Migräne am Arbeitsplatz

Belastungen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber reduzieren


Christine Vetter, Köln

Noch deutlich unterschätzt werden die gesundheitliche und auch die volkswirtschaftliche Bedeutung der Migräne. Vor allem die Migräne von Arbeitnehmern schränkt deren Produktivität erheblich ein. Dennoch ist die Mehrzahl der Menschen mit Migräne deutlich unterversorgt. Ändern soll das ein spezielles Migräne-Care-Programm, das eigens zur Anwendung in Betrieben konzipiert wurde.

Rund 11,4 % der Menschen in Europa leiden an einer Migräne, die damit eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen darstellt. Am stärksten betroffen sind Menschen im mittleren Lebensalter, also in ihrer produktivsten Lebensphase. Besonders häufig ist die Migräne bei Frauen mit einem Prävalenz-Peak von 24,4 % im Alter zwischen 30 und 39 Jahren. Bei den gleichaltrigen Männern liegt die Prävalenz bei 7,4 %.

Mehr als nur Kopfschmerz

Migräne bedeutet dabei mehr als nur Kopfschmerz: Sehstörungen, Parästhesien und Sprachprobleme können als sogenannte Aura den Kopfschmerzen vorausgehen und ihrerseits bereits die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen. In der Kopfschmerzphase kommen oft eine Photo- und Phonophobie hinzu, Übelkeit und Erbrechen sowie eine Osmophobie und/oder Allodynie. Viele Patienten geben als weitere Beschwerden zudem Schwindel, Müdigkeit, kognitive Probleme sowie eine generalisierte Schwäche an.

Damit ist die Migräne ein bedeutsames Gesundheitsproblem in der Bevölkerung, das neben der persönlichen Belastung und der Einschränkung der Lebensqualität oft die Produktivität im Berufsleben beeinträchtigt – mit enormen sozioökonomischen Folgen: Die durch die Migräne verursachten direkten und indirekten Kosten werden in Deutschland auf 100 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.

Deutliche Unterversorgung

Die besten Behandlungsergebnisse sind durch eine multimodale Kopfschmerztherapie zu erwirken. Sie ist angezeigt bei einer hohen Kopfschmerzfrequenz, einer signifikanten psycho-sozialen Belastung, bei einer unzureichend wirksamen Akuttherapie und auch einer unzureichend wirksamen prophylaktischen Behandlung, bei einem Schmerzmittelübergebrauch und einer Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Migräne.

Dennoch sind überhaupt nur 23,8 % der Betroffenen in ärztlicher Behandlung und nur 11 % der Migränepatienten erhalten ein Triptan. Nur 2,4 % der Patienten mit mindestens fünf Migränetagen im Monat werden mittels einer medikamentösen Prophylaxe behandelt.

Migräne am Arbeitsplatz noch unterschätzt

Vor allem die Folgen der Migräne am Arbeitsplatz werden noch weitgehend unterschätzt. Dabei verpassen Mitarbeiter mit Migräne im Durchschnitt 19,2 Arbeitstage pro Jahr. Viele Betroffene berichten zudem, aufgrund ihrer Probleme mit der Migräne im Arbeitsumfeld stigmatisiert und ausgegrenzt zu werden.

Das Unternehmen Novartis hat in der Schweiz deshalb ein „Migraine Care Program“ entwickelt, das den betroffenen Arbeitnehmern helfen soll, die Belastung durch die Migräne zu minimieren. Mehr als 350 Mitarbeiter haben an dem Projekt, das sechs bis neun Monate umfasst, teilgenommen. Zum Programm gehört eine App, die den Patienten dabei hilft, Migräneanfälle zu verfolgen und die den Patienten sowie ihren Betreuern damit Hinweise auf individuelle Auslöser der Attacken sowie auf das Anfallsmuster liefert. Die Teilnehmer werden außerdem mittels regelmäßiger Coaching-Gespräche mit einer telemedizinischen Assistentin betreut. Das Ziel dabei ist die Besprechung von Verbesserungszielen und die Klärung behandlungsbezogener Fragen.

Das Programm bietet den Teilnehmern somit eine individuelle medizinische Beratung wie auch eine Lebensstilberatung. Dass sich das auszahlt, hat eine offene Beobachtungsstudie zu den Auswirkungen des Pilotprojekts ergeben: Demnach verbesserten sich die Lebensqualität und ebenso die Produktivität der Betroffenen deutlich. Konkret reduzierte sich die krankheitsbedingte Beeinträchtigung nach sechs Monaten um 54 % und nach neun Monaten um 64 %. Im Mittel haben die Teilnehmer zudem in einem Zeitraum von sechs Monaten 10,8 Arbeitstage und 14,5 arbeitsfreie Tage ohne Migräne gewonnen. Neun von zehn der Studienteilnehmer gaben an, dass sie sich insgesamt besser fühlten.

„Migräne muss in alle Köpfe“

Mit der Initiative „Migräne muss in alle Köpfe“ möchte Novartis Deutschland außerdem dazu beitragen, die Situation von Mitarbeitern mit Migräne im Arbeitsumfeld zu verbessern. Nachdem das Programm zunächst im eigenen Unternehmen etabliert wurde, wird es nun auch anderen Arbeitgebern zur Verfügung gestellt.

Zentrale Säule der Initiative „Migräne muss in alle Köpfe“ ist ein Programm zum betrieblichen Gesundheitsmanagement, das für Betriebsärzte und für Personalabteilungen kostenlos umfassende Informations- und Servicematerialien bietet: Dazu gehören Broschüren, die über Ursachen und Symptome der Migräne informieren, ein Leitfaden, der Betroffene beim Gespräch mit ihren Vorgesetzten und ihren Kollegen unterstützt, sowie Informationsmaterial, Newsletter-Bausteine und eine Checkliste für die Gestaltung eines Migräne-freundlichen Arbeitsplatzes mit Ruheraum und ruhiger Arbeitsumgebung, ergonomischen Arbeitsplätzen, einer angepassten Beleuchtung und Lichtverhältnissen sowie gesunden Ernährungsangeboten.

Weitere Services, die im Rahmen des Programms eingesetzt werden können, sind beispielsweise eine Medizin-App mit digitalem Kopfschmerztagebuch und Tipps rund um das Thema Migräne, ein Online-Trainingsprogramm für betroffene Mitarbeiter oder eine Service-Hotline, die Mitarbeiter anonym und kostenlos nutzen können.

Quelle

Dr. Peter Storch, Jena, Leonhard Schätz, Novartis Pharma Basel, Dr. Timo Rimner, Basel, Symposium „Migräne am Arbeitsplatz“, veranstaltet von Novartis im Rahmen der 61. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM), 20. März 2021.

Psychopharmakotherapie 2021; 28(03):131-143