Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen
B-Zell-depletierende Therapien wie Ocrelizumab und Ofatumumab sind bei schubförmig remittierender Multipler Sklerose (MS) hochwirksam. Rituximab wirkt ebenfalls B-Zell-depletierend und ist für andere Indikationen bereits länger verfügbar. Für die MS-Therapie es ist aber in Europa nicht zugelassen, und es liegen keine Daten aus Phase-III-Studien vor. Dies liegt daran, dass zu dem Zeitpunkt, als Studien mit Rituximab durchgeführt werden konnten, das Ende des Patentschutzes abzusehen war und daher kein Interesse daran bestand, Zulassungsstudien bei MS durchzuführen. Eine Arbeitsgruppe aus Schweden untersuchte nun die Sicherheit und Wirksamkeit von Rituximab im Vergleich zu Dimethylfumarat bei Patienten mit schubförmig remittierender MS. Beide Substanzen waren dafür in Schweden vor Studienbeginn die am häufigsten verwendeten krankheitsmodifizierenden Therapien.
Studiendesign
RIFUND-MS war eine multizentrische, Auswerter-verblindete, randomisierte kontrollierte Phase-III-Studie, die an 17 schwedischen Universitätskliniken und Krankenhäusern durchgeführt wurde. Die wichtigsten Einschlusskriterien für die Teilnehmer waren: Alter 18 bis50 Jahre; schubförmig-remittierende MS oder klinisch isoliertes Syndrom gemäß den geltenden McDonald-Kriterien; 10 Jahre oder weniger seit der Diagnose; unbehandelt oder nur mit Interferonen oder Glatirameracetat behandelt; klinische oder neuroradiologische Krankheitsaktivität im letzten Jahr.
Die Patienten wurden nach dem Zufallsprinzip (1 : 1) durch den behandelnden Arzt einer der beiden Therapiegruppen zugewiesen. Die Patienten erhielten entweder orales Dimethylfumarat 240 mg zweimal täglich oder intravenöses Rituximab 1000 mg, gefolgt von 500 mg alle sechs Monate. Die Bewertung, ob einer neuer MS-Schub vorlag, die Beurteilung gemäß Expanded Disability Status Scale (EDSS) und die Beurteilung der MRT-Scans wurden von Ärzten und Radiologen durchgeführt, die für die Behandlungszuweisung maskiert waren. Der primäre Endpunkt war der Anteil der Patienten mit mindestens einem erneuten MS-Schub (definiert als subakutes Auftreten neuer oder sich verschlechternder neurologischer Symptome, mit einer Dauer von mehr als 24 Stunden, denen eine mindestens 30-tägige klinische Stabilität vorausging).
Ergebnisse
Zwischen Juli 2016 und Dezember 2018 wurden 322 Patienten auf ihre Eignung geprüft, von denen 200 nach dem Zufallsprinzip einer Behandlungsgruppe zugewiesen wurden (100 Rituximab und 100 Dimethylfumarat). Die Patienten waren im Mittel 33,5 Jahre alt und 66 % waren Frauen. Die MS bestand im Mittel seit 1,7 Jahren. Der mittlere EDSS-Score betrug 1,65. 57 % der Patienten hatten im vergangenen Jahr einen MS-Schub erlitten
Der letzte Patient schloss die 24-monatige Nachbeobachtung im April 2021 ab. 98 Patienten in der Rituximab-Gruppe und 97 Patienten in der Dimethylfumarat-Gruppe kamen für die primäre Ergebnisanalyse in Frage. Drei (3 %) Patienten in der Rituximab-Gruppe und 16 (16 %) Patienten in der Dimethylfumarat-Gruppe hatten während der Studie einen nach Protokoll definierten MS-Schub. Dies entspricht einem Risikoverhältnis (RR) von 0,19 mit einem 95%-Konfidenzintervall (95%-KI) von 0,06 bis 0,62 (p = 0,0060). Neue T2-Läsion in der Kernspintomographie fanden sich bei 21 Patienten in der Rituximab-Gruppe und bei 36 in der Dimethylfumarat-Gruppe (RR 0,58; 95%-KI 0,36–0,91; p = 0,019).
Infusionsreaktionen (105 Ereignisse) in der Rituximab-Gruppe sowie gastrointestinale Reaktionen (65 Ereignisse) und Flush (65 Ereignisse) in der Dimethylfumarat-Gruppe waren die häufigsten unerwünschten Ereignisse. In der Rituximab-Gruppe brachen drei Patienten die Behandlung wegen Nebenwirkungen ab. In der Dimethylfumarat-Gruppe waren dies 18 Patienten (außerdem 23 wegen mangelnder Wirkung und 7 aus anderen Gründen). Es gab keine schwerwiegenden unerwünschten Arzneimittelwirkungen.
Schlussfolgerungen
RIFUND-MS liefert den Nachweis, dass Rituximab in einer Dosierung von 1000 mg, gefolgt von 500 mg alle 6 Monate einer Therapie mit Dimethylfumarat bei der Verhinderung von MS-Schüben über 24 Monate bei Patienten mit früher schubförmig remittierender MS überlegen ist. Darüber hinaus war die Abbruchrate wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen in der Dimethylfumarat-Gruppe signifikant höher.
Kommentar
Diese Investigator-initiierte Studie in Schweden zeigt eindeutig, dass bei Patienten mit einer frühen Verlaufsform einer schubförmigen MS eine immunmodulatorische Therapie mit Rituximab wirksamer ist als eine Behandlung mit oralem Dimethylfumarat. Dies gilt sowohl für die Verhinderung erneuter Schübe als auch das Auftreten von neuen MS-Herden in der Kernspintomographie. Der Behinderungsgrad war zwischen den beiden Therapiearmen nicht unterschiedlich, was auch bei Patienten zu Beginn der Erkrankung und einer geringen Behinderung nicht zu erwarten war. Dass eine CD20-gerichtete immunmodulatorische Therapie wirksam ist, war bereits in den Studien mit Ocrelizumab und Ofatumumab gezeigt worden. Der Wirkungsnachweis von Rituximab ist wichtig, da eine Therapie mit dieser Substanz deutlich preiswerter ist als die Behandlung mit den anderen monoklonalen Antikörpern. Dessen ungeachtet ist aber in Deutschland eine Zulassung von Rituximab zur Behandlung der frühen MS leider nicht zu erwarten. Die Parteien des G-BA sollten aber diese Studie zum Anlass nehmen, die Expertengruppe Off-Label-Use gemäß § 35c SGB V des BfArM mit einer Bewertung zu beauftragen, die in die Empfehlung münden könnte, Rituximab in die Anlage VI Teil A der Arzneimittel-Richtlinie aufzunehmen, womit Rituximab im Off-Label-Use „verordnungsfähig“ zulasten der GKV würde.
Quelle
Svenningsson A, et al. Safety and efficacy of rituximab versus dimethyl fumarate in patients with relapsing-remitting multiple sclerosis or clinically isolated syndrome in Sweden: a rater-blinded, phase 3, randomised controlled trial. Lancet Neurol 2022;21:693–703.
Psychopharmakotherapie 2022; 29(05):192-203