Schwere therapieresistente Depressionen

Esketamin nasal beugt auch Rückfällen vor


Dr. Barbara Kreutzkamp, Hamburg

Esketamin wird klassischerweise als Anästhetikum eingesetzt, hat aber in niedrigerer Dosierung als Nasalspray appliziert auch eine rasch einsetzende antidepressive Wirksamkeit. Das wurde in Kurzzeitstudien dokumentiert. Nun zeigt eine Langzeitstudie, dass das S-Enatiomer von Ketamin therapieresistente Patienten mit einer mäßigen bis schweren Depression auch langfristig stabilisieren kann.

Sprechen Patienten nicht auf zwei oder mehr verschiedene Antidepressiva während einer akuten depressiven Episode an, liegt eine therapieresistente Depression (treatment-resistant depression, TRD) vor. Eine Option für diese Patienten ist Esketamin, gegeben in mehrtägigen Abständen als Nasalspray. In kontrollierten Kurzzeit-Studien ist die Wirksamkeit von nasalem Esketamin dokumentiert, in einer ersten Langzeit-Studie wurde nun die Tauglichkeit in der Rückfallprophylaxe überprüft.

Methodik

Einbezogen in die randomisierte Fortsetzungsstudie waren 297 erwachsene Patienten mit einer mittelschweren bis schweren TRD, die auf mindestens eines und höchstens fünf Antidepressiva nicht ausreichend angesprochen hatten und im Rahmen einer multizentrischen, randomisierten Studie unter nasalem Esketamin plus einem gängigen Antidepressivum nach 16 Wochen einen Score von 12 oder weniger in der Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale (MADRS) (stabile Remission) bzw. eine MADRS-Reduktion um 50 % gegenüber dem Basiswert (stabiles Ansprechen, aber keine Remission) erreicht hatten. Die Esketamin-Dosis wurde individuell je nach Ansprechen auf 56 oder 84 mg pro Woche oder jede zweite Woche eingestellt.

Die Esketamin-Responder mit stabiler Remission (n = 176) bzw. stabiler Response (n = 121) wurden dann in einer 1 : 1-Randomisierung zwei Gruppen zugewiesen: Eine Gruppe nahm zusätzlich zu einem gängigen Antidepressivum weiterhin Esketamin-Nasalspray in der ursprünglich applizierten Dosis, in der zweiten Gruppe wurde die Esketamin-Behandlung beendet und auf ein nasal appliziertes Placebo-Spray umgestellt.

Die Beobachtungsdauer in der Erhaltungsphase dauerte so lange, bis die für die statistische Auswertung benötigte, präspezifizierte Anzahl von Rückfällen eingetreten war – in der Esketamin-Gruppe nach durchschnittlich 18 bis 19 Wochen und in der Placebo-Gruppe nach durchschnittlich zehn Wochen. In einem gewichteten Kombinations-Log-Rank-Test wurden die Zeiten bis zum Rückfall in den beiden Gruppen verglichen.

Ergebnisse

Von den Patienten in stabiler Remission erlebten 26,7 % in der Esketamin-plus-Antidepressivum-Gruppe und 45,3 % in der Placebo-Antidepressivum-Gruppe einen Rückfall (p = 0,003; Number needed to treat [NNT] 6). Von den Patienten mit stabiler Response wurde bei 25,8 % in der Esketamin-Antidepressivum-Gruppe und bei 57,6 % der Patienten in der Placebo-Antidepressivum-Gruppe ein Rückfall registriert (p < 0,001; NNT 4). Esketamin plus Antidepressivum reduzierte das Rückfallrisiko im Vergleich zu Placebo plus Antidepressivum bei den Patienten mit einer stabilen Remission signifikant um 51 % (Hazard-Ratio [HR] 0,49; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,29–0,84) und bei den Patienten mit einer stabilen Response um 70 % (HR 0,30; 95%-KI 0,16–0,55) .

Die häufigsten Nebenwirkungen bei den Esketamin-Patienten waren eine vorübergehende Dysgeusie, Schwindel, Dissoziation, Somnolenz und Benommenheit (Inzidenz 20,4 bis 27,0 %).

Diskussion und Fazit der Autoren

Bei Patienten mit einer therapieresistenten, mittelschweren bis schweren Depression, die unter einer Behandlung mit einem Antidepressivum plus nasalem Ketamin eine Response bzw. eine Remission erreichten, konnte durch die Fortführung der Esketamin-Therapie ein Rückfall im Vergleich zu Placebo deutlich und klinisch relevant verzögert werden.

Die relativ hohe Rückfallquote bei den auf Placebo umgesetzten Esketamin-Respondern in den ersten Wochen dürfte nur zu einem kleineren Teil auf einen Rebound- bzw. Entzugseffekt zurückzuführen sein, diskutieren die Autoren. In Analysen, unter anderem unter Einbeziehung der individuellen Esketamin-Dosierungsfrequenz, zeigte sich vielmehr, dass die Rückfälle offensichtlich besonders vulnerable Patienten betrafen, die Esketamin zum Responseerhalt in der Erhaltungsphase in der höheren Dosierungsfrequenz (einmal pro Woche) benötigten. Inwieweit die schwer zu verblindenden Nebenwirkungen wie Sedierung und Dissoziation das Ergebnis beeinflusst haben, lässt sich allerdings schwer abschätzen.

Die Nebenwirkungen wie Benommenheit, Schwindel, Dysgeusie und Dissoziation waren bereits aus den Kurzzeitstudien bekannt, neue Unverträglichkeiten traten in der Langzeitgabe nicht auf. Damit ist ein gutes Nutzen-Risiko-Verhältnis für Esketamin bei diesen sonst schwer zu behandelnden Patienten auch in der Langzeitperspektive erkennbar, so die Autoren.

Aktuelle CHMP-Empfehlung

Das Committee for Medicinal Products fo Human Use (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur hat im Oktober eine Zulassungsempfehlung für Esketamin-Nasenspray (Einzeldosis 28 mg) ausgesprochen, und zwar zum Einsatz in Kombination mit selektiven Serotonin- oder Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI, SNRI) bei Erwachsenen mit therapieresistenter Depression, die in der aktuellen moderaten oder schweren depressiven Episode nicht auf mindestens zwei Antidepressiva-Therapien angesprochen haben. (Red.)

[https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/summaries-opinion/spravato (Zugriff am 22.10.2019)]

Quelle

Daly EJ, et al. Efficacy of esketamine nasal spray plus oral antidepressant treatment for relapse-prevention in patients with treatment-resistant depression. A randomized clinical trial. JAMA Psychiatry 2019; doi:10.1001/jamapsychiatry.

Psychopharmakotherapie 2019; 26(06):341-349