Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Gerd Laux, Soyen/Waldkraiburg/München

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Soeben komme ich zurück vom abgesagten gemeinsamen Kongress der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP) und der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie (DGBP) aus Berlin. Zwei Tage vor Kongressbeginn sollte er mit einem „Risikominimierungskonzept“ (Ausfall der Posterführungen, Seifenspender und Papiertücher, großzügige Bestuhlung, damit die Teilnehmer zwischen sich freie Sitze lassen können, Mitbringen von Desinfektionslösungen und Mundschutz) laut Mitteilung stattfinden. Ein Tag vor Beginn dann die Absage – für Stornierung von Hotel und Flug war es zu spät …

Die viel zitierte „German Angst“ hat sich rasch ausgebreitet, gesundheitspolitisch überdeckt Corona alles. Die „Lieferengpässe“ wichtiger, häufig verordneter Neuro-Psychopharmaka wie Venlafaxin, die Gerichtsentscheidung zur Sterbehilfe, die Tatsache, dass Verwaltungsbürokratie die Durchführung klinischer Studien in Deutschland lähmt, der Trend zur Billig-Medizin mit ihren Importrisiken – all das sind ausgeblendete Probleme. Was ist zu tun? Anxiolytische Tranquilizer wurden nach den inzwischen fast obsoleten Benzodiazepinen nicht entwickelt, angstlösende Antidepressiva haben Wirklatenz und Verträglichkeitsprobleme, psychologische Psychotherapeuten lange Wartezeiten und keine rasch wirksame Kurzpsychotherapie basierend auf einem Ur-Angst-basierten Corona-Traumatisierungskonzept …

Empfohlen wird „Homeoffice“ – die Gelegenheit also, die PPT zu Hause zu lesen, online oder so lange die Post noch ausliefert.

Das aktuelle Heft beginnt mit einer wichtigen Übersichtsarbeit von Huscsava et al, Wien/Rostock/Ulm, zur Zulassungslage von Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter in Deutschland und Österreich. Die Datenlage zur Wirksamkeit und zur Versorgungspraxis hat sich kontinuierlich erhöht, die Rechtslage zum Off-Label-Use ist unverändert, die Expertengruppe „Off-Label“ beim BfArM hat sich bisher noch mit keinen Substanzen für die Behandlung psychischer Störungen bei Minderjährigen im engeren Sinne befasst. Die wiedergegebenen Übersichtstabellen sind sicherlich eine große praktische Hilfe.

Jost, Wolfach, referiert zu Levodopa – nach wie vor die wichtigste medikamentöse Therapie bei der Parkinson-Erkrankung. Die bisherige Zulassung der oralen Applikationsform wurde den Bedürfnissen nicht gerecht, durch die Einführung von Mikrotabletten zur Herstellung einer wässrigen Suspension in Verbindung mit einem elektronischen Therapiegerät wurden nun die therapeutischen Optionen erweitert im Sinne einer individuelleren Dosierung und Feintitration.

Der jährlich erscheinende viel zitierte Arzneiverordnungsreport wird in bewährter stringenter Weise von Kollege Fritze kommentiert. Breiten Raum nimmt in diesem Heft die Fortsetzung unseres Weiterbildungscurriculums Psychopharmakologie/Pharmakotherapie ein. Im ersten Teil von Teil 12 gibt Grunze, Weinsberg/Schwäbisch Hall, einen profunden Überblick zu Stimmungsstabilisierern. Unsere Reihe zur Arzneimittelsicherheit befasst sich diesmal mit dem Interaktionspotenzial der Hypnotika. Praxisrelevant sind hier zum Beispiel die Kontraindikationen für Triazolam bei bestehender Therapie mit HIV-Proteasehemmern oder Azol-Antimykotika; für Zolpidem und Zopiclon können durch CYP3A4-Induktoren wie Ketoconazol oder Itraconazol Wirkungsverluste resultieren. Die neue Kasuistik aus dem Projekt Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie (AMSP) befasst sich mit dem Auftreten einer ungewöhnlichen Sexualstörung, der sogenannten Persistent genital arousal disorder, und geht auf Absetzphänomene von Antidepressiva und deren mögliche Behandlung ein. Dieses Thema nimmt inzwischen breiten Raum ein, wobei der Nocebo-Effekt bei allen Aufklärungs-/Informationsbemühungen nicht außer Acht gelassen werden sollte: Negative Erwartungen führen häufiger zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen und reduzieren die Wirkung des jeweiligen Medikaments.

Das vorliegende Heft bietet also interessanten Lese- und Informationsstoff und dürfte einen zweiwöchigen Pflichtaufenthalt zuhause positiv füllen!

Als neue Mitglieder unseres Wissenschaftlichen Beirats freuen wir uns Prof. Dr. Kristina Friedland, Mainz, Priv.-Doz. Dr. Heinz Grunze, Weinsberg/Schwäbisch Hall, Prof. Dr. Alexandra Philipsen, Bonn, Prof. Dr. Joachim Röther, Hamburg, Prof. Dr. Jens Wiltfang, Göttingen, Prof. Dr. Tjalf Ziemssen, Dresden, und Prof. Dr. P. Zwanzger, Wasserburg am Inn, begrüßen zu können.

Psychopharmakotherapie 2020; 27(02)