Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung (NMOSD)

Satralizumab zur Behandlung der NMOSD im Placebo-Vergleich


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
Satralizumab, ein monoklonaler Antikörper gegen den Interleukin-6-Rezeptor, reduzierte die Schubrate der Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung (NMOSD) signifikant besser als eine Behandlung mit Placebo.

Die Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung ist eine autoimmun vermittelte neurologische Erkrankung, die vorwiegend die Sehnerven und das Rückenmark befällt. In Einzelfällen kann es auch zu einer Manifestation im Hirnstamm kommen. Die Erkrankung unterscheidet sich in ihrer Pathophysiologie von der multiplen Sklerose. Bei über 80 % aller Patienten mit NMOSD lassen sich Autoantikörper gegen den Aquaporin-4(AQP-4)-Wasserkanal (AQP4-IgG) nachweisen.

Interleukin 6 (IL-6) wird eine Schlüsselrolle in der Pathophysiologie der NMOSD zugeschrieben. IL-6 fördert die Differenzierung von naiven T-Zellen zu entzündlichen T-Helfer-17-Zellen, die in Anwesenheit von IL-6 die Differenzierung von B-Zellen zu Plasmazellen anregen, die AQP4-IgG produzieren: IL-6 erhöht die Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke, sodass es zu einer Penetration von AQP4-IgG und proinflammatorischen Zellen in das ZNS kommt. Satralizumab ist ein subkutan verabreichter, humanisierter monoklonaler Antikörper, der an membrangebundene und lösliche IL-6-Rezeptoren bindet.

Studiendesign

Die doppelblinde, Placebo-kontrollierte Phase-III-Studie SAkuraStar wurde in 13 Ländern durchgeführt. Eingeschlossen wurden erwachsene AQP4-IgG-seropositive oder -seronegative NMSOD-Patienten im Alter von 18 bis 74 Jahren. Die Studienteilnehmer hatten in den letzten 12 Monaten mindestens einen dokumentierten NMOSD-Schub oder einen Rückfall erlitten und hatten eine Punktzahl von 6,5 oder weniger auf der Expanded Disability Status Scale (EDSS). Die Studienteilnehmer erhielten nach dem Zufallsprinzip (2 : 1) Satralizumab 120 mg oder ein Placebo subkutan in den Wochen 0, 2 und 4 und danach alle vier Wochen. Die gleichzeitige Einnahme von Immunsuppressiva war untersagt.

Der primäre Endpunkt war die Zeit bis zum ersten protokolldefinierten Rezidiv. Die doppelblinde Phase der Studie sollte so lange dauern, bis entweder 44 protokolldefinierte Schübe aufgetreten oder 1,5 Jahre nach Einschluss des letzten Patienten vergangen waren.

Ergebnisse

95 von 168 gescreenten Studienteilnehmern (57 %) wurden randomisiert und zwischen August 2014 und April 2017 in die Studie eingeschlossen. 63 Patienten erhielten Satralizumab und 32 Placebo. Die Patienten waren im Mittel 42 Jahre alt und 88 % waren weiblichen Geschlechts. 67 % der Patienten waren Aquaporin-4-positiv. Die jährliche Schubrate zum Einschluss in die Studie betrug 1,4 Schübe. Die meisten Patienten hatten vor Einschluss in die Studie mehrere Krankheitsschübe erlitten.

Protokolldefinierte neue Schübe traten bei 19 (30 %) Patienten der Satralizumab- und 16 (50 %) Patienten der Placebo-Gruppe auf (Hazard-Ratio [HR] 0,45; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,23–0,89; p = 0,018). Der positive Behandlungseffekt ließ sich allerdings nur bei Patienten nachweisen, die Aquaporin-4-positiv waren. Die sekundären Endpunkte, nämlich die Schmerzintensität auf einer visuellen Analogskala und der FACIT-Müdigkeitsscore, waren statistisch nicht unterschiedlich. Dies galt auch für den EDSS nach 24 Wochen.

Unerwünschte Ereignisse traten in der Satralizumab-Gruppe mit einer Inzidenz von 473 pro 100 Patientenjahre und in der Placebo-Gruppe mit 495 pro 100 Patientenjahre auf. In der Studie traten keine Todesfälle und keine anaphylaktischen Reaktionen auf. Die häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen waren Infektionen bei 54 % der Patienten, die Satralizumab erhielten, und 44 % bei den Patienten, die Placebo erhielten.

Kommentar

Die Studie zeigt, dass Satralizumab, eine Substanz, die die Aktivität von Interleukin 6 reduziert, bei der NMOSD die Schubrate reduziert. Die vorliegende Studie hatte eine relativ kleine Patientenzahl. Die Zahl der Aquaporin-4-negativen Patienten war so klein, dass nicht sicher beurteilt werden kann, ob Satralizumab in dieser Patientengruppe wirklich nicht wirksam ist. Die Studie war für zwei sekundäre Endpunkte, nämlich die Schmerzintensität und die Intensität von Müdigkeit, neutral. Erfreulich war die Beobachtung, dass Satralizumab gut vertragen wurde. Die Ergebnisse der Studie bestätigen die einer zuvor durchgeführten Studie in Japan an 83 Patienten mit NMOSD [1]. Zusätzlich erfreulich ist, dass es jetzt die Aussicht auf eine ganze Reihe von Behandlungsoptionen für die NMOSD gibt, wobei im Moment nur Eculizumab eine Zulassung, mit allerdings exorbitanten Kosten, hat.

Quelle

Traboulsee A, et al. Safety and efficacy of satralizumab monotherapy in neuromyelitis optica spectrum disorder: a randomised, double-blind, multicentre, placebo-controlled phase 3 trial. Lancet Neurol 2020;19:402–12.

Literatur

1. Yamamura T, et al. Trial of satralizumab in neuromyelitis optica spectrum disorder. N Engl J Med 2019;381:2114–24.

Psychopharmakotherapie 2020; 27(04):216-221