Atypische Antipsychotika

Erhöhtes Risiko von Hypophysentumoren unter Antipsychotika


Dr. Jasmine Thibaut, Stuttgart

Eine der möglichen Langzeitfolgen von Antipsychotika-induzierter Hyperprolaktinämie ist das Entstehen von Hypophysentumoren – den Prolaktin-produzierenden Tumoren. In der vorliegenden Studie wurde basierend auf Daten von EudraVigilance untersucht, ob ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Hypophysentumoren und einzelnen Antipsychotika existiert.

Eine häufige Nebenwirkung von Antipsychotika ist die Antipsychotika-induzierte Hyperprolaktinämie (HPRL). Kurzzeitfolgen von HPRL sind sexuelle Dysfunktion und Gynäkomastie bei Männern. Langfristig kann HPRL mit Osteoporose, Hypogonadismus, einem erhöhten kardiovaskulären Risiko und einem möglicherweise erhöhten Brust- und Endometrialkrebsrisiko assoziiert sein. Eine weitere, kaum untersuchte mögliche Langzeitfolge von Antipsychotika-induzierter HPRL ist das Entstehen von Hypophysentumoren, Prolaktin-produzierende Tumoren eingeschlossen.

Nicht alle atypischen Antipsychotika zeigen das gleiche Risiko für eine HPRL. Ein möglicher Erklärungsansatz ist die Variabilität der relativen Besetzung der Dopamin-D2-Rezeptoren im Gehirn und in der Hypophyse. Hyperprolaktinämie entsteht durch Blockade der D2-Rezeptoren in der Hypophyse, die sich außerhalb der Blut-Hirn-Schranke befinden. Arzneistoffe mit hoher Affinität zu D2-Rezeptoren, wie Risperidon, Paliperidon oder Amisulprid, haben daher ein höheres Risiko für diese Nebenwirkung.

Ziel der Studie war es zu untersuchen, ob ein Zusammenhang zwischen den neuen atypischen Antipsychotika und dem Auftreten von Hypophysentumoren existiert.

Studie

Die Daten wurden der Europäischen Pharmakovigilanz-Datenbank EudraVigilance, mit einem Schwerpunkt auf Paliperidon und Amisulprid, entnommen. Alle mit Antipsychotika assoziierten Verdachtsfälle auf Hypophysentumoren, die bis 23. März 2017 in EudraVigilance erfasst wurden, wurden eingeschlossen. In die Analysen eingeschlossene atypische Antipsychotika waren Amisulprid, Risperidon, Paliperidon, Aripiprazol, Clozapin, Olanzapin, Quetiapin und Ziprasidon. Analysierte typische Antipsychotika waren Chlorpromazin, Fluphenazin, Haloperidol, Loxapin, Perphenazin, Pimozid, Thioridazin, Thiothixen Trifluorperazin, Perazin, Zuclopenthixol, Pipotiazin, Periciazin, Levomepromazin und Sulpirid.

Die Assoziation zwischen Hypophysentumoren und einzelnen antipsychotischen Arzneistoffen wurde mittels proportionalem Reporting-Ratio (PRR; Kasten) ermittelt.

Proportional Reporting Ratio

Das PRR wird zur Prüfung auf das Vorliegen eines tatsächlich statistisch relevanten Signals verwendet. Es basiert auf der Überlegung, dass ein von einem bestimmten Wirkstoff spezifisch verursachtes Ereignis im Zusammenhang mit diesem Wirkstoff häufiger auftritt, also auch häufiger gemeldet wird als im Zusammenhang mit anderen Wirkstoffen [1]. Der PRR-Wert eines Wirkstoff-Ereignis-Paares wird durch zwei Bezugsgrößen erechnet:

  • die Häufigkeit des Auftretens der betrachteten Nebenwirkung (A) im Vergleich zu allen anderen Nebenwirkungen, die mit dem jeweiligen Wirkstoff auftreten (B), sowie
  • die Häufigkeit dieser Nebenwirkung (C) sowie aller anderen Nebenwirkungen (D), die im Zusammenhang mit allen anderen Wirkstoffen in der Datenbank auftreten [2, 3].

PRR = [A/(A + B)]/[C/(C + D)]

Je größer der PRR-Wert ist, desto stärker ist die statistische Assoziation und desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass ein Signal vorliegt [1].

Ergebnisse

Unter den insgesamt 4 964 866 in EudraVigilance registrierten Ereignissen waren 292 Hypophysentumor-Fälle. Frauen waren hiervon häufiger betroffen (72 %). Das mediane Alter der Patienten lag bei 36 Jahren, wobei 18 Fälle bei Patienten unter 18 Jahren auftraten. Alle atypischen Antipsychotika mit Ausnahme von Clozapin erzeugten ein Sicherheitssignal. Amisulprid erreichte das höchste PRR mit 51,57 (95%-Konfidenzintervall[KI] 36,3–73,2), gefolgt von Risperidon mit 21,83 (18,4–25,8) und seinem Metaboliten Paliperidon mit 19,95 (14,7–27,1). Bei den typischen Antipsychotika zeigten lediglich Sulpirid 12,4 (5,89–26,1) und Haloperidol 7,0 (4,35–11,3) höhere Risiken für Hypophysentumoren.

In 16 % der Fälle beruhte die Verdachtsmeldung eines Hypophysentumors vermutlich auf einem Masseneffekt, also der Kompression sensibler Strukturen durch einen hormoninaktiven Tumor.

Fazit der Studienautoren

Die Analyse der Daten aus der EudraVigilance-Datenbank bestätigen frühere Ergebnisse, dass alle atypischen Antipsychotika (mit Ausnahme von Clozapin) mit Hypophysentumoren assoziiert sind. Prolaktin-erhöhende Antipsychotika, wie Amisulprid, Risperidon und Paliperidon, zeigten höhere PRR-Werte als Quetiapin und Olanzapin. Bei den typischen Antipsychotika waren Haloperidol und Sulpirid mit einem höheren Risiko für Hypophysentumoren assoziiert.

Quelle

Lertxundi U, et al. Antipsychotics and pituitary tumors: an analysis of the European pharmacovigilance database (EudraVigilance). Int Clin Psychopharmacol. 2019;34:86–92.

Literatur

1. BfArM und Paul-Ehrlich-Institut. Bulletin zur Arzneimittelsicherheit. Ausgabe 1, März 2012.https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/bulletin-einzelartikel/2012-daten-pharmakovigilanz-impfstoffe-2009.pdf?__blob=publicationFile&v=8 (Zugriff am 29.04.2019).

2. European Medicines Agency. Guideline on the use of statistical signal detection methods in the EudraVigilance data analysis system. Doc. Ref. EMEA/106464/2006 rev. 1 https://www.ema.europa.eu/en/documents/regulatory-procedural-guideline/draft-guideline-use-statistical-signal-detection-methods-eudravigilance-data-analysis-system_en.pdf (Zugriff am 29.04.2019).

3. Schrade, B. Signale und Signaldetektion. https://www.meduniwien.ac.at/hp/fileadmin/tropenmedizin/PDF_Christ/Artikel_drschade.pdf (Zugriff am 29.04.2019).

Psychopharmakotherapie 2019; 26(03):165-173