Neurodegenerative Erkrankungen

Fingolimod im Tierversuch erfolgreich


Dr. Barbara Kreutzkamp, Hamburg

Für die Behandlung von neurodegenerativen Erkrankungen stehen meist nur wenige und überwiegend symptomatisch wirksame Medikamente zur Verfügung. Bei vielen dieser Krankheitsbilder hat sich nun der Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptoragonist Fingolimod im jeweils krankheitsspezifischen Tierversuch als effektiv erwiesen. Die bei schubförmig remittierender multipler Sklerose bereits zugelassene Substanz könnte deshalb rasch in klinischen Studien überprüft werden.

Fingolimod ist ein oral applizierbarer Sphingosin-1-Phosphat(S1P)-Rezeptoragonist. Über die Interaktion mit S1P-Rezeptoren auf verschiedenen Immunzellen hat die Substanz deutliche antientzündlich-immunmodulierende Effekte, darüber hinaus kommen aufgrund der Expression von S1P-Rezeptoren auch auf neuronalen und endothelialen Zellen sowie der Bindung von Fingolimod an weitere SP-Rezeptor-Subtypen viele weitere Effekte vor allem am Nervensystem zum Tragen.

Zugelassen ist Fingolimod seit 2010 für die Behandlung der schubförmig remittierenden multiplen Sklerose (RRMS). Eine Übersichtsarbeit stellt Effekte von Fingolimod in Tiermodellen für verschiedene neurodegenerative Erkrankungen vor.

Untersuchte Krankheitsbilder

In verschiedenen-Mausmodellen zur amyotrophen Lateralsklerose (ALS) zeigte Fingolimod krankheitsmodifizierende Effekte unter anderem in Form einer Modulation der Neuroinflammation sowie eine Verbesserung bei Symptomen und Überlebensrate. Eine 2017 durchgeführte Phase-IIa-Studie ergab insgesamt eine gute Sicherheit und Verträglichkeit von Fingolimod bei ALS-Patienten – zumindest in der kurzfristigen Perspektive.

In der Behandlung der Alzheimer-Krankheit (AD) könnte Fingolimod aufgrund seiner hemmenden Effekte auf den Ceramid-Stoffwechsel therapeutische Effekte entfalten. Tierversuche haben nämlich gezeigt, dass Ceramid-reiche Exosomen in Serum und Gehirn möglicherweise die Amyloid-beta-Neurotoxizität verstärken. Zusätzlich könnten sich auch die Dämpfung von Neuroinflammation und Neuronenverlust sowie neuroprotektive Effekte positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken.

Die Hemmung von Neuroinflammation und die Steigerung der Neurogenese könnten Fingolimod auch für die Kausalbehandlung der Epilepsie interessant machen. Bei Ratten und Mäusen reduzierte Fingolimod epilepsieartige Symptome.

Im Tiermodell simulierte Symptome von Chorea Huntington wie motorische Funktionsstörungen und Gedächtnisprobleme lassen sich verbessern, die Hirnatrophie wird verlangsamt und das Überleben verlängert. In präklinischen Untersuchungen hemmte Fingolimod die Huntingtin-Aggregation und Neuroinflammation und stimulierte die Neurogenese.

Die häufigste Ursache für das genetisch bedingte Rett-Syndrom ist eine X-Chromosom-verbundene Mutation des Methyl-CpG-binding-protein 2(Mecp2)-Gens, durch die unter anderem die BDNF-Synthese gestört ist. Fingolimod entfaltete im Rett-Syndrom-Mausmodell neben seinen allgemeinen neuroprotektiven Effekten auch spezifische Wirkungen. So stiegen die BDNF-Spiegel im Kortex und das Gewicht des Striatums wieder an, verbunden mit einer Verbesserung der Motorik. Derzeit läuft bereits unter dem Namen FINGORETT eine klinische Studie zur Sicherheit und Wirksamkeit von oralem Fingolimod bei Kindern mit Rett-Syndrom.

Fazit der Autoren

Die pharmakologischen Effekte, die der S1P-Agonist Fingolimod in Tierversuchen zeigt, machen die Substanz zu einem interessanten Zielmolekül für die Behandlung zahlreicher neurodegenerativer Erkrankungen. Neben antiinflammatorischen Eigenschaften, die bereits zur Zulassung von Fingolimod bei der RRMS geführt haben, trägt wohl vor allem der regulierende Einfluss auf die Sphingolipid-Biosynthese zu den experimentell nachgewiesenen neuroprotektiven und Neurogenese-stimulierenden Wirkungen bei.

In Tiermodellen zu ALS, Alzheimer- und Parkinson-Erkrankung, Chorea Huntington, Epilepsie und Rett-Syndrom ließen sich allgemein neuroprotektive wie auch entitätsspezifische Effekte dokumentieren, die eine weitere klinische Untersuchung rechtfertigen, schreiben die Autoren. Aufgrund der Zulassung bei der RRMS würden die aufwendigen präklinischen Untersuchungen, beispielsweise zu Pharmakokinetik und Sicherheit, entfallen.

Allerdings dürfen auch die Nebenwirkungen nicht vernachlässigt werden. Dazu gehören Bradykardie nach Einnahme der ersten Dosis, Lymphopenie, Transaminasenanstieg, Herpes und andere Virusinfektionen sowie Hypertonie. Hier müsste dann in jeder Indikation und bei jeder Zielpopulation das Nutzen-Risiko-Verhältnis untersucht und abgewogen werden.

Quelle

Bascunana P, et al. Fingolimod as a treatment in neurologic disorders beyond multiple sclerosis. Drugs in R&D 2020;20:197–207.

Psychopharmakotherapie 2020; 27(06):314-321