Epilepsie

Kongenitales Missbildungsrisiko bei pränataler Exposition von zehn Antiepileptika


Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
Eine umfangreiche Kohortenstudie auf der Basis französischer Krankenversicherungsdaten belegt, bezogen auf 23 spezifische Fehlbildungen, erneut das hohe Missbildungsrisiko von Valproinsäure bei Einnahme in der Frühschwangerschaft. Für die anderen betrachteten Antiepileptika gab es nur wenige Sicherheitssignale.

Antiepileptika werden nicht nur zur Behandlung der Epilepsie, sondern auch zur Behandlung neuropathischer Schmerzen, psychiatrischer Erkrankungen und zur Prophylaxe der Migräne eingesetzt. Ein Problem der Antiepileptika ist das Risiko kongenitaler Missbildungen, wenn sie in der Frühschwangerschaft eingenommen werden. Hier gibt es seit vielen Jahren eindeutige Daten zu einem erhöhten Risiko für Valproinsäure. Bei einer Kombinationstherapie mit zwei oder mehreren Antiepileptika ist das Missbildungsrisiko für das Neugeborene deutlich höher als bei einer Monotherapie.

Methodik

Es handelt sich um eine nationale Kohortenstudie auf der Basis von französischen Krankenversicherungsdaten. Hierbei wurden zwei Datenbanken genutzt, die über identische Patientencodes miteinander verknüpft sind: die Datenbank der nationalen Krankenversicherung mit Informationen über alle ambulant erbrachten medizinischen Leistungen und u. a. die Verordnung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sowie die nationale Datenbank zu Krankenhausaufnahmen und -entlassungen, u. a. mit Informationen zu Entlassdiagnosen.

Für die retrospektive Kohortenstudie wurden alle Entbindungen (ohne Mehrlingsschwangerschaften) im Zeitraum zwischen Januar 2011 und März 2015 erfasst. Als Expositionsgruppe wurden Frauen ausgewählt, die im Zeitraum von einem Monat vor und zwei Monaten nach Beginn der Schwangerschaft eine Verordnung über ein Antiepileptikum einlösten. Die Vergleichsgruppe waren schwangere Frauen ohne Verschreibung von Antiepileptika. Kongenitale Missbildungen (aus einer Liste von 23 spezifischen Fehlbildungen) wurden bis zu 12 Monate nach der Geburt erfasst.

Ergebnisse

Die analysierte Kohorte umfasste 1 886 825 Schwangerschaften. Während dieser Schwangerschaften hatten 8794 Frauen eine Verschreibung eines Antiepileptikums erhalten: 2997 Lamotrigin, 1671 Pregabalin, 980 Clonazepam, 913 Valproinsäure, 579 Levetiracetam, 517 Topiramat, 512 Carbamazepin, 365 Gabapentin, 139 Oxcarbazepin und 80 Phenobarbital (41 andere).

Die Einnahme von Valproinsäure war mit acht spezifischen kongenitalen Missbildungen assoziiert. Die häufigsten waren Spina bifida (Odds-Ratio [OR] 19,4), atrialer oder ventrikulärer Septumdefekt im Herzen (OR 9,0 bzw. 4,0), Atresie der Pulmonalklappe (OR 27,8), hypoplastisches Rechtsherzsyndrom (OR 19,6), Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (OR 5,4) und Hypospadie (OR 4,8). Die Exposition gegenüber Topiramat erhöhte das Risiko einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (OR 6,8). Auf Basis kleiner Fallzahlen (n = 2 bis 4) zeigte sich außerdem eine signifikante Assoziation zwischen Clonazepam und Mikrozephalie, Phenobarbital und Ventrikelseptum-Defekten sowie Pregabalin und Koarktation der Aorta (OR 10,2, 10,5 sowie 5,8).

Es gab keine signifikanten Assoziationen für die Einnahme von Lamotrigin, Levetiracetam, Carbamazepin, Oxcarbazepin oder Gabapentin und kongenitale Missbildungen.

Schlussfolgerungen

Eine große Analyse des französischen Versicherungssystems zeigt, dass Valproinsäure das höchste Risiko hat, zu kongenitalen Missbildungen zu führen. Topiramat erhöht das Risiko von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten.

Kommentar

Diese große Registerstudie aus Frankreich belegt zum wiederholten Mal das hohe Missbildungsrisiko von Valproinsäure in der Frühschwangerschaft. Daher sollte bei Frauen im gebärfähigen Alter Valproinsäure nur dann eingesetzt werden, wenn alle anderen therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Behandelte Patientinnen müssen auf das Risiko und die Wichtigkeit einer wirksamen Kontrazeption aufmerksam gemacht werden. Erfreulich war die Beobachtung, dass die meisten anderen Antiepileptika kein oder nur ein minimal erhöhtes Risiko für kongenitale Missbildungen aufweisen. Die Ergebnisse beziehen sich allerdings nur auf eine Monotherapie mit Antiepileptika. Die Einnahme mehrerer Antiepileptika erhöht das Missbildungsrisiko deutlich. Dies war aber nicht Thema der hier referierten Studie. Ein Schwachpunkt der Studie ist, dass sie nur die Verschreibung bzw. Abgabe von Arzneimitteln erfasst. Ob die Antiepileptika tatsächlich eingenommen wurden, lässt sich nicht überprüfen.

Quelle

Blotière PO, et al. Risks of 23 specific malformations associated with prenatal exposure to 10 antiepileptic drugs. Neurology 2019;93:e167–e80.

Psychopharmakotherapie 2019; 26(06):341-349