Rezente Entwicklungen in der Therapie des Status epilepticus


Update zur Therapie des Status epilepticus

Laurent Maximilian Willems, Felix Rosenow und Adam Strzelczyk, Frankfurt am Main

Der Status epilepticus (SE) gehört zu den wichtigsten neurologischen Notfällen im klinischen Alltag und stellt eine unmittelbar behandlungsbedürftige, lebensbedrohliche Erkrankung dar. Die Therapie orientiert sich hierbei an der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), die verschiedene Stufen des SE definiert und für jede Stufe unterschiedliche evidenzbasierte medikamentöse Behandlungsoptionen vorhält. Für die prä- und intrahospitale Akuttherapie des SE stehen zahlreiche Benzodiazepine, Antikonvulsiva und Anästhetika zur Verfügung, die sich in ihren Wirkungs- und Nebenwirkungsprofilen zum Teil deutlich unterscheiden und deren Einsatz daher individuell abgewogen werden muss. Eine zügige und adäquat dosierte Therapie ist hierbei von besonderer Relevanz, um ein gutes funktionelles Outcome zu erreichen und der insbesondere im Alter hohen Mortalität des SE entgegenzuwirken. Ziel dieses Übersichtsartikels ist es, die Therapie des SE nach Leitlinie darzustellen und hierbei insbesondere auf Entwicklungen aus der jüngeren Vergangenheit einzugehen.
Schlüsselwörter: Epilepsie, Antikonvulsiva, epileptischer Anfall, EEG
Psychopharmakotherapie 2022;29:181–6.

Therapie des Status epilepticus im Überblick

Inzidenz, Ätiologie, Outcome und ökonomische Aspekte

Mit einer Jahresinzidenz von rund 20/100 000 in Deutschland entsprechend einer kumulativen Gesamtanzahl von über 20 000 Fällen pro Jahr stellt der SE in Deutschland eine häufige neurologische Akuterkrankung dar. Analog der ätiologischen Einteilung von Epilepsien gemäß der aktuellen ILAE-Klassifikation (International League Against Epilepsy) unterscheidet man eine „strukturelle“, „metabolische“, „infektiöse“, „immunvermittelte“ oder „unklare“ Genese des SE, wobei auch der zeitliche Kontext der Erkrankung berücksichtigt werden sollte. Ein SE kann als akut-symptomatische Komplikation zum Beispiel einer strukturellen Läsion im Rahmen eines ischämischen oder hämorrhagischen Schlaganfalls auftreten, er kann aber auch Spätfolge einer gesteigerten zerebralen Erregbarkeit aufgrund einer weiter zurückliegenden Pathologie sein, beispielsweise eines angeborenen strukturellen Defekts oder nach stattgehabten Infarkten (im Englischen „remote SE“) [23]. Die Krankenhausmortalität des SE liegt durchschnittlich bei 10 bis 20 % und steigt im Alter auf bis zu 50 %. Die Mortalität ist hierbei jedoch nicht nur vom Alter, sondern auch vom Schweregrad des SE abhängig und liegt beim nicht-refraktären SE bei etwa 10 %, beim refraktären SE (RSE) bei rund 15 % und steigt beim superrefraktären SE bis auf 50 % [5, 10, 12, 14, 16, 24, 26]. Aufgrund der zumeist langen Hospitalisierung von im Mittel 19 Tagen und einem häufigen Bedarf an intensivmedizinischen Maßnahmen bis hin zur Intubationsnarkose und künstlichen Koma ist der SE bei mittleren stationären Behandlungskosten von rund 15 000 Euro auch aus gesundheitsökonomischer Sicht von hoher Relevanz [11, 24, 26].

Definition und Stufenkonzept

Gemäß der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) zur Therapie des SE im Erwachsenenalter [19] werden pragmatisch alle epileptischen Anfälle als SE angesehen, die eine Dauer von fünf Minuten überschreiten. Darüber hinaus wird bei einer Serie einzelner epileptischer Anfälle, zwischen denen sich keine vollständige Restitution zum vorbestehenden neurologischen Befund zeigt, ab einer Dauer von fünf Minuten ebenfalls von einem SE gesprochen. Eine weitere Differenzierung in Bezug auf die Semiologie des SE erfolgt gemäß Leitlinie nicht, es wird hier jedoch darauf verwiesen, dass im Gegensatz zum konvulsiven SE bei non-konvulsiven SE Formen (NCSE) eine in Bezug auf das Stufenkonzept weniger rasche Therapieeskalation erfolgen kann [18]. Der NCSE stellt eine besondere Form des SE dar, die sich primär durch eine Vigilanzminderung oder neuropsychologische Auffälligkeiten mit darüber hinaus fakultativen subtil-motorischen Phänomenen, zum Beispiel perioralen- oder Lidmyoklonien, manifestiert. Die Diagnose erfolgt in der Regel nicht klinisch, sondern mittels Elektroenzephalographie (EEG), wobei die 2018 veröffentlichten Salzburg-Kriterien Anwendung finden [13, 31], die neben rhythmischen Potenzialen bzw. Anfallsmustern und den bereits genannten subtilen motorischen Zeichen auch ein klinisches und elektroenzephalographisches Ansprechen auf die intravenöse Gabe von Benzodiazepinen beinhalten. Die pharmakologische Therapie des SE orientiert sich am Stufenkonzept der Leitlinie, das im Folgenden dargestellt wird.

Stufe 1 – drohender und etablierter SE

Im Stadium des drohenden (prolongierter Anfall/Anfallsserie < 5 Minuten Dauer) sowie des etablierten SE (Anfall bzw. Anfallsserie > 5 Minuten Dauer) stellen Benzodiazepine die Basistherapie des SE dar, wobei aufgrund einer potenziellen Atemdepression idealerweise ein kardiorespiratorisches Basismonitoring gewährleistet sein sollte. Gemäß der Leitlinie sollte hierbei primär Lorazepam intravenös (i. v.) verabreicht werden, bei fehlender Verfügbarkeit kann auf Diazepam i. v., Clonazepam i. v. oder Midazolam i. v. zurückgegriffen werden. Bei fehlendem Ansprechen kann nach fünf Minuten gegebenenfalls eine erneute Gabe erfolgen [19]. Eine tabellarische Übersicht über die genannten Benzodiazepine findet sich in Tabelle 1. Kann eine intravenöse Behandlung nicht sofort oder nur mit deutlicher Verzögerung erfolgen, so sollte alternativ eine nicht-intravenöse Gabe durchgeführt werden. Hierfür sind Präparationen für Diazepam (Diazepam Rektiolen) und Midazolam (Midazolam nasal als konzentriertes Nasenspray [8], bukkal oder intramuskulär) verfügbar.

Tab. 1. Dosierung von Benzodiazepinen als Basistherapie des Status epilepticus

Substanz

Dosierung

Bolusgabe

Wiederholte Gabe

Lorazepam

0,1 mg/kg

Max. 4 mg/Bolus, max. 2 mg/min

Ggf. nach 5 Minuten

Diazepam

0,15–0,2 mg/kg

Max. 10 mg/Bolus, max. 30 mg insgesamt

Ggf. nach 5 Minuten

Clonazepam

0,015 mg/kg

Max. 1 mg/Bolus, max. 2 mg insgesamt

Ggf. nach 5 Minuten

Midazolam

0,1–0,2 mg/kg

Max. 10 mg/Bolus

Maximal einmalig wiederholen

Modifiziert nach Rosenow et al. [19]

Stufe 2 – Benzodiazepin-refraktärer SE

Bei fehlendem Ansprechen auf Benzodiazepine erfolgt eine Therapie mit i. v. applizierbaren Antikonvulsiva wie Valproinsäure, Levetiracetam, Phenobarbital, Lacosamid und Phenytoin. Aufgrund der geringen Interaktion mit anderen Medikamenten sowie eines günstigen Nebenwirkungsprofils wird hierbei zunehmend häufig auf Levetiracetam, Valproinsäure und Lacosamid zurückgegriffen, auch wenn Lacosamid in der Leitlinie als Substanz der 2. Wahl angegeben wird. Aufgrund der kreislaufdepressorischen Eigenschaften von Phenytoin und Phenobarbital mit Notwendigkeit eines zentralen Zugangs sowie einer intensivmedizinischen Überwachung kommen diese beiden Antikonvulsiva zunehmend seltener zur Anwendung [19]. Eine tabellarische Übersicht über die genannten Antikonvulsiva findet sich in Tabelle 2.

Tab. 2. Dosierung von Antikonvulsiva als Therapieeskalation in der Behandlung des Status epilepticus

Substanz

Dosierung

Bolusgabe

Substanzspezifische Risiken

Levetiracetam

60 mg/kg

Max. 4500 mg über 10 Minuten

Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz

Valproat

40 mg/kg

Max. 3000 mg, max. 10 mg/kg/min

Leberzirrhose, Mitochondriopathie

Phenytoin

20 mg/kg

Max. 50 mg/min

AV-Block, zentraler Zugang obligat, Gewebenekrosen

Phenobarbital

15–20 mg/kg

Max. 100 mg/min

Kardio-respiratorische Depression

Lacosamida

5 mg/kg

Max. 600 mg über > 15 Minuten

AV-Block, Herzerkrankung

Modifiziert nach Rosenow et al. [19]

a gemäß der aktuellen Leitlinie nur Substanz der 2. Wahl

Stufe 3 – refraktärer SE (RSE)

Bei fehlendem Ansprechen auf mindestens zwei Antikonvulsiva der Stufe 2 ist von einem RSE auszugehen und gemäß DGN-Leitlinie eine weitere Behandlung auf der Intensivstation mit EEG-gesteuerter Intubationsnarkose und dem Ziel eines Burst-Suppression-Pattern über mindestens 24 Stunden anzustreben, was idealerweise mittels kontinuierlicher EEG-Ableitung gemonitort werden sollte. Zur Narkoseeinleitung und Aufrechterhaltung sollte auf eine perfusorgesteuerte kontinuierliche Gabe von Midazolam i. v., Propofol i. v. und nachrangig Thiopental i. v. zurückgegriffen werden. Thiopental ist insbesondere aufgrund seiner sehr langen Halbwertzeit und der damit verbundenen langen Aufwachphase nach Induktion des Burst-Suppression-Musters im klinischen Alltag oft problematisch. Bei ausbleibendem Ansprechen ist auch eine Kombination der genannten Arzneimittel statthaft. Parallel zur Therapie der Stufe 3 sollte die antikonvulsive Therapie aus Stufe 2 fortgeführt und eskaliert werden [19]. Eine tabellarische Übersicht über die genannten Narkotika findet sich in Tabelle 3.

Tab. 3. Dosierung von Narkotika als Therapieeskalation in der Behandlung des Status epilepticus

Substanz

Bolusgabe

EEG-gesteuerte Erhaltungsdosis

Substanzspezifische Risiken

Midazolam

0,2 mg/kg

0,1–0,5 mg/kg/h

Risiko der Akkumulation/Narkoseüberhang

Propofol

2 mg/kg

4–10 mg/kg/h

Propofol-Infusionssyndrom (PRIS)

Thiopental

5 mg/kg

Nach EEG

Kardiovaskuläre Depression, Bronchospasmus

Modifiziert nach Rosenow et al. [19]

Stufe 4 – superrefraktärer SE (SRSE)

Wenn die EEG-Anfallsaktivität durch Arzneimittel der Stufe 3 nicht durchbrochen werden kann oder bei erneutem Auftreten von klinischen oder EEG-Anfallsmustern ist von einem SRSE auszugehen. Für therapeutische Optionen des SRSE gibt es wenig Evidenz aus randomisierten Studien. Neben einer Intensivierung der antikonvulsiven Therapie mit i. v. oder rasch auftitrierbaren oral verfügbaren Antikonvulsiva ist auch die Hinzunahme oder Umstellung der i. v. Sedativa auf Ketamin oder auf eine Inhalationsnarkose mittels Isofluran eine potenzielle Option. Bei Verdacht auf eine autoimmune Ätiologie kann auch die Einleitung einer immunsuppressiven Therapie mittels i. v. Steroidpuls, intravenösen Immunglobulinen (IVIG) oder Plasmapherese bzw. Immunadsorption evaluiert werden. Eine ketogene Diät oder die Gabe von hochdosiertem Magnesium können ebenfalls im Einzelfall erwogen werden. Aufgrund der hohen Mortalität des RSE und des SRSE sowie des oftmals schlechten funktionellen Outcomes sollte insbesondere bei relevant vorerkrankten oder älteren Patienten eine individuelle Therapielimitierung gemäß dem mutmaßlichen Patientenwillen eruiert und im Behandlungsteam besprochen werden [33].

Neue Aspekte in der Behandlung des Status epilepticus

Obwohl die aktuelle DGN-Leitlinie zur Therapie des SE im Erwachsenenalter erst vor Kurzem, im Jahr 2020, publiziert wurde, haben sich in den letzten Jahren einige relevante Aspekte in der Behandlung des SE ergeben, die entweder aufgrund ihrer Veröffentlichung nach Schluss der Erstellung oder noch nicht ausreichendem Evidenzlevel in der Leitlinie noch nicht berücksichtigt werden konnten.

Stufe 1 und 2

Eine in Bezug auf die Therapie des Benzodiazepin-refraktären SE besonders relevante Neuerung sind die im November 2019 veröffentlichen Ergebnisse des ESETT-Studie (Established status epilepticus treatment trial). Das primäre Ziel dieser Studie war es, die Wirksamkeit von Fosphenytoin (in Deutschland nicht erhältlich), Levetiracetam und Valproinsäure bei Patienten nach Versagen des Benzodiazepins in einem Alter von über 2 Jahren zu untersuchen; zudem erfolgten aufschlussreiche Sub-Analysen zur Evaluation der vorangegangenen Benzodiazepin-Therapie. Insgesamt wurden hier 1170 Applikationen von Benzodiazepinen im SE untersucht, wobei Lorazepam mit 699 Anwendungen deutlich häufiger angewendet wurde als Midazolam (n = 398) und Diazepam (n = 103). In über 76 % der Fälle war die initiale Dosierung der Benzodiazepine unterhalb der empfohlenen gewichtsadaptierten Mindestmenge. Dies traf insbesondere auf die Verabreichung von Midazolam zu, bei dem nur in etwa 14 % der Fälle eine ausreichende Dosierung als Initialtherapie verabreicht wurde; bei Lorazepam wurde in rund 24 % und bei Diazepam in 79 % der Fälle eine adäquate Erstdosis verabreicht. Eine initiale Unterdosierung von Benzodiazepinen ist also ein häufiges Phänomen in der Behandlung des SE und kann einen relevanten Aspekt für die Entwicklung eines RSE und SRSE darstellen, weshalb in klinischen Alltag unbedingt auf eine adäquate, gewichtsadaptierte Dosierung geachtet werden sollte [21, 22].

Hinsichtlich der Anwendung von Levetiracetam, Valproinsäure und Fosphenytoin als Antikonvulsiva konnte anhand von 384 Patienten der ESETT-Studie gezeigt werden, dass alle drei Arzneimittel in Hinsicht auf ein Therapieansprechen nach 60 Minuten mit Ansprechraten von 47 %, 46 % und 45 % als gleichwertig zu betrachten sind. Auch die Analyse in Hinblick auf Risiken erbrachte trotz einer numerisch höheren Rate von relevanten Hypotensionen und Intubationspflichtigkeit in der Fosphenytoin-Gruppe sowie der Mortalität in der Levetiracetam-Gruppe keine statistisch signifikanten Befunde [7]. Diese Ergebnisse untermauern somit, dass die zuletzt deutlich zunehmende Anwendung von Levetiracetam nicht nur aus praktischen Gründen (z. B. fehlende Interaktion mit anderen Arzneistoffen, rein renale Ausscheidung, Dosisanpassung nur bei Niereninsuffizienz erforderlich) vertretbar, sondern auch in Hinblick auf die Wirksamkeit wegen der nicht unterlegenen Wirksamkeit im Vergleich mit anderen Antikonvulsiva adäquat ist [19].

Auch für den Einsatz von Brivaracetam, einer Weiterentwicklung von Levetiracetam, das seine antikonvulsive Wirkung ebenfalls primär über den präsynaptischen SV2a-Rezeptor entfaltet, jedoch im Vergleich mit Levetiracetam eine bis zu 30 % höhere Affinität zum molekularen Target aufweist, gibt es mittlerweile belastbare Daten für eine Wirksamkeit im Status epilepticus. In mehreren retrospektiven Fallserien konnte mit einer initialen Dosis von 50 bis 400 mg sowie einer Erhaltungsdosis zwischen 100 und 300 mg/Tag eine Responderrate von bis zu 50 % bei erwachsenen Patienten mit etabliertem SE, RSE und SRSE erreicht werden. Aufgrund der verfügbaren i. v. Lösung, die, im Gegensatz zu Levetiracetam, als Bolus appliziert werden kann und nicht als Kurzinfusion verabreicht werden muss, ergeben sich bei der Anwendung von Brivaracetam zudem praktische Vorteile. Da die Evidenz bisher jedoch nicht über Fallserien [1, 29] hinausgeht und die Gabe von Brivaracetam im SE einen individuellen Off-Label-Use darstellt, hat sich Brivaracetam in der Primärtherapie des SE bisher nicht in der Breite etablieren können [34].

Stufe 3 und 4

Im RSE hat sich über die letzten Jahre zunehmend der Einsatz von Ketamin als zusätzliches i. v. Narkotikum etabliert. Auch hier stützt sich die Evidenz des Nutzens nicht auf randomisierte, kontrollierte Studien – die bisher nicht verfügbar sind –, sondern auf Fallserien mit insgesamt über 200 Kindern und Erwachsenen mit einer Responderrate von bis zu 64 % [17]. Eine prospektive Studie an 68 erwachsenen Patienten mit SRSE zeigte ein Ansprechen in 81 % der Patienten mit Durchbrechen des SE in 63 % der Fälle. Als Dosis wurde im Mittel 2,2 mg/kg/h Ketamin über im Mittel zwei Tage infundiert [2]. Ketamin stellt somit eine vielversprechende Alternative zur gängigen Therapie des SE dar, wobei weitere Studien dringend benötigt werden, um die genannten Ergebnisse zu reproduzieren.

Der Einsatz von Inhalationsnarkotika wie Isofluran mittels spezieller Verdampfer in der intensivmedizinischen Therapie als Eskalationsmöglichkeit bei RSE und SRSE findet weiterhin nur vereinzelt statt. Als Basis hierfür existieren einzelne Fallberichte sowie eine kürzlich veröffentlichte multizentrische retrospektive Fallanalyse mit 45 Patienten, die Isofluran im RSE bzw. SRSE erhielten. Ein Sistieren des SE wurde bei 51 % der Untersuchten beschrieben. Aufgrund der schlechten Datenlage stellt der Einsatz einer Inhalationsnarkose im SE also weiterhin eine individuelle Off-Label-Anwendung dar [25].

Neben unterschiedlichen neuen medikamentösen Therapieoptionen für die intensivmedizinische Therapie des RSE und SRSE scheint nach einer jüngeren Studie mit 182 Patienten auch die Dauer des therapeutischen Komas von hoher Relevanz. So konnte gezeigt werden, dass bei Patienten, die bei SE sediert wurden, eine längere Dauer des initialen therapeutischen Komas unabhängig mit einer höheren Wahrscheinlichkeit eines Anfallsrezidivs nach dem ersten Entwöhnungsversuch vergesellschaftet war (27,2 h vs. 15,6 h). Eine Assoziation der Narkosedauer mit einem schlechten funktionellen Outcome, in Hinblick auf Komplikationen oder in Bezug auf die Mortalität fand sich hingegen nicht. Höhere Propofol-Dosen während des ersten therapeutischen Komas waren mit weniger Komplikationen im Krankenhaus sowie mit einer kürzeren Dauer der mechanischen Beatmung und der Gesamtdauer des Aufenthalts assoziiert. Eine Dauer des therapeutischen Komas über 35 Stunden war mit einem erhöhten Rezidivrisiko für Anfallsaktivität verbunden. Diese Daten weisen darauf hin, dass ein aggressiveres, kürzeres EEG-gesteuertes therapeutisches Koma im RSE und SRSE möglicherweise effizienter als die bisher empfohlene Dauer von 24 bis 48 Stunden ist, es werden jedoch weitere Studien benötigt, um diese Befunde zu verifizieren [15].

In einem kürzlich veröffentlichten Review wurden die medikamentösen Möglichkeiten einer Therapieeskalation mit oralen Antikonvulsiva im RSE sowie SRSE systematisch aufgearbeitet. Die größte Evidenz (Oxford 3C, GRADE I) fand sich hierbei für den Einsatz des über verschiedene Mechanismen antikonvulsiv wirkenden Topiramat [4] (AMPA-Rezeptoren, GABA-Rezeptoren, Natriumkanäle, Calciumkanäle, Carboanhydrase) und des Natriumkanalblockers Lacosamid [30], gefolgt vom SV2a-Liganden Brivaracetam (Oxford 4D, GRADE I) und dem AMPA-Rezeptorblocker Perampanel [27] (Oxford 4D, Grade II). Zudem existiert eine schwache Evidenz aus einzelnen Fallberichten und Fallserien für den Einsatz des GABA-Agonisten Stiripentol [28] sowie für die Natriumkanalblocker Oxcarbazepin [9] und Zonisamid [6] (Oxford 5D, GRADE I–II). Potenzielle Optionen der Therapieeskalation mittels oraler, rasch aufdosierbarer Antikonvulsiva sind in Tabelle 4 dargestellt. Anzumerken ist, dass die Anwendung im SE jeweils einen Off-Label-Use darstellt.

Tab. 4. Orale Antikonvulsiva zur Therapieeskalation im refraktären (RSE) und superrefraktären (SRSE) Status epilepticus

Substanz

Applikationsweg

Bolusgabe

Erhaltungsdosis

Brivaracetam

p. o., i. v.

100–200 mg

100–200 mg/Tag, verteilt auf 2 Tagesdosen

Oxcarbazepin

p. o.

600–1200 mg

1200–1800 mg/Tag, verteilt auf 2 Tagesdosen

Perampanel

p. o.

8–12 mg

8–12 mg, einmalig

Stiripentol

p. o.

2000–3000 mg

3000–4000 mg/Tag, verteilt auf 2 Tagesdosen

Topiramat

p. o.

400 mg

400–600 mg/Tag, verteilt auf 2 Tagesdosen

Zonisamid

p. o.

200–300 mg

200–600 mg/Tag, verteilt auf 2 Tagesdosen

In alphabetischer Ordnung, modifiziert nach Willems et al. 2020 [33].

Alle Substanzen sind nicht für die Behandlung des Status epilepticus im Erwachsenenalter zugelassen (individueller Off-Label-Use)

Nach initial vielversprechenden Studienergebnissen zum Einsatz von Neurosteroiden wie Allopregnanolon als allosterischer Modulator am GABAA-Rezeptor im RSE und SRSE aus Einzelfallberichten und Fallserien [3, 20, 32] konnte eine größere randomisierte, Placebo-kontrollierte Studie mit 132 Patienten keinen signifikanten Unterschied zwischen der Verum- und der Kontrollgruppe belegen (https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT02477618).

Zusammenfassung

Zusammenfassend sollte man sich bei der Behandlung des SE in allen seinen Therapiestadien an der aktuell gültigen Version der DGN-Leitlinie aus 2020 orientieren, die eine evidenzbasierte Behandlungsempfehlung darstellt. Studien aus der jüngeren Vergangenheit konnten zeigen, dass bei der Anwendung von Benzodiazepinen als Basistherapie des SE häufig eine Unterdosierung zu beobachten ist, die einen refraktären Verlauf begünstigen kann und daher unbedingt vermieden werden sollte. Daten der ESETT-Studie belegen zudem eine gute Wirksamkeit von Levetiracetam im Benzodiazepin-refraktären SE, das als gleichwertig mit Valproat und (Fos)Phenytoin zu betrachten ist. Für den Einsatz von i. v. Brivaracetam existieren vielversprechende Daten in Bezug auf Wirksamkeit und Sicherheit, eine Therapieempfehlung kann aufgrund der geringen Datenlage jedoch nicht ausgesprochen werden. Im RSE und SRSE scheint ein kürzeres, aggressiveres therapeutisches Koma möglicherweise effektiver zu sein als eine längere EEG-gestützte Burst-Suppression, wobei Ketamin eine weitere effektive und sichere Möglichkeit der Therapieeskalation im SRSE darstellt. Im SRSE oder bei Patienten mit Therapielimitation bezüglich einer intensivmedizinischen Therapie auch bereits im RSE gibt es belastbare, aber niedrige Evidenz für den Einsatz rasch oral aufdosierbarer Antikonvulsiva wie Brivaracetam, Oxcarbazepin, Perampanel, Stiripentol, Topiramat und Zonisamid. Der Einsatz von Steroidpulsen oder Plasmapherese/Immunadsorption sollte Patienten mit begründetem Verdacht auf eine autoimmune Genese des SE vorbehalten bleiben. Für den Einsatz von Neurosteroiden wie Allopregnanolon im RSE und SRSE gibt es nach einer randomisierten, Placebo-kontrollierten Studie keine belastbare Evidenz für einen therapeutischen Nutzen. Insbesondere vor und während intensivmedizinischer Maßnahmen sollten der mutmaßliche Patientenwille sowie der medizinische Vorzustand des Patienten aufgrund der per se hohen Mortalität des RSE und SRSE kritisch evaluiert werden.

Interessenkonflikterklärung

Die Autoren erklären, dass sie sich bei der Erstellung des Beitrages von keinen wirtschaftlichen Interessen leiten ließen. Sie legen folgende potenzielle Interessenkonflikte offen: L Willems erklärt, dass keine Interessenskonflikte bestehen. F Rosenow gibt Honorare von Arvelle Therapeutics, Eisai GmbH, GW Pharmaceuticals companies, UCB medical an. Zudem erhält er Forschungsförderungen durch DFG, BMBF, EU und die Hessischen Ministerien für Wissenschaft und Kunst sowie für Soziales und Integration. A Strzelczyk gibt Honorare oder Forschungsförderung von Angelini Pharma, Desitin Arzneimittel, Eisai, GW Pharmaceuticals companies, Marinus Pharmaceuticals, Precisis, UCB, UNEEG medical und Zogenix an.

Literatur

 

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Dr. med. Laurent M. Willems MHBA, Prof. Dr. med. Felix Rosenow MHBA, Prof. Dr. med. Adam Strzelczyk MHBA, Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main & Klinik für Neurologie, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie, Universitätsklinik Frankfurt am Main, Schleusenweg 2–16, 60528 Frankfurt am Main, E-Mail: laurent.willems@kgu.de

Recent developments in the therapy of status epilepticus

Status epilepticus (SE) is one of the most important neurological emergencies and represents a life-threatening condition requiring immediate and adequate treatment. SE therapy is based on the guidelines of the German Society of Neurology (DGN), which define different stages of SE and suggest different drug treatment options for each stage. Beyond the 2020 guideline, data from the ESETT study demonstrates the importance of an adequate dosage of benzodiazepines during initial SE therapy as well as a good efficacy of levetiracetam in benzodiazepine-refractory SE, which can be considered equivalent to valproate and fosphenytoin. In addition, promising efficacy and safety data exist for the use of i. v. brivaracetam. In refractory SE (RSE) and super-refractory SE (SRSE), a shorter, more aggressive therapeutic coma appears to be potentially more effective than prolonged EEG-guided burst suppression. With ketamine another effective and safe option for therapy escalation is available. In SRSE or in patients with treatment limitations with respect to intensive care therapy even as early as RSE, there is robust but low-level evidence for the use of oral anticonvulsants such as brivaracetam, oxcarbazepine, perampanel, stiripentol, topiramate, and zonisamide. The use of steroid pulses or plasmapheresis/immunoadsorption should be reserved for patients with probable autoimmune etiology of SE. There is no robust evidence of therapeutic benefit for the use of neurosteroids such as allopregnanolone in RSE and SRSE after a randomized, placebo-controlled trial. Especially before and during intensive care measures, the presumed patient will as well as the patient’s previous medical condition should be critically evaluated due to the per se high mortality of RSE and SRSE.

Key words: Epilepsy, seizure, antiseizure Medication, EEG

Psychopharmakotherapie 2022; 29(05):181-186