Covid-19-Pandemie – Therapie mit Psychopharmaka?


Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Gerd Laux, Soyen/Waldkraiburg/München

Psychische Belastungen durch die Covid-19-Pandemie werden zunehmend thematisiert: Die pandemische Stressreaktion führe zu erhöhten Belastungen durch Angst und Depression, auch mit erhöhten Suizidraten müsse gerechnet werden (Dtsch Ärzteblatt 2020;117:2049; Bering & Eichenberg: Die Psyche in Zeiten der Corona-Krise. Klett-Cotta Stuttgart 2020). Psychosoziales Krisenmanagement und psychosoziale Notfallversorgung seien vor allem für vulnerable Zielgruppen dringend vonnöten. Es bestehe dringender Forschungsbedarf an den bio-psychosozialen Folgen und Auswirkungen von Isolationsmaßnahmen. Bio-psychosozial? Mir sind bislang keine Daten und Studien zum Einsatz von Antidepressiva bei Patienten mit Corona-Infektion bzw. -Erkrankung bekannt. Gibt es krankheitsstadienabhängig pharmakokinetische, pharmakodynamische Unterschiede, wann ist klinisch mit einem Wirkungseintritt zu rechnen, wie sind Interaktionen mit den zur Covid-19-Therapie verordneten Medikamenten? Hintergrund wäre zusätzlich der Befund, dass Fluoxetin in niedrigen Dosen in vitro SARS-CoV-2 hemmt …

Berufspolitisch steht ja die Psychopharmakotherapie nicht mehr im Zentrum unseres Fachgebiets. Die Folgen werden immer deutlicher: Psychologische Psychotherapeuten wollen wie in anderen Ländern Psychopharmaka verordnen können, in der Übersicht von Baumann et al. wird aus Schweizer Sicht die Optimierung der ambulanten Versorgung durch neue Formen des Zusammenwirkens von Ärzten und Apothekern vorgestellt. Gerade eine Psychopharmakotherapie verlange nach einer zielführenden Kommunikation zwischen verschreibenden Spezialisten und abgebenden Instanzen. In Apotheken sollten deshalb separate Beratungsräume eingerichtet werden. In naher Zukunft werde sich ein weiterer Partner am Prozess der Verschreibung von Medikamenten beteiligen – in einigen Ländern verfügen Pflegeexperten (Advanced Practice Nurse, APN) bereits über die Kompetenz, Medikamente zu verschreiben. Geben also Psychiater ihre Kernkompetenz in der Psychopharmakologie und der Pharmakotherapie auf?

Die Originalarbeit von Preuße et al. befasst sich mit dem wichtigen Thema der Polypharmazie – sie ist der wichtigste Indikator für Komplikationsrisiken in der stationären Akutbehandlung. Dies wurde mit einer Studie in einer großen Psychiatrischen Fachklinik anhand der Daten von 1000 ausgewerteten Demenz-Patienten bestätigt. Bei Verordnung von mehr als drei Psychopharmaka war das kardiale Komplikationsrisiko signifikant erhöht, die Kombination aus Antidepressivum und Antipsychotikum erhöhte deutlich das kardiale Risiko. Auch schwere pulmonale Infekte zählten zu den häufigsten Komplikationen.

Im Diskussionsforum widmen wir uns erneut dem Thema AMNOG. Bamberger stellt aus österreichischer Sicht dar, dass neu zugelassene Arzneimittel in den Medien vor allem im Kontext hoher Kosten oder in Bezug auf Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung medial erwähnt werden. In den Indikationsgebieten Neurologie und Psychiatrie sei der Anteil von Arzneimitteln mit bestätigtem Zusatznutzen besonders niedrig. Sie führt aus, ob tatsächlich neue Arzneimittel in unserem Fachgebiet den Patienten keinen Mehrwert bieten, und plädiert für neue Studiendesigns und Evidenzanforderungen sowie patientenrelevante Endpunkte. Ein nicht belegter Zusatznutzen dürfe nicht mit fehlendem Patientennutzen gleichgesetzt werden.

Unsere Weiterbildungsserie Psychopharmakologie/Psychopharmakotherapie endet mit Teil 15, Dietmaier und Laux fassen Kombinationstherapien und Interaktionen zusammen. In Kürze werden diese 15 Teile als Buch zusammengefasst erscheinen. Am 15.11.2020 endete nach fünf Jahren die Gültigkeit der S3-Leitlinie/Nationalen Versorgungsleitlinie Unipolare Depression. Unser brandneues, aktuelles Buch kann hier vielleicht eine Lücke ausfüllen.

Wie immer wird das Heft abgerundet durch Referate und Kommentare, hier möchte ich vor allem auf neue Daten zu Tranylcypromin bei therapieresistenten Depressionen und die Daten einer großen US-amerikanischen Studie zu Nutzen und Risiko von SSRIs zur Behandlung von Depressionen nach zerebralen Blutungen hinweisen. In Zeiten des Lockdowns empfiehlt sich auch die in der Buchbesprechung dargestellte Lektüre des Buches „Leuchttürme – erfolgreiche Arzneimittelforscher im 20. Jahrhundert“.

Dieser PPT-Jahrgang 2020, das sicherlich als Corona-Jahr in die Geschichtsbücher eingehen wird, schließt mit Dank an die treue Leserschaft und der Hoffnung, dass 2021 eine positive Entwicklung in anderem Sinne nimmt.

Psychopharmakotherapie 2020; 27(06):269-269