Diroximelfumarat zur Therapie der RRMS

Weiterentwicklung mit verbesserter gastrointestinaler Verträglichkeit


Dr. Alexander Kretzschmar, München

Der seit Anfang 2022 verfügbare Wirkstoff Diroximelfumarat (DRF) zur oralen Behandlung von Erwachsenen mit schubförmig remittierender multipler Sklerose (RRMS) ist eine Weiterentwicklung von Dimethylfumarat (DMF) mit einem verbesserten Nebenwirkungsprofil zugunsten einer geringeren Rate gastrointestinaler Nebenwirkungen. Dies führt zu weniger Beeinträchtigungen der Alltagsfunktionen, weniger beruflichen Fehlzeiten sowie weniger Therapieabbrüchen. Verträglichkeits- und Wirksamkeitssdaten wurden bei einer virtuellen Pressekonferenz der Firma Biogen vorgestellt.

Seit seiner Zulassung zur Behandlung von Erwachsenen mit RRMS in 2014 hat sich DMF (Tecfidera®) als eine Standardtherapie etabliert [6]. In der Extensionsstudie ENDORSE der Phase-III-Studien DEFINE und CONFIRM blieb die jährliche Schubrate für bis zu zehn Jahren anhaltend niedrig. Insgesamt 45 % der Patienten blieben in diesem Zeitraum schubfrei, 73 % der Patienten waren frei von Behinderungsprogression [4, 5]

DRF als Fumarat-Zweitgenerationsmolekül

Das Ziel für die Entwicklung von DRF (Vumerity®; Abb. 1) war die Verbesserung der gastrointestinalen Verträglichkeit. In randomisierten kontrollierten (RCT) und Real-World-Studien gehörten gastrointestinale Nebenwirkungen zu den häufigsten unerwünschten Ereignissen unter DMF. In Real-World-Studien gaben bis zu 88 % der Patienten gastrointestinale Nebenwirkungen an. Zugleich waren in den Beobachtungsstudien die Abbruchraten aufgrund von gastrointestinalen Nebenwirkungen höher als in den Zulassungsstudien (5–14 % vs. 3–5 %) [1, 3, 10]. Durch das Hinzufügen einer Ringstruktur an das DMF-Molekül soll eine verbesserte gastrointestinale Verträglichkeit, unter anderem durch eine geringere Bildung von Methanol im Magen und weniger Lokalreaktionen im Gastrointestinaltrakt, erzielt werden [9]. Der aktive Metabolit, Monomethylfumarat (MMF), wird in gleichem Maße aus DRF wie DMF gebildet. Die European Medicines Agency (EMA) akzeptierte die Bioäquivalenz von DRF (462 mg/Tag) gegenüber DMF (240 mg/Tag) [11], deshalb wurde unter der Annahme einer ähnlichen Wirksamkeit wie bei DMF die Zulassung erteilt.

Abb. 1. Diroximelfumarat, Vergleich der Molekülstruktur mit Fumarsäure und Dimethylfumarat

In der Phase-III-Studie EVOLVE-MS-2 wurde die gastrointestinale Verträglichkeit von DRF vs. DMF bei 506 Patienten evaluiert. Unter DRF traten nach fünf Wochen im Vergleich zu DMF weniger gastrointestinale Nebenwirkungen auf (34,8 % vs. 49,0 %). Eine anfallsweise Hautrötung mit Hitzegefühl (Flush) wurde unter DRF in 32,8 % vs. 40,6 % unter DMF beobachtet. Die Abbruchrate aufgrund von Nebenwirkungen betrug 1,6 % vs. 5,6 %. Unter DRF brachen weniger Patienten die Behandlung aufgrund von Nebenwirkungen (1,6 % vs. 5,6 %) oder GI-Nebenwirkungen (0,8 % vs. 4,8 %) ab [8].

Patienten, die an EVOLVE-MS-2 teilnahmen, konnten in die über 96 Wochen laufende offene Phase-III-Studie EVOLVE-MS-1 zur Sicherheit und Wirksamkeit von DRF eingeschlossen werden. Eine Interimsanalyse von 696 Patienten zeigte eine signifikante Reduktion Kontrastmittel-aufnehmender Herde im MRT (77 % vs. Baseline; p < 0,0001). Die Schubrate wurde über zwei Jahre signifikant um 81 % auf 0,013 reduziert (p < 0,0001). Zu Woche 48 waren 93,8 % der Gesamtpopulation frei von einer anhaltenden Behinderungsprogression [7]. Bisher wurden auf der Basis des Sicherheitsprofils von DMF unter DRF keine neue Signale beobachtet. Nach einer mittleren DRF-Exposition von zwei Jahren klagten insgesamt weniger DRF-behandelte Patienten über gastrointestinale Nebenwirkungen (34,8 % vs. 49,0 % unter DMF). Sie waren in rund 80 % der Fälle leicht oder mittelschwer [7].

Blickwinkel aus der Praxis

Auch in der Praxis zeigte sich für DRF als Fumarat der zweiten Generation anhand der vorliegenden Daten insgesamt eine bessere Verträglichkeit und eine geringere Abbruchrate als DMF. Die Therapie mit DRF beeinträchtigt laut Studiendaten die Alltagsaktivitäten deutlich weniger, auch die Anzahl der Fehlstunden am Arbeitsplatz sowie der Gebrauch von Antazida als Zeichen von GI-Unverträglichkeiten waren deutlich niedriger als unter DMF [12]. Zum Einfluss auf die Lebensqualität liegen erst wenige Daten aus EVOLVE-MS 1 und 2 vor. DRF kann unabhängig von einer Mahlzeit eingenommen werden [2]. Im Normalfall sind im ersten Jahr 3-monatliche Laborkontrollen ausreichend [2].

Quelle

Jun.-Prof. Dr. med. Simon Faissner, Bochum, Dr. med. Birte Elias-Hamp, Hamburg, virtuelle Launch-Fachpressekonferenz „Multiple Sklerose – Fumarat-Therapie weitergedacht: Mehr Flexibilität im Alltag“, 8. Dezember 2021, veranstaltet von Biogen GmbH.

Literatur

1. Everage N et al. Safety and effectiveness of delayed-release dimethyl fumarate in multiple sclerosis patients treated in routine medical practice: the first interim analysis of ESTEEM. ECTRIMS 2016; Poster EP1485.

2. Fachinformation Vumerity®, Stand November 2021.

3. Gold R, et al. Long-term effects of delayed-release dimethyl fumarate in multiple sclerosis: Interim analysis of ENDORSE, a randomized extension study. Mult Scler 2017;23:253–65.

4. Gold R, et al. Overall safety and efficacy through 10 years of treatment with delayed-release dimethyl fumarate in patients with relapsing-remitting multiple sclerosis. ACTRIMS/ECTRIMS 2020;Abstract FC02.05

5. Gold R, et al. Long-term safety and efficacy of dimethyl fumarate for up to 13 years in patients with relapsing-remitting multiple sclerosis: Final ENDORSE study results. Mult Scler 2021;(Sep 1):13524585211037909

6. Hemmer B, et al. S2k-Leitlinie, 2021. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.) Online: www.dgn.org/leitlinien (Zugriff am 13.12.201).

7. Naismith RT, et al. Diroximel fumarate (DRF) in patients with relapsing-remitting multiple sclerosis: Interim safety and efficacy results from the phase 3 EVOLVE-MS-1 study. Mult Scler J 2020;26:1729–39.

8. Naismith RT, et al. Diroximel fumarate demonstrates an improved gastrointestinal tolerability profile compared with dimethyl fumarate in patients with relapsing-remitting multiple sclerosis: Results from the randomized, double-blind, phase III EVOLVE-MS-2 study. CNS Drugs 2020;34:1885–99.

9. Palte MJ, et al. Improving the gastrointestinal tolerability of fumaric aAcid esters: Early findings on gastrointestinal events with diroximel fumarate in patients with relapsing-remitting multiple sclerosis from the phase 3, open-label EVOLVE-MS-1 study. Adv Ther 2019;36:3154–65.

10. Sammarco C, et al. Strategies to reduce adverse events related to oral dimethyl fumarate. ECTRIMS 2014; Poster P311.

11. Wehr A, et al. Relative bioavailability of monomethyl fumarate after administration of ALKS 8700 and dimethyl fumarate in healthy subjects. AAN 2018; Poster P403.

12. Wundes A, et al. Improved gastrointestinal profile with diroximel fumarate is associated with a positive impact on quality of life compared with dimethyl fumarate: results from the randomized, double-blind, phase III EVOLVE-MS-2 study. Ther Adv Neurol Disord 2021;14:1756286421993999.

Psychopharmakotherapie 2022; 29(01):33-39