Sekundär progrediente multiple Sklerose

Siponimod wirksamer als Placebo in einer doppelblinden randomisierten Phase-III-Studie


Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Essen

Mit einem Kommentar des Autors
In einer großen Placebo-kontrollierten Studie bei Patienten mit sekundär progredienter multipler Sklerose hatte Siponimod einen signifikanten Einfluss auf die Krankheitsprogression im Vergleich zu Placebo. Der absolute Therapieerfolg war allerdings gering.

Bei mehr als 50 % aller Patienten mit multipler Sklerose (MS) entwickelt sich aus einer ursprünglich schubförmigen MS innerhalb von 10 bis 20 Jahren eine sekundär progrediente Form. In diesem Stadium sind die Schübe seltener oder kommen gar nicht mehr vor. Die neurologischen und neuropsychologischen Defizite verschlechtern sich kontinuierlich. Für die schubförmige MS steht inzwischen eine Vielzahl an immunmodulatorischen Therapien zur Verfügung. Diese waren aber bei der sekundär progredienten MS entweder nicht wirksam oder sind noch nicht ausreichend untersucht.

Siponimod moduliert den Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor des Subtyps S1P1. Über diesen Mechanismus wird eine Rezirkulation peripherer Lymphozyten in das zentrale Nervensystem verhindert. Siponimod zeigt bei der schubförmigen MS seine Wirksamkeit bezogen auf die Schubrate und eine Reduktion von neuen Entmarkungsherden in Gehirn [1].

Studiendesign

In der vorliegenden großen internationalen Studie wurde Siponimod bei Patienten mit sekundär progredienter MS untersucht. Es handelte sich um eine doppelblinde, randomisierte Phase-III-Studie in 290 Multiple-Sklerose-Zentren in 31 Ländern. Eingeschlossen wurden Patienten zwischen 18 und 60 Jahren mit Werten zwischen 3,0 und 6,5 auf der Expanded Disability Status Scale (EDSS). Die Randomisierung erfolgte im Verhältnis 2 : 1. Die Therapie erfolgte mit Siponimod 2 mg täglich oder Placebo über einen Zeitraum von bis zu drei Jahren. Der primäre Endpunkt war die Zeit bis zu einer nachgewiesenen Verschlechterung der Erkrankung in einem Dreimonatszeitraum (Tab. 1).

Tab. 1. Studiendesign der EXPAND-Studie

Erkrankung

Sekundär progrediente multiple Sklerose

Studienziel

Wirksamkeit und Sicherheit von Siponimod im Vergleich zu Placebo

Studientyp/Design

Multizentrisch, randomisiert, doppelblind, interventionell, Phase III

Patienten

1651 Patienten (18–60 Jahre alt, Expanded Disability Status Scale [EDSS] 3,0–6,5)

Intervention

  • Siponimod 2 mg
    täglich (n = 1105)
  • Placebo (n = 556)

Primärer Endpunkt

Zeit bis zu einer nachgewiesenen Verschlechterung der Erkrankung in einem Dreimonatszeitraum

Sponsor

Novartis Pharmaceuticals

Studienregisternummer

NCT01665144
(ClinicalTrials.gov
)

Studienergebnisse

Insgesamt nahmen 1651 Patienten an der Studie teil. 1105 Patienten erhielten Siponimod und 556 Placebo. Zum Zeitpunkt des Studieneinschlusses bestand die MS im Mittel seit 16,8 Jahren, eine sekundär progrediente MS im Mittel seit 3,8 Jahren. Zwei Drittel der Patienten hatten in den vergangenen Jahren keine nachweisbaren Schübe mehr erlitten. 56 % der Patienten benötigten eine Hilfe beim Gehen.

In der Siponimod-Gruppe beendeten 903 Patienten die Studie (82 %) und in der Placebo-Gruppe 424 (78 %). Im Zeitraum von drei Monaten kam es zu einer signifikanten Verschlechterung bei 288 von 1096 (26 %) Patienten in der Siponimod-Gruppe und 173 von 545 (32 %) Patienten in der Placebo-Gruppe (Hazard-Ratio 0,79; 95%-Konfidenzintervall 0,65–0,95; relative Risikoreduktion 21 %; p = 0,013).

Über unerwünschte Arzneimittelwirkungen berichteten 89 % der Patienten in der Siponimod-Gruppe und 82 % in der Placebo-Gruppe. Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse fanden sich bei 18 % der Patienten in der Siponimod-Gruppe und 15 % in der Placebo-Gruppe. Die häufigsten schwerwiegenden Ereignisse unter Siponimod waren Lymphopenien, ein Anstieg der Leberenzyme, Bradykardie, Makulaödeme, arterielle Hypertonie sowie eine Reaktivierung von Varicella Zoster. Es bestanden keine Unterschiede zwischen Verum und Placebo für schwere Infektionen, maligne Tumoren oder die Sterblichkeit (jeweils vier Patienten in jeder Therapiegruppe).

  • Kommentar

Die EXPAND-Studie ist die erste Studie, die einen Therapieeffekt einer immunmodulatorischen Therapie bei Patienten mit sekundär progredienter MS zeigt. In die Studie wurden ganz überwiegend Patienten eingeschlossen, die schon erheblich beeinträchtigt waren. Die Studie zeigte zwar ein signifikantes Ergebnis, der absolute Nutzen der Therapie war allerdings nicht besonders hoch. In absoluten Zahlen zeigten nur 6 % der behandelten Patienten einen therapeutischen Nutzen. Für die Therapie mit Siponimod spricht die Tatsache, dass die Substanz in den Kernspintomographien zu einer signifikanten Reduktion neuer kontrastmittelaufnehmender Herde führte. Außerdem zeigte sich ein signifikanter Unterschied für das Fortschreiten der Hirnatrophie in einem Zeitraum von 24 Monaten. Ob sich diese Effekte auch langfristig auswirken, ist derzeit nicht bekannt. Die zum Teil erheblichen Nebenwirkungen erfordern allerdings, dass Patienten mit dieser Therapie sehr engmaschig überwacht werden.

Quelle

Kappos L, et al. Siponimod versus placebo in secondary progressive multiple sclerosis (EXPAND): a double-blind, randomized, phase 3 study. Lancet 2018;391:1263–73.

Literatur

1. Selmaj K, et al. Siponimod for patients with relapsing-remitting multiple sclerosis (BOLD): an adaptive, dose-ranging, randomised, phase 2 study. Lancet Neurol 2013;12:756–67.

Psychopharmakotherapie 2018; 25(05):263-276