Analyse von CYP450-Wechselwirkungen: kleiner Aufwand, große Wirkung


Das Interaktionspotenzial hormoneller Kontrazeptiva

Holger Petri, Bad Wildungen*

Sexualhormone als Substrate des Cytochrom-P450(CYP)-Isoenzyms 3A4 können in Kombination mit CYP3A4-Induktoren in ihrer kontrazeptiven Wirksamkeit beeinträchtigt sein. Das in kombinierten hormonellen Kontrazeptiva (KHK) am häufigsten eingesetzte Estrogen Ethinylestradiol hat selbst das Potenzial, durch Hemmung von CYP-Isoenzymen die Plasmaspiegel anderer Arzneimittel zu erhöhen. In der Interaktionstabelle (Tab. 1) wird das Verhalten der hormonellen Kontrazeptiva zu den CYP-Enzymen unter Berücksichtigung der Art ihrer Anwendung dargestellt.
Psychopharmakotherapie 2019;26:161–4.

Estrogene

In kombinierten hormonellen Kontrazeptiva (KHK) wird in Deutschland am häufigsten Ethinylestradiol (EE) verwendet. Die Dosis liegt bei oraler Einnahme gewöhnlich mit 15 bis 35 µg/d deutlich unter der Schwelle von 100 µg/d, die bei alleiniger Gabe notwendig ist, um die Ovulation zu unterdrücken [13, 14]. Die Estrogene verstärken in kombinierten Kontrazeptiva die ovulationshemmende Wirkung der Gestagene und dienen der Zyklus- bzw. Blutungskontrolle [13]. Ethinylestradiol wird primär über das Cytochrom-P450(CYP)-Isoenzym 3A4 abgebaut [15]. Starke Induktoren wie Carbamazepin, Phenytoin und Rifampicin (Abb. 1) senkten in klinischen Studien die AUC(Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve)-Werte des Estrogens um 38 % bis 66 %. Die Exposition von EE wurde durch die moderaten CYP3A4-Induktoren Bosentan, Eslicarbazepin und Oxcarbazepin um 31 % bis 47 % reduziert [16]. Johanniskraut-haltige Arzneimittel konnten in zwei Studien die Bioverfügbarkeit von EE um durchschnittlich 14 % bzw. 32 % senken, in Einzelfällen aber bis zu 86 % [16]. Topiramat vermochte erst in einer Tagesdosis über 200 mg die AUC-Werte von Ethinylestradiol relevant um 18 % bis 29 % zu senken [2, 12]. Hierbei ist zu beachten, dass das Antikonvulsivum in höheren Dosen teratogen wirkt [6].

CYP3A4-Inhibitoren haben nur einen begrenzten Effekt auf die EE-Exposition. Ketoconazol und Voriconazol führten zu einem AUC-Anstieg von 40 % bzw. 60 %, unter Telithromycin kam es zu keiner Änderung und unter Boceprevir fielen die AUC-Werte um etwa ein Viertel [16].

Ethinylestradiol hemmt in vivo die Aktivität der CYP-Isoenzyme 1A2, 2B6 und 2C19. In einer Untersuchung mit dem CYP1A2-Testsubstrat Tizanidin stieg dessen Exposition in der Kombination mit dem Gestagen Gestoden um das 3,9-Fache [5]. Die Bioverfügbarkeit des CYP2B6-Substrats Selegilin wurde in Kombination mit Ethinylestradiol-haltigen KHK um ein Vielfaches erhöht und in einer Studie mit gesunden Probandinnen wurde über einen Blutspiegelanstieg von 40 % des CYP2C19-Substrats Omeprazol berichtet [7, 11]. Die inhibitorische Wirkung des Estrogens auf CYP-Enzyme erfolgt wahrscheinlich nicht durch direkten Angriff am Enzym, da hierfür supratherapeutische Konzentrationen für einen Hemmeffekt erforderlich sind. Wahrscheinlicher scheint eine transkriptionelle Hemmung der Genexpression relevant zu sein. Über einen Estrogenrezeptor-vermittelten Mechanismus wird für CYP2C9 und CYP2C19 berichtet [9, 10]. Ein Interaktionsmechanismus, dessen klinische Relevanz aber noch unklar ist.

Ethinylestradiol beschleunigt den Abbau von Lamotrigin durch Induktion der UDP-Glucuronosyltransferase (UGT) 1A4. Hierdurch können die Lamotrigin-Plasmaspiegel schon nach wenigen Tagen auf die Hälfte abfallen und die Lamotrigin-Tagesdosis muss unter Plasmaspiegelkontrolle bis auf das Doppelte erhöht werden. In der EE-einnahmefreien Zeit kommt es zu einer Deinduktion und infolge dessen steigen die Lamotrigin-Spiegel auf 80 bis 100 % des Ausgangswerts. Für den Fall, dass die Lamotrigindosis nicht wieder reduziert wird, drohen Intoxikationen. Es empfiehlt sich daher der Wechsel auf eine alleinige Gestagen-Therapie. Sollen dennoch kombinierte hormonelle Kontrazeptiva eingesetzt werden, so sind diese besser ununterbrochen einzunehmen (Langzyklus). Allerdings wird bei bestehender Lamotrigin-Therapie etwa eine Verdoppelung der initialen Dosis unter Spiegelkontrolle notwendig sein. Bei Neueinstellung auf Lamotrigin werden therapeutische Plasmaspiegel nur zögerlicher erreicht [13]. Eine Alternative kann die Einnahme eines Estradiol-haltigen Kontrazeptivums sein, weil dieses Estrogen eine geringere Potenz zur Induktion von UGT hat [8, 13].

Gestagene

Gestagene gewährleisten in erster Linie in KHK-Präparaten die Ovulationshemmung. Ihre Dosis liegt 1,5-fach bis doppelt über der Ovulationshemmdosis [14]. In estrogenfreien Ovulationshemmern liegt die Gestagendosis zum Beispiel bei Desogestrel mit 75 µg knapp oberhalb der Ovulationshemmdosis. Bei den „Minipillen“ (30 µg Levonorgestrel) wird der kontrazeptive Schutz allein über periphere Wirkungen erzielt [13]. Es gibt eine Vielzahl verschiedener Gestagene. Aufgrund des geringeren Risikos, eine venöse Thromboembolie zu erleiden, sollen unter anderem Levonorgestrel- und Norethisteron-haltige Kombinationen bevorzugt werden [1].

Carbamazepin, Eslicarbazepin, Oxcarbazepin und Phenytoin senkten in klinischen Studien die AUC-Werte von Levonorgestrel in einen Bereich von 36 % bis 47 %. Efavirenz reduzierte die Levonorgestrel-Exposition in einer Untersuchung um 58 %, obwohl das Virustatikum keinen Effekt auf die Ethinylestradiol-Plasmaspiegel hatte [16].

Vor diesem Hintergrund leitet sich die Empfehlung ab, Levonorgestrel zur Notfallkontrazeption bei Kombination mit CYP3A4-Induktoren in doppelter Dosis einzunehmen, wenn eine Kupferspirale nicht zur Anwendung kommen kann [4].

Die Bioverfügbarkeit von Norethisteron wurde durch die starken CYP3A4-Induktoren Rifampicin und Carbamazepin um 50 – 60 % gesenkt. Moderate Induktoren wie Bosentan und Nevirapin führten zu einer vergleichsweisen geringen Reduktion um 14 – 21 % [16].

Starke CYP3A4-Hemmer hatten in klinischen Studien nur einen marginalen Effekt auf die Exposition der Gestagene Drospirenon, Levonorgestrel und Norethisteron. Am stärksten erhöhten Boceprevir und Ketoconazol die Drospirenon-Exposition um das 2,0- bis 2,7-Fache und Atazanavir die Norethisteron-Exposition um das 2,1-Fache [16].

Fazit

Als „Victim-Drugs“ sind Sexualhormone durch CYP3A4-Induktoren von pharmakokinetischen Wechselwirkungen nicht nur in oral einzunehmenden Präparaten betroffen, sondern auch als Hormonimplantate, Hormonpflaster und hormonfreisetzende Vaginalringe. Es kann zu Durchbruchblutungen und/oder zu kontrazeptivem Versagen kommen [3]. Aufgrund der lokalen Wirkweise sind Intrauterinsysteme mit Gestagen-Freisetzung nicht mit einem metabolischen Interaktionsrisiko behaftet [8]. Wegen der substanzspezifischen Effekte auf die Exposition der Estrogene und Gestagen sollten die Fachinformationen von Begleitmedikationen zurate gezogen werden, um mögliche Wechselwirkungen zu identifizieren [3]. Ein Grund für die zum Teil unterschiedlichen Effekte der Modulatoren auf die Exposition der Steroidhormone könnte auch in einer zusätzlich möglichen Induktion von UGT-Enzymen liegen, über die diese auch verstoffwechselt werden [8, 15, 16].

Abb. 1. Auswahl von modulierenden Substanzen (stark wirkende fettgedruckt) mit klinisch relevanter Wirkung auf Cytochrom P450 (CYP) 3A4 (Stand 4/2019) [Quelle: mediQ-Interaktionsprogramm]

Literatur

1. BfArM. Venöse Thromboembolien und kombinierte hormonale Kontrazeptiva. https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/KOK/_node.html (letzter Zugriff am 26 März 2019).

2. Doose DR, Wang SS, Padmanabhan M, et al. Effect of topiramate or carbamazepine on the pharmacokinetics of an oral contraceptive containing norethindrone and ethinyl estradiol in healthy obese and nonobese female subjects. Epilepsia 2003;44:540–9.

3. Fachinformation Zoely®. Stand: Januar 2019.

4. Gedeon Richter Pharma GmbH. Informationsbrief zu hormonalen Notfallkontrazeptiva (u. a. Postinor®): Neue Empfehlung für Anwenderinnen von CYP3A4-induzierenden Arzneimitteln. 26.09.2018.

5. Granfors MT, Backman JT, Laitila J, et al. Oral contraceptives containing ethinyl estradiol and gestodene markedly increase plasma concentrations and effects of tizanidine by inhibiting cytochrome P4501A2. Clin Pharmacol Ther 2005;78:40–11.

6. Hernandez-Diaz S, Huybrechts KF, Desai RJ, et al. Topiramate use early in pregnancy and the risk of oral clefts: A pregnancy cohort study. Neurology 2018;90:e342-e351.

7. Laine K, Anttila M, Helminen A, et al. Dose linearity study of selegiline pharmacokinetics after oral administration: evidence for strong drug interaction with female sex steroids. Br J Clin Pharmacol 1999;47:249–54.

8. Lupp A. Orale Kontrazeptiva-Risikoreiche Interaktionen. Dtsch Arzteblatt 2016 DOI: 10.3238/PersGyn.2016.03.18.05.

9. Mwinyi J, Cavaco I, Pedersen RS, et al. Regulation of CYP2C19 expression by estrogen receptor α: implications for estrogen-dependent inhibition of drug metabolism. Mol Pharmacol 2010;78:886–94.

10. Mwinyi J, Cavaco I, Yurdakok B, et al. The ligands of estrogen receptor α regulate cytochrome P4502C9 (CYP2C9) expression. J Pharmacol Exp Ther 2011;338:302–9.

11. Palovaara S, Tybring G, Laine K. The effect of ethinyloestradiol and levonorgestrel on the CYP2C19-mediated metabolism of omeprazole in healthy female subjects. Br J Clin Pharmacol 2003;56:232–7.

12. Rosenfeld WE, Doose DR, Walker SA, et al. Effect of Topiramate on the Pharmacokinetics of an Oral Contraceptive Containing Norethindrone and Ethinyl Estradiol in Patients with Epilepsy. Epilepsia 1997;38:317–23.

13. Schwenkhagen A, Schaudig K, Stodieck SRG. Kontrazeption bei Frauen mit Epilepsie. Gynäkologe 2018;51:102–9.

14. Schwenkhagen AM, Stodieck SRG. Which contraception for women with epilepsy? Seizure 2008;17:145–50.

15. Zhang H, Cui D, Wang B, et al. Pharmacokinetic drug interactions involving 17alpha-ethinylestradiol: a new look at an old drug. Clin Pharmacokinet 2007;46:133–47.

16. Zhang N, Shon J, Kim MY, et al. Role of CYP3A in Oral Contraceptives Clearance. Clin Transl Sci 2018;11:251–60.

*Nachdruck aus Krankenhauspharmazie 2019;40:53–7.

Der Artikel wurde unter Einbeziehung von Diskussionsbeiträgen von Dr. Jörg Brüggmann, Berlin, Prof. Dr. Christoph Hiemke, Mainz, und Dr. Jochen Weber, Bad Wildungen, erstellt.

Holger Petri, Zentral-Apotheke der Wicker Kliniken, Im Kreuzfeld 4, 34537 Bad Wildungen, E-Mail: hpetri@werner-wicker-klinik.de

Psychopharmakotherapie 2019; 26(03):161-164