5q-assoziierte spinale Muskelatrophie

Frühe Diagnose und Therapie sind prognosebestimmend


Abdol A. Ameri, Weidenstetten

Die 5q-assoziierte spinale Muskelatrophie (5q-SMA) führt zu einer progredienten Verschlechterung der motorischen Funktionen. Der Einsatz des Splicing-Modulators Nusinersen wirkt dem fortschreitenden Untergang von Motoneuronen entgegen. Interimsdaten der Phase-II-Studie NURTURE nach einer medianen Beobachtungsdauer von knapp drei Jahren deuten darauf hin, dass bei präsymptomatischem Therapiebeginn eine weitgehend normale altersgemäße motorische Entwicklung möglich ist, wie bei einem Pressegespräch der Firma Biogen präsentiert wurde.

Die autosomal-rezessiv vererbte Krankheit 5q-SMA geht mit einer chronisch progredienten Degeneration der Motoneuronen im Rückenmark und unteren Hirnstamm einher, was zu einem Verlust wichtiger motorischer Funktionen führt [3]. Eine Beteiligung der Atemmuskulatur kann zu respiratorischer Insuffizienz führen. Weitere Komplikationen der neuromuskulären Erkrankung umfassen Schluckstörungen, Obstipation und Skelettdeformierung. Ursache der SMA sind Mutationen im SMN1-Gen, das für das SMN(Survival Motor Neuron)-Protein kodiert [3]. Abhängig vom Alter der Patienten bei Symptombeginn werden zwei Formen der Erkrankung unterschieden: die früh einsetzende bzw. infantile SMA (Symptombeginn im Alter ≤ 6 Monate) und die später einsetzende SMA (Symptombeginn > 6 Monate). Säuglinge und Kleinkinder mit infantiler SMA erreichen keinen der motorischen Meilensteine und versterben ohne künstliche Beatmung in der Regel noch vor dem zweiten Lebensjahr [3].

Die später einsetzende SMA zeigt einen milderen Verlauf mit einer langsameren Progression. Viele Patienten weisen zunächst normale motorische Funktionen auf; nach dem Ausbruch der Erkrankung kommt es häufig zu fortschreitenden Beeinträchtigungen der Gehfähigkeit, der Lebensqualität und der Teilhabe am sozialen Leben. Wichtigstes Therapieziel ist der Funktionserhalt.

Mit dem Antisense-Oligonukleotid Nusinersen (Spinraza®) zur Behandlung der 5q-SMA war es erstmals möglich, Patienten aller Altersgruppen eine zielgerichtete, krankheitsmodifizierende Therapie anzubieten. Die Zulassung basierte auf den beiden randomisierten, kontrollierten Phase-III-Studien ENDEAR bei Säuglingen mit infantiler SMA [2] und CHERISH bei Kindern im Alter von 2 bis 12 Jahren mit später einsetzender SMA [4]. In der ENDEAR-Studie reduzierte die Therapie das Risiko von Tod oder permanenter Beatmung um 47 % im Vergleich zu einer Scheinintervention (p < 0,01). Die Hälfte der mit Nusinersen behandelten Kinder erreichte die motorischen Meilensteine (51 % vs. 0 %; p < 0,0001) [2]. In der CHERISH-Studie zeigte sich, dass Nusinersen auch bei später einsetzender SMA einen günstigen Einfluss auf den Erhalt der motorischen Funktionen hat [4].

Neue Daten zur präsymptomatischen Therapie

In der unverblindeten, offenen Phase-II-Studie NURTURE wird die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Nusinersen im präsymptomatischen Stadium untersucht. In die derzeit noch laufende Studie wurden 25 Neugeborene mit gendiagnostisch gesicherter 5q-SMA und noch ohne erste Krankheitszeichen einbezogen. Die Ergebnisse einer Interimsanalyse (Stichtag 29. März 2019) sind vielversprechend: Nach einer medianen Beobachtungsdauer von 33,9 Monaten und einer maximalen Beobachtungsdauer von 45,1 Monaten waren noch alle 25 mit Nusinersen behandelten Kinder (100 %) am Leben. Das mediane Alter bei der letzten Visite betrug 34,8 Monate. Alle Kinder (100 %) waren in der Lage, frei zu sitzen. Rund 92 % (23/25) konnten mit und 88 % (22/25) ohne jegliche Unterstützung laufen zu einem Zeitpunkt, zu dem auch gesunde Kleinkinder meist laufen lernen. Auch die Saug- und Schluckfunktionen blieben fast immer erhalten. Keines der Kinder hatte bis zum Zeitpunkt der Interimsanalyse eine permanente Beatmung benötigt [5].

Laut Fachinformation sollte die Therapie mit Nusinersen frühestmöglich nach der Diagnose eingeleitet werden [1]. Die Substanz wird intrathekal im Bereich der Lendenwirbel mittels Lumbalpunktion direkt in den Liquorraum injiziert. Die Therapie beginnt mit vier Aufsättigungsdosen in den ersten zwei Monaten an den Tagen 0, 14, 28 und 63, gefolgt von einer Erhaltungsdosis (12 mg/5 ml) alle vier Monate. Dadurch erhalten Patienten im ersten Jahr insgesamt sechs Applikationen sowie ab dem zweiten Jahr drei Applikationen als Erhaltungsdosis.

Quelle

Prof. Dr. Andreas Hahn, Gießen, Priv.-Doz. Dr. Tim Hagenacker, Essen, Pressegespräch „Zeichen erkennen, Zeit gewinnen: Frühzeitiger Einsatz von Nusinersen (Spinraza®) bei Kindern und Erwachsenen mit 5q-assoziierter spinaler Muskelatrophie“, Frankfurt, 4. Juli 2019, veranstaltet von Biogen.

Literatur

1. Fachinformation Spinraza®, Stand: März 2019.

2. Finkel RS, et al. Nusinersen versus sham control in infantile-onset spinal muscular atrophy. N Engl J Med 2017;377:1723–32.

3. Lunn MR, Wang CH. Spinal muscular atrophy. Lancet 2008;371:2120–33.

4. Mercuri E, et al. Nusinersen versus sham control in later-onset spinal muscular atrophy. N Engl J Med 2018;378:625–35.

5. Sansone D, et al. Nusinersen in infants who initiate treatment in a presymptomatic stage of spinal muscular atrophy (SMA): Interim results from the phase 2 NURTURE study. Oral session presented at EAN 2019, Oslo. Eur J Neurol 2019;26(Suppl 1):83.

Psychopharmakotherapie 2019; 26(05):307-311