Psychiatrische Notfälle im Rahmen einer Major Depression

Zulassungserweiterung für Esketamin-Nasenspray


Simone Reisdorf, Erfurt

Nach einer Zulassungserweiterung steht Esketamin-Nasenspray nun auch als rasch wirkende Notfalltherapie zur Verfügung: Erlaubt ist seit Kurzem der Einsatz „in Kombination mit einer oralen antidepressiven Therapie zur Behandlung erwachsener Patienten mit einer mittelgradigen bis schweren Episode einer Major Depression als akute Kurzzeitbehandlung zur schnellen Reduktion depressiver Symptome, die nach ärztlichem Ermessen einem psychiatrischen Notfall entsprechen“. Dies ist die zweite Indikation für Esketamin-Nasenspray; schon länger zugelassen ist es als Zusatzbehandlung bei therapieresistenter Depression.

Psychiatrische Notfälle im Rahmen einer Major Depression können sich auf vielfältige Weise manifestieren; in aller Regel bergen sie jedoch ein hohes Risiko für Selbstgefährdung. Die Wirkung der oralen Antidepressiva setzt im Allgemeinen erst nach mehreren Wochen ein. Die Zeit bis dahin stellt eine therapeutische Herausforderung dar.

Seit Kurzem können Psychiater in solchen Notfallsituationen für den Einsatz im stationären Umfeld das deutlich rascher wirksame Esketamin-Nasenspray (Spravato®) verordnen. Die empfohlene Dosis für Erwachsene unter 65 Jahren beträgt in dieser Indikation in der Induktionsphase (Woche eins bis vier) 84 mg zweimal wöchentlich. Bei mangelnder Verträglichkeit sowie bei älteren Patienten sieht die Fachinformation geringere Dosen vor. In der Erhaltungsphase (ggf. ab Woche fünf) sind die Intervalle zwischen den Behandlungstagen länger.

Die Anwendung von Esketamin-Nasenspray bei psychiatrischen Notfällen erfolgt im Rahmen des psychiatrischen Gesamtkonzepts, zusätzlich zur oralen antidepressiven Therapie. Der Patient gibt dabei unter Aufsicht des medizinischen Fachpersonals in jedes Nasenloch einen Sprühstoß des Nasensprays. Beide Sprühstöße zusammen (der Inhalt des gesamten Applikators) entsprechen einer Dosis von 28 mg Esketamin. Der zweite und gegebenenfalls der dritte Applikator werden nach jeweils fünfminütiger Pause ebenfalls vom Patienten unter Aufsicht des medizinischen Fachpersonals angewendet.

Studienpatienten mit hoher Suizidalität

Wirksamkeit und Sicherheit von Esketamin-Nasenspray in der Notfallsituation wurden in den multizentrischen, doppelblinden, randomisierten, Placebo-kontrollierten Phase-III-Studien ASPIRE 1 und ASPIRE 2 untersucht [1, 2]. Daran nahmen insgesamt 456 Patienten von 18 bis 64 Jahren in stationärer Betreuung teil.

Die Patienten litten an einer Major Depression mit akutem, hohem Suizidrisiko – eine Population, die sonst meist von Studien ausgeschlossen ist. Der MADRS(Montgomery-Åsberg depression rating scale)-Gesamtscore musste vor der ersten Applikation > 28 betragen. Tatsächlich lagen die mittleren MADRS-Werte zu Studienbeginn bei 41,1 (ASPIRE 1) bzw. 39,7 (ASPIRE 2). 60 % bzw. 66 % der Patienten hatten früher bereits mindestens einen Suizidversuch unternommen.

Alle Studienteilnehmer wurden gleichmäßig in die Behandlungsarme mit Esketamin 84 mg vs. Placebo randomisiert, jeweils vor dem Hintergrund einer leitliniengerechten antidepressiven Standardtherapie („treatment as usual“, TAU); zudem wurden sie optimal nichtmedikamentös begleitet.

Primärer Endpunkt: signifikante Verringerung der depressiven Symptome nach 24 Stunden

Der primäre Studienendpunkt war die Änderung des MADRS-Gesamtscores zwischen Tag 1 (vor der Gabe) und Tag 2, zum Zeitpunkt 24 Stunden nach der ersten Gabe. Dieser Wert konnte unter Esketamin-Nasenspray plus Standardtherapie vs. Standardtherapie allein („Placebo“)

  • um 16,4 vs. 12,8 Punkte in ASPIRE 1 und
  • um 15,7 vs. 12,4 Punkte in ASPIRE 2

reduziert werden. Damit war das Esketamin-Nasenspray signifikant wirksamer als Placebo (jeweils p = 0,006); der primäre Endpunkt wurde in beiden Studien erreicht.

Ein Unterschied zugunsten von Esketamin-Nasenspray im Vergleich zu Placebo war bereits vier Stunden nach der ersten Gabe zu beobachten und zu fast jedem weiterem Zeitpunkt bis Tag 25 nachweisbar. Sowohl nach vier Stunden als auch nach 24 Stunden und nach 25 Tagen waren mehr Patienten in der Esketamin-Gruppe in Remission (MADRS-Gesamtscore ≤ 12) als in der Vergleichsgruppe.

Sekundärer Endpunkt: Suizidalität in beiden Therapieregimen reduziert

Die Suizidalität, gemessen am CGI-SS-r (Clinical global impression of severity of suicidality, revised version), verminderte sich jeweils in beiden Studienarmen, ohne dass ein signifikanter Unterschied gefunden wurde. Es wird vermutet, dass die optimierte Standardtherapie (medikamentös und nichtmedikamentös) einen hohen Placebo-Effekt erbracht hat, sodass auch die Kontrollgruppe deutlich profitieren konnte. Der sekundäre Endpunkt „Suizidgedanken“ laut MADRS-Item 10 zeigt indes in beiden Studien sowie in der gepoolten Analyse vier Stunden nach der ersten Gabe einen signifikanten Vorteil in der Esketamin-Gruppe vs. Placebo.

Esketamin-Nasenspray in der Regel gut verträglich

Die häufigsten unerwünschten Effekte waren Schwindel, Dissoziation, Übelkeit, Kopfschmerz, Somnolenz, erhöhter Blutdruck und Dysgeusie. Diese waren in der Regel transient und traten vor allem in den ersten Stunden nach der Applikation auf. Die Häufigkeit schwerer unerwünschter Effekte war zwischen den Studienarmen nicht unterschiedlich (im Placebo-Arm numerisch höher). Innerhalb der doppelblinden Behandlungsphase kam es zu keinem Todesfall. Die Therapiesicherheit in den Studien stimmte mit dem bisher bekannten Sicherheitsprofil von Esketamin überein.

Fazit: rasche, signifikante und klinisch bedeutsame Reduktion depressiver Symptome

Unter der Behandlung mit Esketamin-Nasenspray fand sich im Vergleich zu Placebo, jeweils vor dem Hintergrund einer antidepressiven Standardbehandlung, eine signifikante und klinisch bedeutsame Reduktion depressiver Symptome. Schon nach vier Stunden und über die gesamte doppelblinde Behandlungsphase bis Tag 25 wurde in den Verum-Gruppen eine (mindestens) numerische Reduktion der Depressionssymptome im Vergleich zu den Kontrollgruppen beobachtet. Die Verträglichkeit entsprach dem bekannten Sicherheitsprofil von Esketamin. Die Häufigkeit von Studienabbrüchen wegen unerwünschter Effekte war unter Esketamin-Nasenspray vs. Placebo ähnlich. Damit steht für eine bisher kaum untersuchte und schwer betroffene Patientengruppe eine neue Therapieoption zur Verfügung; diese sollte in ein psychiatrisches Gesamtkonzept eingebettet sein.

Quelle

Priv.-Doz. Dr. med. Ute Lewitzka, Dresden, Prof. Dr. med. Andreas Reif, Frankfurt/Main; virtuelle SPRAVATO® Launch-Pressekonferenz „Neue Zulassung von Esketamin Nasenspray zur akuten Kurzzeitbehandlung depressiver Symptome bei einem psychiatrischen Notfall – Vorstellung der Daten“, 17. Februar 2021, veranstaltet von Janssen.

Literatur

1. Fu DJ, et al. Esketamine nasal spray for rapid reduction of major depressive disorder symptoms in patients who have active suicidal ideation with intent: Double blind randomised study (ASPIRE I). J Clin Psychiatry 2020;81:19m13191.

2. Ionescu DF, et al. Esketamine nasal spray for rapid reduction of depressive symptoms in patients with major depressive disorder who have active suicide ideation with intent: Results of a phase 3, double-blind, randomized study (ASPIRE II). Int J Neuropsychopharmacol 2021;24:22–31.

Psychopharmakotherapie 2021; 28(02):86-91