Trisomie 21

Fördert Memantin die kognitive Leistung bei Heranwachsenden mit Down-Syndrom?


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
In einer randomisierten, doppelblinden, Placebo-kontrollierten Studie wurde Memantin bei 160 Jugendlichen mit Down-Syndrom untersucht. Memantin wurde gut vertragen. In einer Dosis von 20 mg/Tag wurden keine kognitionsfördernden Wirkungen festgestellt.

Das Down-Syndrom (Trisomie 21), ist eine Chromosomenstörung mit erheblichen Auswirkungen auf die Entwicklung des Gehirns und einer später fortschreitenden Neurodegeneration. Die Ergebnisse einer Pilotstudie an jungen Erwachsenen mit Down-Syndrom zeigten, dass Memantin, ein für die Alzheimer-Demenz zugelassener Arzneistoff, keine Überlegenheit gegenüber Placebo, aber eine signifikante Wirkung auf das episodische Gedächtnis hatte [1]. Ziel der vorliegenden Studie war es, zu untersuchen, ob Memantin das episodische Gedächtnis bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Down-Syndrom verbessert.

Studiendesign

An der randomisierten, doppelblinden, Placebo-kontrollierten Phase-II-Studie mit Parallelstudiendesign nahmen Patienten mit Trisomie 21 oder einer vollständigen unausgeglichenen Translokation des Chromosoms 21 teil. Sie waren zwischen 15 und 32 Jahre alt, in gutem Allgemeinzustand und wurden aus Brasilien und den USA rekrutiert. Die Teilnehmer wurden 1 : 1 randomisiert und erhielten entweder Memantin 20 mg pro Tag oral (n = 81) oder Placebo (n = 79) für 16 Wochen. Zu Studienbeginn und in Woche 16 wurden neuropsychologische Untersuchungen durchgeführt.

Der primäre Endpunkt war die Veränderung im California-Verbal-Learning-Test (CVLT-II-sf). Der Test wurde in der Per-Protocol-Population durchgeführt. Diese beinhaltete Teilnehmer, die 16 Behandlungswochen absolviert hatten und bei denen neuropsychologische Daten vorlagen. Weitere durchgeführte neuropsychologischer Tests waren DAS (Differential Ability Scales), PAL (Paired associates learning), PPVT (Peabody Picture Vocabulary Test), PRM (Pattern recognition memory), SIB-R (Scales of independent behavior-revised), SWM (Spatial working memory) und TROG (Test for reception of grammar). Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit wurden bei allen Teilnehmern während der Behandlung überwacht und analysiert, die Memantin-Plasmakonzentrationen wurden am Ende der Studie gemessen.

Ergebnisse

Elf Personen brachen die Studie aufgrund von COVID-19-Beschränkungen, Krankheit der Betreuungsperson, unerwünschten Ereignissen oder mangelnder Compliance ab, acht Teilnehmer aus der Memantin-Gruppe und drei aus der Placebo-Gruppe.

Die Autoren konnten zwischen den Gruppen keinen Unterschied bezüglich des primären Endpunkts feststellen: Die Zahl korrekt erinnerter Wörter im CVLT-II-sf stieg in der Memantin-Gruppe von 12,7 auf 16,2, in der Placebo-Gruppe von 14,3 auf 17,6; die Differenz der Veränderungen vom Ausgangswert betrug 0,34 Punkte (95%-Konfidenzintervall [KI] –0,98 bis 1,67; p = 0,61). Auch für die übrigen neuropsychologischen Tests ergaben sich keine Unterschiede.

Memantin wurde gut vertragen, es traten nur selten leichte bis mittelschwere unerwünschte Ereignisse auf. Dazu zählten virale Atemwegsinfektionen und temporärer Schwindel, die bei 11 % bzw. 10 % der Memantin-Patienten und in 15 % bzw. 8 % der Fälle in der Placebo-Gruppe auftraten. Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse beobachteten die Autoren nicht. Die Memantin-Konzentrationen im Plasma waren deutlich niedriger als die, die bei Morbus Alzheimer therapeutisch wirksam sind.

Kommentar

Grundlage der hier durchgeführten Studie war die Hypothese, dass sich eine Überexpression von Glutamat im Gehirn negativ auf neurodegenerative Prozesse auswirkt und eine wichtige Rolle bei der Pathophysiologie des Down-Syndroms spielt. Memantin ist ein NMDA(N-Metyhl-D-aspartat)-Rezeptorantagonist und war in präklinischen Modellen an transgenen Mäusen wirksam. In der durchgeführten Studie gab es allerdings keinen Anhaltspunkt für einen Einfluss von Memantin auf neuropsychologische Funktionen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Down-Syndrom. Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass bei einem Teil der Patienten Memantin-Serumspiegel erreicht wurden, die deutlich niedriger waren als die, die bei der Therapie der Alzheimer-Demenz als therapeutisch gelten. Ungeachtet dessen gibt es aber im Moment keine Indikation, Patienten mit Down-Syndrom mit Memantin zu behandeln.

Quelle

Costa ACS, et al. Safety, efficacy, and tolerability of memantine for cognitive and adaptive outcome measures in adolescents and young adults with Down syndrome: a randomised, double-blind, placebo-controlled phase 2 trial. Lancet Neurol 2022;21:31–41.

Literatur

1. Boada R, et al. Antagonism of NMDA receptors as a potential treatment for Down syndrome: a pilot randomized controlled trial. Transl Psychiatry 2012;2:e141.

Psychopharmakotherapie 2022; 29(03):112-119