Systematischer Review und Netzwerk-Metaanalyse

Medikamentöse Therapie von Panikstörungen


Mag. pharm. Irene Senn, PhD, Wien

In einer Netzwerk-Metaanalyse wurden erstmals gleichzeitig Effektivität und Sicherheit verschiedener Arzneistoffklassen bei Panikstörungen untersucht. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) zeigten das günstigste Nutzen-Risiko-Profil. Innerhalb dieser Wirkstoffklasse erwiesen sich Sertralin und Escitalopram als am besten geeignet.

Panikstörungen zählen mit einer Lebenszeitprävalenz von 1 bis 5 % zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Zur medikamentösen Behandlung kommen eine ganze Reihe verschiedener Wirkprinzipien infrage. Mehrere medizinische Leitlinien empfehlen SSRI in der Erstlinientherapie. Begründet wird dies mit einer besseren Langzeitverträglichkeit im Vergleich zu trizyklischen Antidepressiva (TZA) und Benzodiazepinen (BZD). Direkte Vergleiche zwischen SSRI und anderen Substanzklassen wurden bislang jedoch kaum angestellt. Unklar ist außerdem, welcher konkrete Wirkstoff aus der Gruppe der SSRI insgesamt die besten Effekte zeigt.

Ziel der vorliegenden Arbeit war es daher, einerseits geeignete Wirkstoffklassen und andererseits spezifische SSRI zu identifizieren, die bei Panikstörungen mit bzw. ohne Agoraphobie das beste Verhältnis zwischen Wirksamkeit und Verträglichkeit bieten.

Studiendesign

In die Auswertung wurden 87 randomisierte kontrollierte Studien mit 12 800 Teilnehmern eingeschlossen. 63,7 % der Teilnehmer waren weiblich, das Durchschnittsalter betrug 35 Jahre. Die Probanden litten im Durchschnitt bereits 6,9 Jahre an einer Panikstörung. Verglichen wurde die Wirksamkeit und Verträglichkeit von elf Wirkstoffklassen und Placebo (Tab. 1).

Tab. 1. Eckdaten zum Studiendesign [Chawla et al.]

Erkrankung

Panikstörung mit und ohne Agoraphobie

Studienziel

Vergleich der Wirksamkeit und Sicherheit

  • von 11 verschiedenen Wirkstoffklassen
  • von verschiedenen Wirkstoffen innerhalb der Gruppe der SSRI

Studientyp

Systematischer Review und Netzwerk-Metaanalyse

Interventionen

11 Wirkstoffklassen + Placebo

  • SSRI (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer)
  • SNRI (Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer)
  • NRI (Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer)
  • BZD (Benzodiazepine)
  • TZA (trizyklische Antidepressiva)
  • NaSSA (noradrenerge und spezifisch serotonerge Antidepressiva)
  • Buspiron
  • MAOI (Monoaminoxidasehemmer)
  • SSRI + BZD
  • TZA + BZD
  • Betablocker
  • Placebo

Primäre Endpunkte

  • Remission (definiert als Ausbleiben einer Panikattacke für mindestens eine Woche)
  • Verträglichkeit (definiert als Drop-out-Rate)

Sekundäre Endpunkte

  • Angst
  • Depression
  • Alle Arten von unerwünschten Reaktionen

Ergebnisse

In der Auswertung wurden alle zwölf Interventionen paarweise miteinander verglichen. Das Besondere an Netzwerk-Metaanalysen ist, dass auch Rangfolgen erstellt werden können (sog. SUCRA-Rankings; SUCRA: surface under the cumulative ranking curve). Die Werte reichen von 0 % (schlechteste Option) bis 100 % (beste Option für den jeweiligen Outcome-Parameter).

Wirksamkeit

In Hinblick auf die Remissionsraten waren BZD, TZA, SSRI, MAOI und SNRI einer Placebo-Gabe signifikant überlegen. Im Vergleich mit Placebo ergab sich ein Risikoquotient (95%-Konfidenzintervall) zugunsten einer Remission von

  • 1,47 (1,36–1,60) für BZD
  • 1,39 (1,26–1,54) für TZA
  • 1,38 (1,26–1,50) für SSRI
  • 1,30 (1,00–1,69) für MAOI und
  • 1,27 (1,12–1,45) für SNRI

Allerdings waren TZA, BZD und SSRI auch mit einem signifikant erhöhten Risiko für Nebenwirkungen verbunden, mit Risikoquotienten von 1,79 (1,47–2,19) für TZA, 1,76 (1,50–2,06) für BZD und 1,19 (1,01–1,41) für SSRI.

Das SUCRA-Ranking ergab folgende Top 3 in Bezug auf die Remission: BZD (84,5 %), TZA (68,7 %) und SSRI (66,4 %). Am schlechtesten schnitten Betablocker (9 %) und Buspiron (33,2 %) ab.

Verträglichkeit

Die Verträglichkeit wurde anhand der Drop-out-Rate bestimmt, also dem Anteil der Patienten, die vor Studienabschluss die Behandlung abbrachen. Hier schnitten TZA und BZD am besten ab, in der Netzwerk-Metaanalyse ergab sich nur für diese beiden Gruppen ein signifikant niedrigerer Risikoquotient im Vergleich mit Placebo (TZA 0,71 [0,58–0,88]; BZD 0,46 [0,37–0,58]. Trotz der niedrigsten Drop-out-Rate waren BZD mit dem höchsten Risiko für Nebenwirkungen assoziiert.

Fazit

Die Gesamtauswertung bescheinigte SSRI insgesamt das günstigste Nutzen-Risiko-Profil. Innerhalb der Gruppe der SSRI traf dies für Sertralin und Escitalopram zu. Die Ergebnisse müssen allerdings mit einer gewissen Zurückhaltung interpretiert werden. Für nahezu alle eingeschlossenen Studien (86 von 87) äußerten die Autoren Bedenken hinsichtlich der Studienqualität bzw. eines Verzerrungspotenzials. Zudem waren die meisten Originalarbeiten über 20 Jahre alt.

Quelle

Chawla N, et al. Drug treatment for panic disorder with or without agoraphobia: systematic review and network meta-analysis of randomized controlled trials. BMJ 2022;376:e066 084.

Psychopharmakotherapie 2022; 29(03):112-119