Dravet-Syndrom

Verringerung der Anfallsfrequenz durch Add-on-Therapie mit Fenfluramin


Dr. Heike Oberpichler-Schwenk, Stuttgart

Die Add-on-Therapie mit dem Amphetamin-Abkömmling Fenfluramin verringerte in zwei randomisierten, Placebo-kontrollierten klinischen Studien die Anfallsfrequenz bei Kindern und Jugendlichen mit Dravet-Sydrom, die unter einer stabilen antiepileptischen Therapie keine vollständige Anfallskontrolle aufwiesen. Hinsichtlich der kardiovaskulären Sicherheit von Fenfluramin sind noch längerfristige Studien erforderlich.

Das Dravet-Syndrom ist eine seltene schwere Epilepsieform, die bereits im frühen Kindesalter auftritt. Trotz antikonvulsiver Therapie leiden die Patienten unter häufigen Krampfanfällen. Zur medikamentösen Behandlung explizit zugelassen sind Stiripentol (als Zusatztherapie in Verbindung mit Clobazam und Valproinsäure) und Cannabidiol (als Zusatztherapie in Verbindung mit Clobazam).

Fenfluramin ist ein fluorierter Amphetamin-Abkömmling ohne psychostimulierende Wirkung. Unter anderem wirkt es indirekt serotonerg, indem es Serotonin aus Speichervesikeln freisetzt. Fenfluramin wurde in den 90er-Jahren in Dosierungen bis 160 mg/Tag als Appetitzügler eingesetzt, aber 1997 wegen gravierender Nebenwirkungen (pulmonale Hypertonie, Herzklappenschäden) vom Markt genommen [5]. Klinische Beobachtungen legten eine antikonvulsive Wirkung von Fenfluramin nahe. Dies wurde daraufhin seit einigen Jahren von der FAiRE(Fenfluramine assessment in rare epilepsy)-Studiengruppe systematisch untersucht. Die gewählten Dosierungen lagen dabei deutlich niedriger als beim Einsatz als Anorektikum.

Add-on zu stabiler antikonvulsiver Therapie

In den USA/Kanada sowie in Westeuropa und Australien wurden zwei identische multizentrische, randomisierte, Placebo-kontrollierte Doppelblindstudien durchgeführt, die wegen jeweils unvollständiger Rekrutierung gepoolt ausgewertet wurden [3]. Insgesamt wurden 119 Kinder und Jugendliche (im Durchschnitt 9,0 Jahre alt) mit Dravet-Syndrom aufgenommen. Unter der bestehenden antikonvulsiven Therapie, die auch ketogene Diät oder Vagusnervstimulation beinhalten konnte und für die Dauer der Studie beibehalten werden sollte, wiesen sie noch mindestens vier Krampfanfälle pro vier Wochen auf. Die bestehende Therapie durfte weder Carbamazepin, Oxcarbazepin, Eslicarbazepin, Phenobarbital oder Phenytoin noch Stiripentol oder Cannabidiol enthalten.

Die Studienteilnehmer wurden 1 : 1 : 1 randomisiert und erhielten täglich 0,7 mg/kg Fenfluramin (in Form von 0,8 mg/kg Fenfluraminhydrochlorid; n = 40), 0,2 mg/kg Fenfluramin (n = 39) oder Placebo (n = 40) als wässrige Lösung oral, verteilt auf zwei Einnahmezeitpunkte. Primärer Endpunkt war die Veränderung der monatlichen Frequenz von Krampfanfällen nach 14 Wochen in der 0,7-mg/kg-Gruppe im Vergleich zu Placebo. Der Ausgangswert war zuvor in einer sechswöchigen Beobachtungsphase ermittelt worden. Die Anfälle wurden von Eltern oder Pflegepersonal in einem elektronischen Tagebuch dokumentiert.

Die monatliche Anfallsfrequenz sank um

  • 74,9 % unter 0,7 mg/kg Fenfluramin (von median 20,7 auf 4,7 pro 4 Wochen)
  • 42,3 % unter 0,2 mg/kg Fenfluramin (von median 17,5 auf 12,6)
  • 19,2 % unter Placebo (von median 27,3 auf 22,0)

Die Gabe von 0,7 mg/kg Fenfluramin führte somit zu einer um 62,3 % stärkeren Reduktion der monatlichen Anfallsfrequenz als Placebo (95%-Konfidenzintervall [KI] 47,7–72,8; p < 0,0001). Für 0,2 mg/kg Fenfluramin betrug der Vorteil 32,4 % (95%-KI 6,2–52,3; p = 0,0209).

Die häufigsten Nebenwirkungen waren verminderter Appetit, Diarrhö, Fatigue, Lethargie, Somnolenz und Gewichtsabnahme. Echokardiographische Kontrollen ergaben Herzklappenfunktionen im Normbereich; es gab keine Anzeichen für Lungenhochdruck.

Add-on zu stabiler, Stiripentol-haltiger Therapie

Stiripentol hemmt mehrere Cytochrom-P450-(CYP-)Enzyme und verlangsamt dadurch die Elimination von Fenfluramin [1]. Vor diesem Hintergrund wurde die Add-on-Therapie bei Patienten mit einer Stiripentol-haltigen antikonvulsiven Therapie mit einer reduzierten Fenfluramin-Dosis untersucht [4].

An der multizentrischen, randomisierten, Placebo-kontrollierten Doppelblindstudie nahmen 87 Kinder und Jugendliche mit Dravet-Syndrom teil. Sie erhielten nach einer dreiwöchigen Titrationsphase zwölf Wochen lang täglich 0,4 mg/kg (max. 17 mg) Fenfluramin (n = 43) oder Placebo (n = 44). Vor Studienbeginn nahmen die meisten Patienten drei oder vier Antikonvulsiva, neben Stiripentol am häufigsten Clobazam und Valproinsäure, entsprechend den Zulassungskriterien für Stiripentol. Unter dieser Therapie hatten sie pro Monat im Mittel 27,9 (median 14,0) beziehungsweise 21,6 (median 10,7) Krampfanfälle in der Fenfluramin- bzw. Placebo-Gruppe.

Die monatliche Frequenz von Krampfanfällen sank unter Fenfluramin im Median um 63,1 %, unter Placebo um 1,1 %. Im Vergleich mit Placebo nahm die monatliche Anfallsfrequenz unter Fenfluramin um 54,0 % stärker ab (95%-KI 35,6–67,2; p < 0,001; primärer Endpunkt). Eine Abnahme der monatlichen Anfallsfrequenz um mindestens 50 % erreichten mit Fenfluramin 23 Patienten, mit Placebo 2 Patienten (Odds-Ratio 26,0; p < 0,001).

Die häufigsten Nebenwirkungen der Fenfluramin-Behandlung waren verminderter Appetit, Fatigue, Diarrhö und Fieber. Echokardiographische Kontrollen ergaben auch hier Herzklappenfunktionen im Normbereich und es gab keine Anzeichen für Lungenhochdruck.

Fazit

Eine Add-on-Therapie mit Fenfluramin führte bei Patienten mit Dravet-Syndrom zu einer deutlichen Reduktion von Krampfanfällen. Dies, aber auch Nebenwirkungen wie der verminderte Appetit wären geeignet, eine Entblindung der Studienmedikation zu bewirken. Nabbout et al. erwähnen allerdings, dass Post-hoc-Analysen keine entsprechenden Hinweise ergaben. Die Studien ergaben auch keine Hinweise auf kardiovaskuläre Risiken; diesbezüglich sind aber noch längerfristige Studien erforderlich. Diese Einschätzung teilt offenbar auch der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der European Medicines Agency: Die kürzlich erfolgte Zulassungsempfehlung sieht vor, dass die Anwendung von Fenfluramin bei Patienten mit Dravet-Syndrom regelmäßige echokardiographische Kontrollen erfordert [2].

Der Einsatz von Fenfluramin bei Lennox-Gastaut-Syndrom wird ebenfalls klinisch geprüft.

Literatur

1. Boyd B, et al. A phase I, randomized, open-label, single-dose, 3-period crossover study to evaluate the drug-drug interaction between ZX008 (fenfluramine HCl oral solution) and a regimen of stiripentol, clobazam, and valproate in healthy subjects. Int J Clin Pharmacol Ther 2019;57:11–9.

2. European Medicines Agency: EMA/CHMP/510338/2020. Summary of opinion Fintepla. https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/summaries-opinion/fintepla (Zugriff am 30.10.2020).

3. Lagae L, et al.; FAiRE DS Study Group. Fenfluramine hydrochloride for the treatment of seizures in Dravet syndrome: a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet 2019;394:2243–54.

4. Nabbout R, et al.; FAiRE, DS Study Group. Fenfluramine for treatment-resistant seizures in patients with Dravet syndrome receiving stiripentol-inclusive regimens. A randomized clinical trial. JAMA Neurol 2020;77:300–8.

5. Rückruf von Ponderax® (Fenfluramin) und Isomeride® (Dexfenfluramin). Mitteilung der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Dtsch Arztebl 1997;42:94.

Psychopharmakotherapie 2020; 27(06):314-321