Therapie der schubförmigen multiplen Sklerose

Fingolimod in halber Dosis zur Schubprophylaxe


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
Bei erwachsenen Patienten mit schubförmig remittierender multipler Sklerose zeigte in einer randomisierten Studie Fingolimod 0,5 mg (einmal täglich oral) eine überlegene klinische Wirksamkeit im Vergleich zu Glatirameracetat 20 mg (einmal wöchentlich s. c.). Fingolimod 0,5 mg hatte ein besseres Nutzen-Risiko-Profil im Vergleich zu Fingolimod 0,25 mg (einmal täglich oral).

Viele Patienten mit schubförmig remittierender multipler Sklerose (RRMS) benötigen eine immunmodulatorische Therapie zur Schubprophylaxe. Als erste Substanz wurde 1993 Interferon beta-1b eingeführt. In der Folgezeit wurde dann eine Vielzahl von Substanzen entwickelt und zugelassen. Fingolimod, ein Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptormodulator, war die erste immunmodulatorische Therapie, die in oraler Form zur Verfügung stand. In den Zulassungsstudien betrug die jährliche Reduktion der Schubrate der MS zwischen 48 % und 55 %. Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA schlug allerdings der Firma Novartis vor, auch niedrigere Dosierungen von Fingolimod als 0,5 mg täglich zu untersuchen. Da derzeit bei wirksamen Therapien Placebo-kontrollierte Studien medizinethisch nicht mehr gerechtfertigt sind, wurde empfohlen, 0,25 mg Fingolimod mit 0,5 mg Fingolimod und einer weiteren immunmodulatorischen Therapie, Glatirameracetat, zu vergleichen.

Studiendesign

Die MS Study Evaluating Safety and Efficacy of Two Doses of Fingolimod Versus Copaxone (ASSESS) war eine multizentrische randomisierte, Rater- und Dosis-verblindete klinische Phase-IIIb-Studie, die zwischen August 2012 und April 2018 durchgeführt wurde. Die Studienteilnehmer, Patienten im Alter von 18 bis 65 Jahren mit schubförmig remittierender multipler Sklerose, hatten mindestens einen dokumentierten MS-Schub im Vorjahr oder zwei dokumentierte Schübe in den letzten zwei Jahren und einen Score auf der Expanded Disability Status Scale (EDSS) von 0 bis 6. Sie erhielten bis zu 12 Monate lang täglich 0,25 mg oder 0,5 mg Fingolimod oral oder 20 mg Glatirameracetat subkutan.

Die potenzielle Überlegenheit der beiden Fingolimod-Dosierungen wurde hierarchisch getestet. Zuerst wurde Fingolimod 0,5 mg mit Glatirameracetat 20 mg verglichen. Dann folgte die Auswertung von Fingolimod 0,25 mg gegenüber Glatirameracetat 20 mg. Der primäre Endpunkt der Studie war die Reduktion der jährlichen Schubrate. Außerdem wurden die Ergebnisse der Magnetresonanztomographien sowie Sicherheit und Verträglichkeit untersucht.

Ergebnisse

Von 1461 gescreenten erwachsenen MS-Patienten wurden 1064 Teilnehmer (72,8 %) randomisiert. Das mittlere Alter betrug 39,6 Jahre und 792 Teilnehmer waren Frauen (74,4 %). 352 Teilnehmer erhielten Fingolimod 0,5 mg, 370 Teilnehmer erhielten Fingolimod 0,25 mg und 342 Teilnehmer erhielten Glatirameracetat 20 mg. Insgesamt schlossen 859 Teilnehmer (80,7 %) die Studie ab.

Die Behandlung mit Fingolimod 0,5 mg war der Behandlung mit Glatirameracetat 20 mg bei der Reduktion der jährlichen Schubrate überlegen. Die jährliche Schubrate betrug 0,15 mit Fingolimod und 0,26 mit Glatirameracetat. Dies entspricht einer relativen Risikoreduktion von 40,7 % (p = 0,01). Die relative Reduktion für Fingolimod 0,25 mg (jährliche Schubrate 0,22) im Vergleich zu Glatirameracetat betrug 14,6 % und war statistisch nicht signifikant. Die Behandlung mit beiden Fingolimod-Dosierungen (0,5 mg und 0,25 mg) führte im Vergleich zur Behandlung mit Glatirameracetat zu einer signifikanten Reduktion neuer oder vergrößerter T2- und Gadolinium-aufnehmender T1-Läsionen in der Kernspintomographie.

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen waren zwischen den drei Therapiegruppen vergleichbar. Sie betrafen 312 Teilnehmer (90,4 %) in der Fingolimod-0,5-mg-Gruppe, 323 Teilnehmer (88,3 %) in der Fingolimod-0,25-mg-Gruppe und 283 Teilnehmer (87,3 %) in der Glatirameracetat-Gruppe. Kopfschmerzen und Müdigkeit waren unter Fingolimod häufiger als unter Glatirameracetat.

Kommentar

Die Studie zeigt eine Überlegenheit der höheren Dosis von Fingolimod (0,5 mg) im Vergleich zu Glatirameracetat bei Patienten mit schubförmiger multipler Sklerose. Die niedrigere Dosis von Fingolimod unterschied sich bezüglich der Wirksamkeit nicht von Glatirameracetat. Bei der Erstgabe von Fingolimod müssen die Patienten für einige Stunden überwacht werden, da es zu Herzrhythmusstörungen und Bradykardien kommen kann. Fünf der 343 Patienten in der Gruppe mit der höheren Fingolimod-Dosis mussten eine Nacht zur Überwachung im Krankenhaus bleiben. Wie in allen anderen Studien mit Fingolimod wurde auch hier eine Reduktion der Lymphozyten beobachtet. Es gab allerdings keinen Bezug zwischen der Reduktion der Lymphozyten und einer erhöhten Rate von Infektionen.

Die Studie hatte eine Reihe von methodischen Problemen. Bezüglich der Therapie war die Studie nicht verblindet, da es den Teilnehmern nicht zuzumuten war, täglich Placebo subkutan zu injizieren. Die Rekrutierung verlief sehr langsam und die Studie erreichte nicht die ursprünglich angestrebte Patientenzahl.

Fingolimod war bezüglich der meisten MR-Parameter besser wirksam als Glatirameracetat. Dies war allerdings nicht der Fall für die Reduktion des Hirnvolumens. Bezüglich Verträglichkeit und Sicherheit ergaben sich keine Unterschiede zu den zuvor durchgeführten Zulassungsstudien für Fingolimod und Glatirameracetat.

Quelle

Cree BAC, et al.; for the ASSESS trial investigators. Efficacy and safety of 2 fingolimod doses vs glatiramer acetate for the treatment of patients with relapsing-remitting multiple sclerosis: A randomized clinical trial. JAMA Neurol 2020; doi:10.1001/jamaneurol.2020.2950.

Psychopharmakotherapie 2020; 27(05):258-267