Sicht adäquat sei [20, 21] oder ob nicht gegebenenfalls eine andere Definition klinisch angemessener sei [23] und zu sinnvolleren Ergebnissen führe. Letzterer Aspekt spielt auch bei Leichsenring [13] in der zusammenfassen Diskussion eine Rolle (s. u.).

Interessanterweise liegen in der Arbeit von Leichsenring et al. die Resultate zur Effektgröße von Psychotherapie und Psychopharmakotherapie über alle Störungen (17 Entitäten) gerechnet in der gleichen Größenordnung, wenn man der Second-Order-Random-Effects-Metaanalyse die Effektgrößen der jeweils größten Metaanalyse zu den einzelnen Störungen zugrunde legt: Die SMD beträgt für Psychotherapie 0,34 (95%-KI 0,26–0,42) und für Psychopharmakotherapie 0,36 (95%-KI 0,32–0,41), jeweils beim Vergleich des jeweiligen Verfahrens mit Placebo oder der üblichen Therapie (TAU [treatment as usual]) [13]. Für „Head to Head“-Vergleiche von Psychotherapie und Pharmakotherapie (4 Entitäten) ergab sich eine SMD von 0,11. Für die Kombinationsbehandlung Psychotherapie plus Pharmakotherapie versus der jeweiligen Monotherapie (5 Entitäten) ist die SMD 0,31.

Zum besseren Verständnis der Ergebnisse noch einige weitere Angaben zum Umbrella-Review von Leichsenring et al.: Die Untersuchung bezog nach umfassender Literaturrecherche Metaanalysen ein, die zwischen 2014 und 2021 publiziert wurden und in denen

  • Psychotherapie oder Pharmakotherapie mit Placebo oder TAU,
  • Psychotherapie mit Pharmakotherapie „Head-to-Head“ oder
  • die Kombination von Psychotherapie mit Pharmakotherapie zu jeweils einem von beiden

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