Depot-Therapie ohne Latenzphase

Evolution in der Schizophrenie-Therapie


Dr. Alexander Kretzschmar, München

Zu den vielfältigen Gründen für den Nicht-Einsatz von Depot-Antipsychotika gehören auch Vorbehalte wegen einer zu komplexen Umstellung auf eine Depot-Therapie, bei der eine orale Begleittherapie oder zusätzliche initiale Injektionen bis zum Erreichen eines Wirkstoff-Steady-States unter dem Depot-Antipsychotikum notwendig sind. Mit Risperidon ISM® gibt es jetzt eine Option für antipsychotische Depot-Therapie, die diese Bedenken berücksichtigt.

In den vergangenen Jahren hat sich das Konzept für den Einsatz von Depot-Antipsychotika verändert. Depot-Antipsychotika werden heute zu einem früheren Behandlungszeitpunkt gegeben, auch weil junge und ersterkrankte schizophrene Patienten von einer langwirksamen Medikation am meisten profitieren. Diese Patientengruppe besitzt auch das höchste Absetzrisiko. Vorteilhaft kann auch der frühe Einsatz bei adhärenten Patienten als Prävention einer Non-Adhärenz sein. Risperidon ISM® (Okedi®) erleichtert mit seiner neuartigen Galenik den frühen Einsatz einer Depot-Therapie und stellt damit nach Ansicht von Prof. Dr. Christoph Correll, Berlin/New York eine wichtige Weiterentwicklung in der antipsychotischen Pharmakotherapie dar.

Steady-State bereits nach der ersten Injektion

Die ISM®(in situ microparticle)-Technologie (Kasten) wurde von der Herstellerfirma selbst entwickelt und patentiert. Im Gegensatz zu den bisher verfügbaren Depot-Antipsychotika gibt es mit der neuen Galenik keine Latenzphase: Therapeutische Wirkstoffkonzentrationen werden bereits innerhalb von zwei Stunden nach der Applikation erreicht, die Wirksamkeit hält über das gesamte Injektionsintervall an, eine orale Supplementierung oder Loading-Dose entfällt [1, 5].

ISM®-Technologie

ISM: in situ microparticle; Mikropartikel werden an Ort und Stelle (im Körper) nach der i. m. Injektion erzeugt.

Für diese Applikationsform liegt Risperidon als Pulver im Gemisch mit Poly(D,L-Lactid-co-glycolid) (Polyglactin) vor. Es wird unmittelbar vor der Applikation in Dimethylsulfoxid suspendiert und intradeltoidal oder intragluteal injiziert. Im wässrigen Milieu bildet der Polymerbildner eine Matrix, die Risperidon einschließt. Die Matrix löst sich im weiteren Verlauf allmählich auf und setzt Risperidon frei. [European Medicines Agency. Assessment Report Okedi. EMA/CHMP/11233/2022 rev. 1]

In der offenen, einarmigen Vergleichsstudie BORIS wurde die Bioverfügbarkeit von intramuskulär injiziertem Risperidon ISM® und oralem Risperidon im Steady-State untersucht. 81 Patienten erhielten zunächst sieben Tage orales Risperidon 4 mg/Tag und wurden an Tag 8 ohne Wash-out-Phase auf Risperidon ISM® 100 mg alle 28 Tage umgestellt. Unter Risperidon ISM® wurde eine vergleichbarere therapeutische Plasmakonzentration erzielt wie unter oraler Risperidon-Therapie. Die Steady-State-Konzentration wurde bereits nach der ersten Injektion erreicht [6]. Für die Praxis bedeutet dies, dass eine direkte Umstellung von oralem Risperidon 24 Stunden nach der letzten oralen Dosis erfolgen kann.

Risperidon ISM® ist zugelassen zur Behandlung von Schizophrenie bei Erwachsenen, bei denen die Verträglichkeit und Wirksamkeit von oralem Risperidon nachgewiesen ist. Die Gabe erfolgt alle 28 Tage als intramuskuläre (i. m.) Injektion. Die Lagerung ist bei Raumtemperatur möglich [3].

Basis für die Mitte Februar 2022 von der Europäischen Kommission erteilte Zulassung ist die Phase-III-Studie PRISMA-3. Eingeschlossen wurden 437 Patienten mit akuter Exazerbation, gekennzeichnet durch einen PANSS(Positive and negative syndrome scale)-Gesamtscore von 80 bis 120 und einen CGI-S(Clinical global impression – severity)-Score ≥ 4. Die Teilnehmer erhielten entweder 100 mg Risperidon ISM®, 75 mg Risperidon ISM® oder Placebo an Tag 1, 29 und 57. Primärer Endpunkt war die Veränderung des PANSS-Gesamtscores an Tag 85.

Risperidon ISM® bewirkte eine schnelle und anhaltende Verbesserung der Symptome ohne orale Supplementierung oder Loading-Dose. Signifikante Unterschiede im PANSS-Gesamtscore vs. Placebo ergaben sich erstmals an Tag 8 für die 100-mg-Dosierung (p < 0,01) und an Tag 15 für die 75-mg-Dosierung (p < 0,0001). Der mittlere CGI-S war unter beiden Dosierungen an Tag 8 signifikant niedriger als unter Placebo (100 mg: p < 0,001; 75 mg: p < 0,01). Die Effektstärke war mit 0,7 bis 0,8 hoch. Die signifikante Überlegenheit vs. Placebo setzte sich bis Tag 85 fort (100 mg + 75 mg: p < 0,0001). Für beide Dosierungen zeigte sich eine gute Verträglichkeit entsprechend dem für orales Risperidon bekannten Sicherheitsprofil. 76,3 % der Patienten führten die Behandlung bis zum Ende der Studie fort [2].

Die langfristige Wirksamkeit von Risperidon ISM® 75 und 100 mg wurde in einer offenen 12-monatigen Verlängerung der Hauptstudie (n = 215) untersucht. Die Rückfallrate betrug 10,7 %, 61 % der Patienten erreichten eine klinische Remission [4]. In der prospektiven, nichtinterventionellen RESHAPE-Studie soll die Wirksamkeit von Risperidon ISM® unter Real-World-Bedingungen untersucht werden.

Quelle

Prof. Dr. Christoph Correll, Berlin/New York, Prof. Dr. Gerhard Gründer, Mannheim, Prof. Dr. Stefan Leucht, München, Einführungspressekonferenz „Okedi® – Ein neues Depot-Antipsychotikum mit schnellem Wirkeintritt auf Basis der innovativen ISM®-Technologie“ am 25. April 2022 in München. Veranstalter: ROVI GmbH, Holzkirchen.

Literatur

1. Anta L, et al. A phase II study to evaluate the pharmacokinetics, safety, and tolerability of risperidone ISM multiple intramuscular injections once every 4 weeks in patients with schizophrenia. Int Clin Psychopharmacol 2018;33:79–87.

2. Correll CU, et al. Efficacy and safety of once-monthly risperidone ISM® in schizophrenic patients with an acute exacerbation. NPJ Schizophr 2020;6:37.

3. Fachinformation OKEDI®, Stand Februar 2022.

4. Filts Y, et al. Long-term efficacy and safety of once-monthly risperidone ISM® in the treatment of schizophrenia: Results from a 12-month open-label extension study. Schizophr Res 2022;239:83–91.

5. Llaudo J, et al. Phase I, open-label, randomized, parallel study to evaluate the pharmacokinetics, safety, and tolerability of one intramuscular injection of risperidone ISM at different dose strengths in patients with schizophrenia or schizoaffective disorder (PRISMA-1). Int Clin Psychopharmacol 2016;31:323–31.

6. Walling DP, et al. The steady-state comparative bioavailability of intramuscular risperidone ISM and oral risperidone: An open-label, one-sequence study. Drug Des Devel Ther 2021;15:4371–82.

Psychopharmakotherapie 2022; 29(03):112-119