Zerebrale Blutung

Nutzen und Risiko von SSRI zur Behandlung von Depressionen nach zerebralen Blutungen


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
Die Einnahme von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) nach einer intrazerebralen Blutung ist mit einer Verbesserung der depressiven Symptomatik, aber auch mit einem erhöhten Risiko für ein Blutungsrezidiv verbunden. Das ergab die Post-hoc-Analyse von Patientendaten eines großen Krankenhauses in Boston, Massachusetts.

Nach Schlaganfällen kommt es häufig zu einer Depression. SSRI werden dann zur Behandlung eingesetzt. Der Einsatz von SSRI geht allerdings mit einem erhöhten Risiko von intrazerebralen Blutungen einher. SSRI hemmen die Thrombozytenfunktion. Die Entscheidung, Patienten mit intrazerebralen Blutungen mit SSRI zu behandeln, muss daher die potenziellen Risiken eines Rezidivs der intrazerebralen Blutung mit dem möglichen Nutzen bezüglich einer Besserung der depressiven Symptome abwägen.

Studiendesign

Es handelt sich um eine Post-hoc-Analyse einer Längsschnittstudie an Patienten mit intrazerebralen Blutungen aus Boston, USA, im Zeitraum von Januar 2006 bis Dezember 2017, mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 53,2 Monaten. Die Studie umfasste 1279 Personen. Erfasst wurde, ob eine Depression vorlag und ob diese mit SSRI behandelt wurde, sowie die Häufigkeit einer erneuten intrazerebralen Blutung und die Zahl der Patienten, bei denen sich eine Depression verbesserte. In der univariablen und multivariablen Analyse für das Rezidivrisiko einer intrazerebralen Blutung und den Schweregrad der Depression wurden die folgenden Variablen berücksichtigt: lobäre Blutung, Vorhandensein der Genvarianten des Apolipoproteins ε2/ε4 und Vorgeschichte einer intrazerebralen Blutung, einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) oder eines ischämischen Schlaganfalls.

Ergebnisse

Für die Auswertung standen Daten von 1279 Personen zur Verfügung. Das mittlere Alter betrug 71,3 Jahre. 239 Patienten (19 %) hatten bereits in der Vorgeschichte unter einer Depression gelitten. 47 % der Blutungen waren lobäre Blutungen. Bei 281 Patienten (22 %) wurden nach der intrazerebralen Blutung SSRI eingesetzt, wobei es sich in 111 Fällen um die Fortsetzung einer bestehenden SSRI-Behandlung und in 170 Fällen um eine neu angesetzte Therapie handelte.

In der multivariablen Analyse war die SSRI-Einnahme sowohl mit einer Rezidivblutung (Hazard-Ratio [HR] 1,31; 95%-Konfidenzintervall [KI] 1,08–1,59) als auch mit einer Besserung einer Depression nach der intrazerebralen Blutung assoziiert (HR 1,53; 95%-KI 1,12–2,09). Mit dem Risiko einer erneuten intrazerebralen Blutung assoziiert waren, neben der Einnahme von SSRI, eine frühere intrazerebrale Blutung und eine lobäre Lokalisation der Indexblutung. Für die Besserung der Depression fand sich eine Assoziation mit einer früheren intrazerebralen Blutung, einer früher bestehenden Depression und der Einnahme von SSRI. Der APO-ε2/ε4-Status spielte nur eine untergeordnete Rolle.

Kommentar

Die in Boston erhobenen Daten lassen den Schlaganfallneurologen ratlos zurück. Die Behandlung einer Depression nach einer intrazerebralen Blutung mit SSRI hat einen positiven Einfluss auf die Depression selbst, geht aber mit einem erhöhten Risiko für eine erneute zerebrale Blutung einher. Bei Durchsicht der multivariablen Analyse finden sich keine Faktoren, die zwischen dem positiven Nutzen und dem erhöhten Risiko differenzieren würden. Bei Patienten, die eine zerebrale Blutung erlitten haben und langfristig wegen anderer vaskulärer Erkrankungen Thrombozytenfunktionshemmer einnehmen müssen, sollten auf jeden Fall SSRI zur Behandlung einer Depression vermieden werden. Es gibt durchaus Antidepressiva wie die trizyklischen Antidepressiva, die keinen Einfluss auf das Gerinnungssystem haben.

Quelle

Kubiszewski P, et al. Association of selective serotonin reuptake inhibitor use after intracerebral hemorrhage with hemorrhage recurrence and depression severity. JAMA Neurol published online August 31, 2020; doi:10.1001/jamaneurol.2020.3142.

Psychopharmakotherapie 2020; 27(06):314-321