Schubförmige multiple Sklerose

Erste Phase-III-Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit von Ozanimod


Abdol A. Ameri, Weidenstetten

Der neue Immunmodulator Ozanimod gehört zur Gruppe der Sphingosin-1-phosphat-(S1P-)Rezeptormodulatoren. Die kleinmolekulare Substanz bindet selektiv an die S1P-Rezeptorsubtypen 1 und 5. Auf dem ECTRIMS-ACTRIMS-Kongress 2017 wurden erstmals die Ergebnisse von zwei großen, aktiv kontrollierten Phase-III-Studien bei Patienten mit schubförmiger multipler Sklerose (MS) vorgestellt, in denen Ozanimod 0,5 mg/Tag und 1 mg/Tag mit Interferon beta-1a (IFN-β 1a) 30 µg einmal wöchentlich verglichen wurde. Der neue orale S1P-Rezeptormodulator führte zu einer gegenüber IFN-β statistisch signifikanten Reduktion der jährlichen Schubrate und war auch in Bezug auf die Läsionslast im MRT und die Minderung der Hirnatrophie überlegen. Die Inzidenz von unerwünschten Ereignissen war in allen Studienarmen vergleichbar. Die Behandlung mit Ozanimod war nicht mit einem erhöhten kardialen Risiko assoziiert.

In der Erforschung der Pathomechanismen der schubförmigen MS sind in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzielt worden, was sich in einem breiteren Spektrum an immunmodulierenden Therapieoptionen widerspiegelt. Allerdings besteht trotz der Vielzahl an zugelassenen krankheitsmodifizierenden Substanzen im Hinblick auf die Wirksamkeit und Sicherheit, aber auch auf die Anwenderfreundlichkeit noch ein ungedeckter Bedarf an neuen Therapien, die eine starke Effektivität mit einem verbesserten Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil und einer einfachen oralen Einnahme verbinden [5]. Eine der größten Herausforderungen in der Behandlung der MS ist die fortschreitende Hirnatrophie [5]. Bei MS-Patienten verläuft die Abnahme des Hirnvolumens mit 0,5% bis 1,0% pro Jahr wesentlich schneller als bei gesunden Menschen gleichen Alters (0,1% bis 0,4% pro Jahr) [7].

Modulation des S1P-Rezeptors

Mit Ozanimod ist ein neuer Immunmodulator in der fortgeschrittenen Phase der klinischen Entwicklung. Ozanimod gehört zur Wirkstoffklasse der S1P-Rezeptormodulatoren. Die Familie der S1P-Rezeptoren besteht aus fünf im Organismus weit verbreiteten Rezeptorsubtypen (S1P1 bis S1P5), die verschiedene immunologische und kardiovaskuläre Vorgänge regulieren [1, 6]. So spielt der S1P1-Rezeptor bei der Regulation der Migration von Lymphozyten eine wichtige Rolle [10]. S1P-Rezeptoren werden auch im ZNS exprimiert, einschließlich Neuronen, Astrozyten, Mikroglia und Oligodendozyten [6, 10].

Anders als der nichtselektive S1P-Rezeptoragonist Fingolimod, der an die Rezeptorsubtypen S1P1, S1P3, S1P4 und S1P5 bindet [6], weist Ozanimod eine Selektivität für die Subtypen 1 und 5 des S1P-Rezeptors auf [8, 10]. Unterschiedliche Bindungsaffinitäten können verschiedene unerwünschte Wirkungen wie Bradykardien, AV-Block, Erhöhung von Lebertransaminasen oder Makulaödem bedingen, wie sie von Fingolimod bekannt sind [2, 10].

Wirkung auf Schubrate, Hirnatrophie und Behinderungsprogression

Auf dem ECTRIMS-ACTRIMS-Kongress stellte Prof. Dr. Giancarlo Comi, Mailand/Italien, die noch nicht veröffentlichten Ergebnisse der zwei multizentrischen, randomisierten, doppelblinden, aktiv kontrollierten Phase-III-Studien SUNBEAM und RADIANCE-Part B vor. In die beiden dreiarmigen Studien wurden jeweils über 1300 Patienten mit schubförmiger MS eingeschlossen und nach Randomisierung im Verhältnis 1:1:1 einer Therapie mit Ozanimod 0,5 mg oder 1 mg einmal täglich oder IFN-β 1a 30 µg i.m. einmal wöchentlich zugeteilt. Primärer Endpunkt war die Veränderung der jährlichen Schubrate (ARR [annualized relapse rate]) nach 12 Monaten (SUNBEAM) bzw. 24 Monaten (RADIANCE-Part B). Wichtige sekundäre Endpunkte waren die Zahl neuer oder sich vergrößernder T2-Läsionen und Gd-anreichernder Läsionen sowie die Behinderungsprogression.

Nach den Ausführungen von Comi führte Ozanimod 0,5 mg und 1 mg in der SUNBEAM-Studie nach 12 Monaten zu einer signifikanten Reduktion der ARR um 31% bzw. 48% im Vergleich zu IFN-β 1a (p=0,0013 bzw. p<0,0001) [4]. In der RADIANCE-PART-B-Studie sank die ARR unter Ozanimod um 21% (p=0,0167) und 38% (p<0,0001) gegenüber IFN-β 1a. Statistisch signifikante Überlegenheit wurde für den neuen Wirkstoff auch bei den MRT-Parametern nachgewiesen: In SUNBEAM war die Zahl der Gd-anreichernden Läsionen in der 0,5-mg-Dosisgruppe um 25% (p=0,0182) und in der 1-mg-Gruppe um 63% (p<0,0001) geringer als mit IFN-β 1a. Die Anzahl der neuen/neu sich vergrößernden T2-Läsionen wurde in der SUNBEAM-Studie um 25% (p=0,0032) bzw. 48% (p<0,0001) und in der RADIANCE-Part-B-Studie um 34% (p=0,0001) bzw. 42% (p=0,0001) reduziert. Weiterhin wurde in beiden Studien der Hirnvolumenverlust im Vergleich zu IFN-β 1a signifikant reduziert – auch in der kortikalen grauen Substanz und im Thalamus. Die Rate der Behinderungsprogression war in allen Behandlungsgruppen sehr niedrig und erreichte unter Ozanimod keine statistische Signifikanz im Vergleich zu IFN-β 1a. In Übereinstimmung mit früheren Daten [3, 9] bestätigen die neuen Phase-III-Studienergebnisse ein günstiges Verträglichkeits- und Sicherheitsprofil. Laut Comi wurde keine QT-Verlängerung, keine klinisch relevante Bradykardie und kein AV-Block zweiten oder höheren Grades berichtet.

Quelle

Prof. Dr. Bruce Cree, San Francisco/USA, Prof. Dr. Giancarlo Comi, Mailand/Italien, Prof. Dr. Patrick Vermersch, Lille/Frankreich, Presseveranstaltung „The evolution of MS and recently presented data on an investigational compound from ECTRIMS‟, veranstaltet von Celgene im Rahmen des ECTRIMS-ACTRIMS-Kongresses, Paris, 28. Oktober 2017.

Literatur

1. Blaho VA, Hla T. An update on the biology of sphingosine-1-phosphate receptors. J Lipid Res 2014;55:1596–608.

2. Cohen JA, et al. Oral fingolimod or intramuscular interferon for relapsing multiple sclerosis. N Engl J Med 2010;362:402–15.

3. Cohen JA, et al. Safety and efficacy of the selective sphingosine-1-phosphate receptor modulator ozanimod in relapsing multiple sclerosis (RADIANCE): a randomised, placebo-controlled, phase 2 trial. Lancet Neurol 2016;15:373–81.

4. Comi G, et al. Ozanimod demonstrates efficacy and safety in a phase 3 trial of relapsing multiple sclerosis (SUNBEAM). ECTRIMS-ACTRIMS 2017, Abstract 232.

5. Mehr SR, Zimmerman MP. Reviewing the unmet needs of patients with multiple sclerosis. Am Health Drug Benefits 2015;8:426–31.

6. Proia RL, Hla T. Emerging biology of sphingosine-1-phosphate: its role in pathogenesis and therapy. J Clin Invest 2015;125:1379–87.

7. Smeets D, et al. Reliable measurements of brain atrophy in individual patients with multiple sclerosis. Brain Behav 2016;6:e00518.

8. Sorensen PS. Ozanimod: a better or just another S1P receptor modulator? Lancet Neurol 2016;15:345–47.

9. Tran JQ, et al. Cardiac safety of ozanimod, a novel sphingosine-1-phosphate receptor modulator: Results of a thorough QT/QTc study. Clin Pharmacol Drug Dev 2017 Aug 7; doi: 10.1002/cpdd.383.

10. Tran JQ, et al. Results from the first-in-human study with ozanimod, a novel, selective sphingosine-1-phosphate receptor modulator. J Clin Pharmacol 2017;57:988–96.

Psychopharmakotherapie 2018; 25(02):81-90